Feminism for Future – Teil 1
20. Juni 2021 - 13:12 Uhr
Erster Teil eines Berichtes über das Internationalismus Festival N°2 zu feministischen Kämpfen.
Vom 2. bis 6. Juni 2021 veranstalteten das Internationalistische Zentrum (IZ) Dresden, das Dresdner Ortskomitee Women Defend Rojava and friends das Internationalismus Festival N°2 zu feministischen Kämpfen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, lokal und global. Aufgrund der Corona-Pandemie fand ein Großteil des Festivals im digitalen Raum statt. Es stand unter dem Motto: „Wir schauen in die Geschichte, um für die Gegenwart zu lernen und gemeinsam für eine bessere und feministische Zukunft zu kämpfen. Dabei verbinden wir unsere lokalen Kämpfe mit der Welt!“ In zahlreichen Vorträgen, Workshops und Podien war Gelegenheit, über vergangene und gegenwärtig geführte feministische Kämpfe zu lernen und Verabredungen für Zukünftige zu treffen.
Dresden queer
Den Auftakt im ersten Teil des Festivals – „Gestern“ – machten Karin Franke, Andrea Siegert und der *sowieso* Frauen für Frauen e.V. mit der Vorstellung ihres Buches „Dresden que(e)r durch das Jahrhundert. Geschichte und Geschichten von 1900 bis 2020“. Das Buch erschien im September 2020 anlässlich des 30-jährigen Bestehens einer Vielzahl von Vereinen wie des *sowieso* Frauen für Frauen e.V., des Frauenbildungshauses, GEREDE e.V. u.a. Es würdigt LSBTI*-Akteur:innen und ihre Kämpfe der vergangenen Jahrzehnte.
Die beiden Herausgeber*innen erinnerten auch an ihre eigenen Dresdner Auseinandersetzungen in den Nachwendejahren. Nach mehrjährigen Debatten und Anhörungen wurden erst 1997 zwei Stellen für gleichgeschlechtliche Lebensweisen eingerichtet. Als 1999 die CDU im Dresdner Stadtrat die absolute Mehrheit erlangte, erfolgte umgehend die Streichung der Stellen. Die in den zwei Jahren zuvor zusammengetragenen Unterlagen, Ergebnis historischer Recherchen zu 100 Jahren lesbisch-schwulen Lebens in Dresden, die eine Grundlage für die nun vorliegende Publikation waren, trug Karin Franke damals in Kisten aus dem Rathaus – sie fürchtete, die Papiere könnten mit dem Ende der Stellen verloren gehen.
Die Buchvorstellung verband sie daher auch mit einem Appell an Akteur:innen widerständiger Politik, für die Dokumentation und Archivierung ihrer Kämpfe Sorge zu tragen, und sich somit aktiv in die Geschichte einzuschreiben. Zur Entstehungsgeschichte des Bandes gehört auch, dass die Gruppe e*vibes – für eine feministische Praxis für das Buch „Dresden que(e)r durch das Jahrhundert“ einen Text über ihre aktuellen feministischen Kämpfe auch vor dem Hintergrund des Rechtsrucks beigetragen hatte, der bedingt durch das Einwirken der Fördermittelgeber:innen lediglich mit schwarzen Balken erscheinen konnte.
„Suffragetto“
Vom militanten Kampf der britischen Suffragettenbewegung berichtete Jana Günther und leitete ihren Beitrag mit Mary Poppins „Sister Suffragette“ ein. Nachdem Frauenrechtler:innen 40 Jahre lang erfolglos für das Frauenstimmrecht petitioniert hatten, griff eine jüngere Generation zu Formen des Zivilen Ungehorsams und der Direkten Aktion. Zum Repertoire der Suffragetten um Emmeline Pankhurst und der radikalen Women‘s Social and Political Union (WSPU) gehörte daher neben Kundgebungen und Demonstrationen – wie die im Londoner Hyde Park 1908 mit 500.000 Teilnehmer:innen – auch Fenster einschmeißen, Feuer legen und die Bewaffnung mit Schlagstöcken für die direkte Konfrontation mit Polizeikräften. Bemerkenswert – so Günther – war außerdem der hohe Grad an Professionalisierung hinsichtlich Organisierung, Campaining und Spendenakquise u.a. mittels Merchandise. So brachten die Suffragetten z.B. ein Brettspiel mit dem Namen „Suffragetto“, heraus, dessen Spielidee das Durchbrechen einer geschlossenen Reihe von Polizisten ist.
Hausangestelltensyndikate in Andalusien
In Kimey Pflückes Vortrag ging es um die Arbeitskämpfe von Hausangestellten in Spanien. „Arbeitskämpfe werden v.a. in Zusammenhang mit der so genannten produktiven Arbeit wahrgenommen, die Kämpfe im reproduktiven Sektor bleiben oft unterbelichtet“ leitete Pflücke ein. Aus diesem Grund forscht und publiziert Pflücke zur Organisierung von Hausangestellten. In ihrem Vortrag erinnerte sie an das Beispiel andalusischer Arbeiter:innen, die eine eigene Sektion der Angestellten des Haushaltsdienstes als Teil der Gewerkschaft CNT erwirken konnten.
Einige hundert Frauen hatten sich 1936 in der kleinen Ortschaft Cazalla de la Sierra dem Syndikat anschlossen, erarbeiteten einen Vorschlag zur Regulierung ihrer Arbeit u.a. in Form des Sieben-Stunden-Tages, des arbeitsfreien Sonntags sowie durch eine Beschreibung des Arbeitsinhalts. Nach Verhandlungen mit den Arbeitgeber:innen und einem Streik von 1,5 Wochen verbesserten sich die Arbeitsbedingungen.
Der Spanische Bürgerkrieg beendete schließlich diesen Versuch einer radikalen Modernisierung des Haushaltsdienstes. Der Bergort wurde durch Franquisten besetzt. Einige der Frauen bezahlten ihr gewerkschaftliches Engagement mit dem Leben, andere mit langen Haftstrafen. Vor dem Hintergrund, dass auch heute noch Hausarbeit in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen verrichtet wird, die von niedrigen Löhnen, unsicherem Aufenthaltsstatus bis hin zum Passentzug gekennzeichnet sind, bezeichnete Pflücke das Ende dieser Idee der Selbstorganisierung als bedauerlich.
Dalit-Feminismus
Am Freitag lag der Fokus auf aktuellen feministischen Bewegungen weltweit. Rupali Bansode aus Indien sprach über den Dalit-Feminismus, der nicht nur Geschlechterrollen hinterfragt, sondern auch Kastenungerechtigkeit. Die Dalit bilden die niedrigste Kaste. Als so genannte Unberührbare wurden sie lange Zeit als „Dienstkaste“ behandelt. Dalit-Frauen verrichten auch heute noch überwiegend schwere körperliche Arbeit, sind arm und haben eine vergleichsweise geringe Bildung. Sie werden sozial ausgegrenzt und sind häufig sexualisierter Gewalt von Männern höherer Kasten ausgesetzt, die zudem i.d.R. nicht geahndet wird.
Die Belange der Dalit-Frauen wurden von aktiven feministischen und linken Bewegungen in Indien regelmäßig ignoriert, statt über Kasten, wurde dort vor allem über Klassen diskutiert. Aus diesem Grund haben sie ihre eigene feministische Strömung begründet, analog zu der des Schwarzen Feminismus, so Bansode. Sie organisieren sich selbst, kämpfen um Würde, Selbstrespekt und Selbstermächtigung. Bansode verabschiedete die Hörer:innen mit einem herzlichen „Jai Bhim“, einem revolutionärem Gruß, mit dem sich Dalits und Anti-Kasten-Aktivist:innen gegenseitig grüßen.
FueraBolsonaro
Die „Feminista antirracista de Abya Yala“ – organisieren FLINTA*– Migrant*innen aus dem globalen Süden, v.a. aus Chile, Argentinien, Brasilien und Kolumbien, die in Sachsen und Thüringen leben. In ihrem Input betonten sie die Bedeutung davon, feministische, dekoloniale und antirassistische Kämpfe zusammenzuführen. Sie nutzten zudem die Gelegenheit, auf die Kampagne „Fuera Bolsonaro“ („Bolsonaro raus“) hinzuweisen. Seit Ende Mai protestieren in Brasilien regelmäßig zehntausende Menschen für einen besseren Schutz gegen das Corona-Virus. Das katastrophale Corona-Management des rechtspopulistischen Staatsschefs hat bisher schon mehr als 480.000 Menschen das Leben gekostet.
Zu den Forderungen der Demonstrant:innen gehören neben der Bereitstellung von Impfstoff auch eine finanzielle staatliche Unterstützung während der Pandemie. Darüber hinaus kritisierten „Feminista antirracista de Abya Yala“ häusliche Gewalt, Feminizide, Morde an Trans-Frauen und Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen, welche unter der Regierung Bolsonaros zugenommen haben. Angesichts dessen rufen sie dazu auf, sich am 10. Juli unter dem Motto bzw. Hashtag „FueraBolsonaro“ an Aktionen für die Amtsenthebung Bolsonaros zu beteiligen.
La revolución será feminista o no será« – die Revolution wird feministisch sein oder sie wird nicht sein
Aktuelle feministische Kämpfe in und aus Lateinamerika waren auch das Thema des abendlichen Podiums. Neben Laura Beltrán und Ana María Sánchez von MIlatts e.V. Dresden waren Javiera Manzi aus der Coordinadora Feminista 8M (Chile) und Yola Mamani von den Mujeres Creando aus Bolivien zugeschaltet.
In der Coordinadora 8M arbeiten seit 2018 feministische Organisationen aus ganz Chile zusammen, um Streiks und Demonstrationen zum Internationalen Frauenkampftag vorzubereiten. Am 8. März 2019 beteiligten sich fast eine Million Frauen an den Protesten. „Es geht darum alle Bereiche des Lebens zu bestreiken, v.a. die reproduktiven Bereiche, den ganzen Alltag zu unterbrechen“ so Javiera Manzi. Der Gründung der Coordinadora 8M m waren verschiedene andere feministische Proteste vorangegangen.
Neben den Demonstrationen unter dem Motto „Ni una menos“ gegen frauenfeindliche Morde, wurden ab 2016 auch Forderungen nach einer Lockerung des restriktiven Abtreibungsrechtes laut. Anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen führte das feministische Kollektiv Las Tesis im November 2019 zum ersten Mal die Performance „Un violador en tu camino“ (ein Vergewaltiger auf deinem Weg) auf. Ausgelöst durch die Erhöhung der U-Bahnfahrpreise protestierten ebenfalls Ende 2019 über eine Million Menschen gegen die neoliberale Regierungspolitik. Die Proteste entwickelten sich zu Aufständen gegen die „Prekarisierung des Lebens“ und gegen die Verfassung aus der Pinochet-Diktatur.
Javierea Manzi berichtete von dem darauf folgenden Referendum, in dem knapp 80 Prozent für die Ausarbeitung eines neuen Grundgesetzes stimmten und von der Wahl am 15. und 16. Mai diesen Jahres, bei der überwiegend Frauen, Indigene und Aktivist:innen der feministischen und sozialen Bewegungen u.a. auch aus der Coordinadora 8M in den Verfassungskonvent gewählt wurden und nun die neue Verfassung Chiles ausarbeiten. Der rechtskonservative Flügel hatte bei den Wahlen weniger als ein Drittel der Sitze gewonnen, so dass er tiefgreifende Änderungen nicht blockieren kann. Daher äußerte sich Manzi hoffnungsvoll, dass der Neoliberalismus zu Fall gebracht werden kann.
Mujeres Creando
Yola Mamani ist Teil des bolivianischen anarcha-feministischen Kollektivs Mujeres Creando, welches seit Beginn der 1990er Jahre für einen Feminismus streitet, der antirassistisch und nicht homosexuellenfeindlich ist, der Abtreibung und Sexarbeit akzeptiert. Eine Zusammenarbeit mit Parteien, Kirche oder Nichtregierungsorganisationen (NGO) lehnen sie ab. Das Kollektiv veröffentlicht regelmäßig Texte in der „Mujer Pública“, betreibt eine Radioshow und ein eigenes Frauenhaus namens „Virgen de los deseos“ (Jungfrau der Wünsche). In La Paz berüchtigt und auch in Europa bekannt geworden sind Mujeres Creando allerdings durch ihre Interventionen im öffentlichen Raum.
Zuletzt verwandelten sie am 12. Oktober 2020, dem Tag der Dekolonialisierung, die Statue der Isabel, einer Katholikin, in eine indigene Chola (indigene Frau). Yola Mamani gehört zu den Aymara aus dem Hochland von La Paz in Bolivien, den Cholas und berichtet von ihrer Ausbeutung und Diskriminierung als Hausangestellte: „Sie fühlen sich unwohl mit unseren Gesichtszügen, sie fühlen sich unwohl mit unserer Art zu sein, unserer Art zu lachen und unserer Art zu sprechen“, prangerte Mamani an. Cholas werden laut Mamani domestiziert, idiotisiert und objektiviert. Für sie aber bedeutet Chola-Sein Rebellion. Cholas sind laut, nicht unterwürfig, unbequem. Als „Chola Bocona“ (Klatschtante Chola), wie sie sich selbst bezeichnet, verdeutlichte Mamani, dass sich die feministischen Kämpfe direkt aus dem Alltag der Frauen entwickeln. Für einen Feminismus des Schreibtisches sieht sie keinerlei Erfordernis. Ein:e Jede:r trüge „intuitiven Feminismus“ in sich. Umso bedeutungsvoller scheint deshalb Mamanis Aufforderung, stets „in der 1. Person zu sprechen“ und „von dort wo Du herkommst“.
S-O-S Colombia
Laura Beltrán und Ana María Sánchez von Mlatts e.V. (Mujeres Latinoamericanas Tejiendo Territorio Ambiente y Sociedad) vertreten einen dekolonialen und plurinationalen Feminismus. Ähnlich wie Yola Mamani betonen sie die Wichtigkeit der eigenen (kolonialen) Geschichte. Diese muss von den Betroffenen erzählt und nicht als zu erforschendes Projekt von außen verklärt werden. M-Latts sind Kolumbianer:innen, die in Dresden leben und in den Bereichen „Umweltschutz“, „Bildung“ und „Soziales“ arbeiten. Sie kritisieren Ungleichheiten zwischen denen „die schon da waren und denen die neu ankommen“. So beklagen sie beispielsweise, dass sie hier in Deutschland kein Wahlrecht haben und sich nicht in ihren Interessen vertreten sehen.
M-Latts hat sich im Januar als Verein in der Stadt Dresden konstituiert. Im Moment knüpfen sie Kontakte zu anderen Organisationen, um Netzwerke zu schaffen und vor allem: sich gemeinsam Gehör zu verschaffen. Das Podium nutzten sie daher auch, um auf die aktuelle Situation in Kolumbien hinzuweisen: In Kolumbien finden seit Anfang Mai landesweite Proteste statt, die mit einem massiven Polizeiaufgebot unterdrückt werden. Mehr als 40 Menschen sollen im Zuge der Proteste bisher ums Leben gekommen sein. Auslöser für die Proteste war eine geplante Steuerreform, die vor allem eine massive Belastung von Menschen mit niedrigen Einkommen bedeutet hätte. Obwohl die Steuerform inzwischen zurückgezogen wurde, gehen die Proteste weiter. Sie richten sich gegen ein neoliberales Sparsystem und fordern faire Bezahlung und faire Bildung.
Der zweite Teil folgt in Kürze.
Veröffentlicht am 20. Juni 2021 um 13:12 Uhr von Redaktion in Feminismus