Feminism for Future – Teil 2
24. Juni 2021 - 17:24 Uhr
Zweiter Teil des Berichtes über das Internationalismus Festival N°2 zu feministischen Kämpfen (Teil 1 nachlesen).
Samstag und Sonntag standen ganz im Zeichen der Zukunft. Nachdem am Nachmittag zahlreiche Workshops lokaler feministischer Akteur:innen wie z.B. böse&gemein, des FoK*ollektivs, dem Educat Bildungskollektivs stattfanden, stellte am Abend das Herausgeber:innenkollektiv der Kampagne „Gemeinsam Kämpfen“ das kürzlich erschienene Buch „Wir wissen, was wir wollen – Frauenrevolution in Nord-und Ostsyrien“ vor. Es besteht aus über 200 Interviews, die die Herausgeber:innen im Winter 2018/2019 auf einer Delegationsreise in den selbstverwalteten Gebieten in Nord- und Ostsyrien mit Frauen geführt haben.
„Die Organisation der Frauen war die größte Waffe im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS). Frauen, die unter dem IS leiden mussten, zogen ihre schwarzen Kleider aus und Uniformen an“ schilderte eine der Herausgeber:innen einen besonderen Akt der Selbstermächtigung. Aber nicht nur vom Widerstand gegen militärische Angriffe, sondern auch gegen patriarchale Strukturen in der Gesellschaft, berichten die Interviews. Es geht darin um die Organisation in Räten, um den Aufbau einer alternativen Ökonomie und warum es dafür autonome, feministische Organisierung benötigt.
Den Abschluss bildete das Podium „Feminism for Future – Wege in eine solidarische Zukunft“ mit Hêlîn von Cenî – Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V., Tarek Shukrallah und Koschka Linkerhand.
Tarek Shukrallah skizzierte die feministische Zukunft als eine queerfeministische, antirassistisch-migrantische und antikapitalistische und plädierte dafür Ausbeutungs- und Diskriminierungserfahrungen zusammenzuführen und verwies dabei auf queere Bewegungen v.a. im globalen Süden, die die Klassenfrage stellen und nicht nur auf der Antidiskriminierungsebene verbleiben. Shukrallah appellierte außerdem dafür, Dissens auszuhalten und für mehr „Empathie für unterschiedliche Positionen, die die Spaltungsbewegungen des Kapitalismus hervorgebracht haben“. Als geeignetes intersektionales Kampffeld nannte Shukrallah die Kämpfe um bezahlbaren Wohnraum, wie sie aktuell bundesweit und v.a. in Berlin besonders intensiv geführt werden. „Häuserkämpfe sind intersektionale Kämpfe, denn steigende Mieten treffen prekarisierte, migrantisierte, queere Menschen besonders.“
Hêlîn von Cenî brachte als Alternative zum Kapitalismus den demokratischen Konförderalismus in die Debatte ein. Der demokratische Konföderalismus stellt eine Antwort auf Kolonialismus, Krieg, Kapitalismus, staatliche Gewalt und Patriarchat dar. Der Aufbau erfolgt auf drei Ebenen: „auf akute Bedrohungen reagieren, internationale Organisierung voranbringen und mentale Revolution“ womit das Überwinden von patriarchalem und neoliberalem Denken gemeint ist. Hêlîn verwies zudem auf die Bedeutung konkreter Orte und autonomer Strukturen, wie z.B. Jinwar, das ökologisches Frauendorf und nannte als internationale Perspektive den Aufbau eines feministischen Weltfrauenkonföderalismus.
Koschka Linkerhand, Vertreterin eines materialistischen Feminismus und Herausgeberin des Sammelbandes Feministisch streiten plädierte für Erfahrungsaustausch, fortwährende Aktualisierung von politischen Ansätzen und Raum für innerfeministische Kritik und Auseinandersetzungen. Es gelte von den beeindruckenden feministischen Massenbewegungen in Lateinamerika – den feministischen Streiks, dem Kampf für Abtreibung und gegen Feminizide zu lernen. Mit Blick auf das in zwei Teile zerfallene Streikbündnis in Leipzig, bedauerte sie dass „nicht gut gestritten wurde“ und verwies weiterhin darauf, dass sich der Kapitalismus und das Patriarchat mit dem „Verharren in identitätspolitischen Debatten“ nicht überwinden lasse. Neben feministischer Theorie findet Linkerhand es wichtig, mit Forderungen nach Gesetzesänderungen oder Kritik am antifeministischen Backlash „in die konkreten Kämpfe reinzugehen“.
Nach vier Tagen digitalem Input, Workshops und Podien fand am Sonntag auf dem Alaunplatz der Markt der Möglichkeiten statt, auf dem die Festivalorganisator:innen und -besucher:innen zusammen kamen. Zwischen regem Austausch und kultureller Unterhaltung entstand ein Begrüßungsvideo für die nach Europa reisenden Zapatistas.
Im Gespräch mit addn.me zeigten sich die Veranstalter:innen zufrieden, wobei sie einräumten, dass das Online-Format die konkrete Vernetzung erschwert habe. „Wir im Internationalistischen Zentrum machen Basisarbeit, wir laden unsere Nachbar:innen ein und wirken in den Stadtteil hinein. Das hat sich mit dem digitalen Format leider nicht umsetzen lassen. Andererseits hat das Online-Format uns das Zusammenkommen mit Feminist:innen aus Indien, Chile und Bolivien ermöglicht“. Das ein oder andere Thema aus dem Festival planen die Organisator:innen zeitnah noch einmal aufzugreifen und die Debatten in kleineren Veranstaltungsformaten im Internationalistischen Zentrum fortzusetzen.
Seinen Abschluss fand das Festival mit einem Stadtrundgang der gruppe polar. Die Gruppe hatte dazu eingeladen, gemeinsam zu „trödeln, herumzulungern, ziellos durch die Stadt zu streifen“ und Geschichten aus „Flexen – Flâneusen* schreiben Städte“ zu hören. Die Lesung erfolgte an verschiedenen Stationen und führte vom Alaunpark bis an das König:innenufer. In den Texten standen die Perspektiven von Frauen, Queers und People of Colour im Mittelpunkt, ihre Kämpfe um Sichtbarkeit und gegen Diskriminierung, Bedrohung und Gewalt.
Auch die mangelnde Repräsentanz z.B. in Form von nach Frauen benannten Straßen und Plätzen wurde thematisiert. Diesen Missstand hatte zuletzt auch die Dresdner linksjugend zum Anlass genommen, am 8. März Straßenumbenennungen vorzunehmen. Auch wenn offizielle Umbenennungen von Straßennamen so schnell nicht zu erwarten sind, erfolgt doch immerhin bei der Neuentstehung von Straßen entsprechend des Beschlusses des Ortsbeirates Neustadt die Benennung nach einer Frau. Daher gibt es seit neuestem eine Marta-Fraenkel-Straße im Hechtviertel.
Nicht von ungefähr lagen mit der kurdischen Frauenrevolution und den feministischen Kämpfen in bzw. aus lateinamerikanischen Ländern zwei Schwerpunkte auf Kämpfen, von denen für die lokalen bzw. bundesdeutschen feministischen Organisierungen eine starke Inspiration ausgeht. Das gilt für Ni una menos (Nicht eine weniger), die Bewegung gegen Feminizide, die 2015 in Argentinien begann und in zahlreichen lateinamerikanischen Ländern aber auch in der Türkei zehntausende Frauen auf die Straße bringen.
Auch vom Aufbau autonomer Frauenselbstverwaltungsstrukturen in Nord- und Ostsyrien geht ein große Vorbildwirkung aus. Um auch in Deutschland die Resonanz zu erhöhen, hat sich in Berlin jüngst ein „Netzwerk gegen Feminizide – Wir wollen uns lebend“ gegründet in dem u.a. auch die internationalistische feministische Kampagne Gemeinsam Kämpfen, Women Defend Rojava und Ni uno menos Berlin zusammenarbeiten.
Auch in Dresden gab es bereits verstärkte Aktivitäten gegen Frauenmorde und patriarchale Gewalt, so wie am 25. November vergangenen Jahres anlässlich des Tages gegen patriarchale Gewalt. Seit 2019 ruft außerdem das F*Streik-Netzwerk Dresden zum Streik am 8. März auf und organisiert an diesem Tag Veranstaltungen, Aktionen, Streikposten und Kundgebungen.
Veröffentlicht am 24. Juni 2021 um 17:24 Uhr von Redaktion in Feminismus