Ohne Definition auch keine Aufklärung – Proteste gegen patriarchale Gewalt in Dresden
3. Dezember 2020 - 13:10 Uhr
Am 25.11.2020 kamen über 350 Menschen zur Kundgebung „Gegen Patriarchale Gewalt“ am Jorge-Gomondai-Platz zusammen. Ein Bündnis feministischer Aktivist:innen aus Dresden hatte am „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ dazu aufgerufen. Dieser Tag bezieht sich auf die Ermordung der Schwestern Mirabal, welche bei einem Anschlag im Auftrag der dominikanischen Regierung am 25. November 1960 getötet wurden. Seit 1981 wird der Tag darum global als Tag gegen Gewalt gegen Frauen begangen.
Auf der Kundgebung wurden feministische Kämpfe und Forderungen sichtbar gemacht. Die Aktivist:innen machten klar: „Wir sind hier! Und wir sehen uns als ein Teil weltweiter feministischer und queerer Kämpfe gegen patriarchale Gewalt. Unsere Wut gegen die Gewalt des Systems stärkt und eint uns. Wir rufen zu einem solidarischen Schulterschluss mit allen Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt, für ein selbstbestimmtes Leben und zum Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse auf. Wir kämpfen solidarisch vereint auch und besonders während der Pandemie weiter.“
Dresdner Gruppen und Strukturen wie die Undogmatische Radikale Antifa Dresden (URA), die Antifaschistische Initiative Löbtau (AIL), das Frauenstadtarchiv Dresden, KollUm und die Landtagsabgeordnete Sarah Buddeberg, sorgten mit ihren Beiträgen nicht nur für eine kritische Auseinandersetzung mit den Ausprägungen struktureller patriarchaler Gewalt, sondern wiesen gleichzeitig auch auf regionale Missstände hin. Auch das Berliner Whatthefuck-Bündnis, #KeineMehr aus Leipzig, die Antisexistische Aktion München (Redebeitrag), die Berlin FlintA*ktion (Redebeitrag) und FLINTA* aus dem Dete-Kontext Bremen (Redebeitrag) machten in ihren pointierten Beiträgen auf die Vielfalt und die Alltäglichkeit von Gewalt gegen Frauen und die Notwendigkeit der weiteren Kämpfe aufmerksam.
Ein Einblick: In ihrem Redebeitrag kritisierte die Gruppe „#KeineMehr“ (Redebeitrag) Leipzig die Nichterfassung von Frauenhass als Tatmotivation in der polizeilichen Arbeit. So werde der ideologische Hintergrund vieler Taten verschleiert oder sie als Beziehungstaten bagatellisiert. Doch auch außerhalb von Beziehungen ist Gewalt vielfach durch sexistische Einstellungen motiviert. Das Bündnis „What the Fuck“ (Redebeitrag) klagte Sexismus und Antifeminismus bei der Polizei an. Diese habe nicht nur ein „Rassismus-Problem“, vielmehr führten Korpsgeist, kriegerische Männlichkeit und Straflosigkeit ebenso zu Gewalt gegen Frauen, trans-, inter- und nicht binär geschlechtliche Menschen. Das Frauenstadtarchiv Dresden machte einmal mehr auf die drohenden Kürzungen in den Haushaltsverhandlungen des Stadtrats aufmerksam. Letztlich sei die Ein- und Wegkürzung emanzipatorischer Projekte Teil der strukturellen Gewalt, die FLINT-Personen trifft.
Die Kritik an patriarchaler Gewalt wurde auch nach innen, an soziale Bewegungen gerichtet. Auch in diesen sei nach wie vor ein hohes Maß an Gewalt und der Unfähigkeit diese aufzuarbeiten vorhanden, erklärten die Vertreter:innen der Gruppe KollUm¹. Sie erinnerten an das Festival Monis Rache, bei dem als weiblich gelesene Personen Opfer versteckter Videoaufnahmen geworden waren. Immer wieder gelte es, nicht wegzuschauen, Vorwürfe ernst zu nehmen und Aufarbeitung zu forcieren.
„Wir freuen uns besonders, dass an diesem Tag auch die internationale feministische Solidarität gestärkt wurde“ betonten die Organisator:innen. So gab es einen Beitrag zu kastenbasierter sexualisierter Gewalt in Indien von einer feministischen Aktivistin der Dalit-Bewegung (Redebeitrag). In ihrer präzisen Analyse der indischen Gesellschaft schließt sie, dass sexualisierte Gewalt, die auf der Kastenzugehörigkeit beruht, eine der häufigsten Formen der Gewalt ist, um dieses System aufrecht zu erhalten. Ciocia Wienia thematisierten in ihrem Beitrag (Redebeitrag) die systemische Gewalt, welche von der Illegalisierung von Abtreibung ausgeht.
Ein wenig Gänsehaut kam auf, als die herzlichen und kämpferischen Grußworte des Netzwerkes Frente Ni Una Menos aus Mexiko (Redebeitrag), die sich dem Kampf gegen Femizide verschrieben haben sowie der Künstler:in Dope Saint Jude (Redebeitrag), die die erste Drag King Gruppe Südafrikas gründete, abgespielt wurden.
Tanzend zu den Klängen von Dope Saint Jude trotzten die Menschen dem frostigen Wetter. Gegen die Kälte half neben dem Tee von Black Wok (KüfA Kollektiv Dresden) auch das gemeinsame Singen der feministischen Hymne #patriarciao. Das gleichnamige Kartenspiel vom Frauenstadtarchiv war passend dazu auf der Kundgebung gegen eine Spende erwerben. Ein politisches Statement lieferte auch die Instagram-Aktionsgruppe Catcalls of Dresden: Sie markierten sexualisierte Übergriffe auf dem Jorge-Gomondai-Platz mit Kreide und zeigten damit die Allgegenwärtigkeit dieser Übergriffe auf.
Anlässlich des Tages wurde außerdem das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJ) in Dresden orange angestrahlt, um sich damit an dem Aufruf der UN-Women, die in diesem Jahr „16 Tage zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen 2020“ ausgerufen hatten, zu beteiligen. Einer Stellungnahme des Ministeriums zu Folge wurden in Sachsen im Jahr 2019 rund 5.200 weibliche Opfer häuslicher Gewalt erfasst. Die unklare Datenlage zur Gewalt gegen Frauen und ihren Ursachen hingegen verschwieg das Ministerium. Fraglich bleibt, ob die Symbolik eines orangefarbenen Ministeriums fehlende Aufklärung über und die Anerkennung der gesellschaftlichen Dimension patriarchaler Gewalt nicht nur gegen Frauen, sondern auch trans-, inter- und nicht binär geschlechtliche Menschen ersetzen kann.
Auf Twitter und Instagram wurde allerdings auch Kritik an dem Aufruf laut, da in diesem einseitig von Gewalt gegen Frauen* gesprochen werde. Andere geschlechtliche Zuordnungen würden so an den Rand gedrängt und das Problem eindimensional betrachtet. Diese Verkürzung ist bereits im Namen „Internationaler Tag gegen Gewalt gegen Frauen“ angelegt, weshalb bspw. seit 1999 am 20. November ein eigener Tag für die Opfer transfeindlicher Gewalt begangen wird. Außerdem sollten „Frauen“, so die Kritik weiter, nicht mehr mit Sternchen (*) gegendert werden. Durch das Schreiben von „Frauen*“ werde versucht, sowohl trans Frauen als auch trans Männer und Nicht-binäre explizit mit zu erfassen und Transinklusivität sichtbar zu machen. Dem Anspruch der Kritiker:innen wird dies nicht gerecht. Es sei vielmehr geboten, trans Personen nicht nur undeutlich mit zu meinen, sondern sie stets und ganz selbstverständlich schon unter den Begriffe „Frauen“ (bzw. Mann) zu fassen.
Weiterlesen? Die Rosa-Luxemburg Stiftung publizierte in diesem Jahr eine erste Publikation zum Thema Feminizide in Deutschland.
¹ KollUm – für kollektive Umgänge mit sexistischer Gewalt und sexualisiertem Machtmissbrauch, ihr könnt sie erreich über die Mailadresse: kollum@risuep.net
Veröffentlicht am 3. Dezember 2020 um 13:10 Uhr von Redaktion in Feminismus