Feminismus

Aus Protest: 1. Queeres Knutsch Sit-in in Dresden

18. Mai 2022 - 22:16 Uhr - Eine Ergänzung

Im 17. Mai fand weltweit der Internationale Tag gegen Homofeindlichkeit, Bifeindlichkeit, Interfeindlichkeit und Transfeindlichkeit statt. In Dresden organisierte der Gerede e.V. ein vielfältiges Rahmenprogramm samt Demonstration gegen Queerfeindlichkeit. Sogar die TU Dresden hisste die Progressiv Pride Flag. Das Datum erinnert an die Streichung von Homosexualität aus dem Diagnoseschlüssel ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und mahnt gleichzeitig, dass trotz der Entpathologisierung Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle und Queers – nicht nur im Gesundheitssystem – immer wieder mit Stigmatisierung, Ungleichbehandlung, Hass und/oder Gewalt konfrontiert sind.

Sichtbar wird das z.B. am besorgniserregenden Vorgehen gegen die LGBTQI+-Community, ein Trend in einzelnen europäische Mitgliedsstaaten wie z.B. Polen mit seinen LGBTQI+-freien Zonen; an der Verknüpfung von westlichen Vorstellungen einer akzeptablen weißen Homosexualität mit dem Recht auf Aufenthalt und dem Schutz vor brutaler Verfolgung oder an offen ausgelebter Queerfeindlichkeit in Dresden.

Am Samstag, den 7. Mai kam es gegen 15 Uhr zu einem gewaltvollen Übergriff von fünf Personen auf zwei sich küssende, eisessende Queers vor dem Simmel-Center in der Dresdner Neustadt. Auf dem Nachhauseweg entlang der Königsbrücker kam es in einer Viertelstunde zu vier weiteren zum Teil gewaltvollen, sexistischen und queerfeindlichen Angriffen von anderen Personen. Als Akt des Widerstandes organisierten beide Betroffenen einen Protest in Form des 1. Queeren Dresdner Knutsch Sit-ins am vergangenen Samstag.

addn.me konnte mit den Beiden über ihre Erlebnisse, ihre Wut und Dresdner Queerfeindlichkeit sprechen. 

addn.me: Hey ihr Zwei, vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt, eure Gedanken mit uns zu teilen. Gestern fand der 1. Queere Knutsch-Sit-in statt. Ein abstoßender Anlass, dennoch feiern wir euch ob der öffentlichen Raumnahme. Mit einem Tag Abstand, wie geht es euch nach alledem? 

G. Zeter: Puh, ich war total aufgeregt und habe gemerkt, wie viele Ängste es aufruft, nochmal diesen Weg zu gehen und dann auf diesem Platz anzukommen. Auch dort angekommen, habe ich mich zu beginn noch wie versteinert gefühlt, aber nicht so richtig gecheckt, was da bei mir los ist. Erst mit der Zeit konnte ich auftauen und zum Schluss waren dann sehr viele schöne Gefühle da. Ich bin unendlich froh, dass wir es gemacht haben. Jede einzelne Person, die dort war, hat für mich gezählt. An attack on one of us, is an attack on all of us – superschön, dass ihr dagewesen sein! Das heißt: die Bewegung raus aus der eigenen, zu häufig unsichtbar gemachten und ohnmächtigen Betroffenheit und hin zur politischen Aktion war für mich sehr wichtig. Aber es war auch ein enormer Kraftakt, das alles auf die Beine zu stellen.

Krah Wall: Ich bin vor allem froh, dass wir das Sit-in organisiert und auf diese ziemlich schmerzvolle Situation mit etwas Empowernden reagiert haben. Mich hat der Übergriff vom vorletzten Samstag in der folgenden Woche noch sehr beschäftigt, vor allem Angst, Ohnmacht und Wut bei mir ausgelöst und mich ganz schön runtergezogen. Auch als wir uns am 14. Mai für das Sit-in getroffen haben und wieder an dem Ort waren, habe ich mich erstmal ziemlich unsafe gefühlt und gemerkt, wie sehr die Situation noch in mir arbeitet. Ich habe direkt erwartet, dass etwas ähnliches wieder passiert und fand den Ort erstmal etwas bedrohlich. Aber als wir dann mit den ganzen Leuten, die gekommen sind, bei Eis und Sonne zusammensaßen, hat sich das alles gelöst und sich in etwas sehr schönes Gemeinschaftliches und Empowerndes gewandelt. Ich hab mich sehr über alle gefreut, die gekommen sind und zusammen mit uns den Platz gesquattet haben. Aber auch zu sehen, wie viele Leute uns angeboten haben, uns zu unterstützen oder Anteil genommen haben, war ein super schönes Gefühl. Deswegen nochmal ein großes Danke! Jetzt, nachdem die Aktion vorbei ist, merke ich aber auch, wie viel Arbeit damit verbunden war und wie viel Kraft das alles gekostet hat. Also erstmal den Übergriff zu verarbeiten, zu schauen, was das mit einem macht und daraus dann so eine Aktion auf die Beine zu stellen. Unterstützung zu bekommen oder aufmerksam auf den Vorfall zu machen, bedeutet ja auch sich der Situation immer wieder zu stellen und darüber zu reden. Dazu kam noch die Aufregung, wie die Aktion laufen wird und ob es zu weiteren Vorfällen kommt, wenn so viele Queers zusammen kommen. Ich bin jetzt auf jeden Fall ganz schön platt.

addn: In eurem Aufruf habt ihr kurz angerissen, was euch widerfahren ist. Wenn es sich für euch gut anfühlt, mögt ihr uns den 7. Mai noch einmal beschreiben? War das der erste Übergriff dieser Art?

G. Zeter: Wir waren Samstagnachmittag im Simmel-Center einkaufen, es war supersonnig und wir haben uns inmitten von Klopapier, Brot und Rucksäcken voll mit Einkäufen auf den Vorplatz gesetzt, um ein Eis zu essen. Wir haben ein bisschen geknutscht und die Sonne genossen. Der erste und massivste Übergriff erfolgte genau dann, aus einer Gruppe von 16 bis 19-jährigen von uns männlich gelesenen Personen. Wir wurden ca. 5 Minuten lang massiv beleidigt, eine von uns mit einem Softdrink überschüttet und zum Schluss mit „Ich steche euch alle ab!“ bedroht. Es waren gefühlte Ewigkeiten. Leider hatten wir unsere Handys nicht dabei und niemaus griff ein. Erst zum Schluss kam es zu einer Intervention von zwei Menschen, die ein Handy dabei hatten, was zur Auflösung der Situation führte. Wir haben erstmal ein bisschen gebraucht, um uns zu sammeln. Das war ganz schön krass. Wir haben dann hin- und herüberlegt, ob wir den Weg über die Königsbrücker Straße zurück gehen, denn das war auch die Richtung, in die die Gruppe abgezogen ist. Wir hatten einfach Angst, dass sie hinter der Kreuzung auf uns warten. Schließlich beschlossen wir trotzdem, diesen Weg zu gehen. Und die Gruppe war zum Glück weg. So ganz genau bekomme ich es nicht mehr zusammen, aber wir brauchten für die Strecke nach Hause so ca. 10 bis 15 Minuten und es war ein einziger Spießrutenlauf. Zunächst kam es zu sexistischen Rufen aus einem Auto. Dann aus einem anderen Auto queerfeindliches Gegröhle. Ich konnte dann einfach nicht mehr und habe geweint. Meine Beziehungsperson hat mich getröstet und wurde währenddessen aus einem vorbeifahrenden Auto mit einem Gummigeschoss beschossen. Wir haben dann noch ein paar Meter Weg gemacht, aber dann hat auch meine Beziehungsperson geweint und ich habe getröstet. Währenddessen starrte mich ein ca. 55-jähriger Typ auf der gegenüberliegenden Straße an und rotzte auf die Straße. Wir wollten nur noch weg. Also gab es nach dem Angriff vor dem Simmel-Center noch vier weitere Angriffe aus Autos von komplett unterschiedlichen Menschen. Als wir zu Hause ankamen waren wir fix und fertig.

Krah Wall: Für mich war es bei weitem nicht der erste queerfeindliche Übergriff. Allerdings das erste Mal, dass mir in so einer Situation körperliche Gewalt angedroht wurde und ich tatsächlich richtig Schiss hatte, dass wir auf die Fresse kriegen. Ich hatte sonst in den Situationen immer noch das Gefühl, dass ich da irgendwie gut wieder rauskomme. Das hatte ich dieses Mal nicht. Ich glaube, ich fand es auch ziemlich beängstigend zu sehen, dass so wenige Menschen eingegriffen haben, obwohl der Platz voll mit Menschen war, aber wir quasi allein mit dieser Situation waren. Hier an der Stelle nochmal Danke an die zwei, die dann noch zu uns gekommen sind. Aber abgesehen von der besonderen Bedrohung dieser Situation, reiht sie sich in eine lange Liste von eigentlich alltäglich stattfindenden Queerfeindlichkeiten.Beschimpfungen, ständiges angestarrt werden, abfällige Blicke oder ungefragte beleidigende oder anzügliche Kommentare, Misgendering – just to name a few… Zeigen wir uns als queeres Paar öffentlich und sichtbar, müssen wir eigentlich die ganze Zeit mit solchen Reaktionen rechnen.

G. Zeter: Und nein, so beschissen das ist: natürlich war das nicht der erste Übergriff dieser Art in meinem Leben, sondern reiht sich ein in jahrelange alltägliche Diskriminierungserfahrungen und Gewalt. Mikroaggression in Form von Blicken, Geräuschen, nicht aus dem Weg gehen, Andersbehandlung in Alltagssituationen, Misgenderung bei jedem Telefonat, in dem mir aufgrund meiner Stimmlage mein Geschlecht zugeschrieben wird, aber auch im näheren Umfeld, binäre Auswahlmöglichkeit bei Auswahl der Namensanrede z.B. bei einer Bestellung die ich online mache, ungegenderte Texte, Abmahnung auf meinem Arbeitsplatz wegen eines Hinweis auf mein Pronomen in der E-Mail-Signatur unter dem Deckmantel der Einheitlichkeit von E-Mail-Signaturen (danke dafür Kindervereinigung Dresden e.V.), Pathologisierung von Geschlechtsidentität und -fluidität sowie von Beziehungsmodellen oder sexueller Praktiken – Stichwort Promiskuität oder Kink -, Sexualisierung und Objektifizierung von uns als Paar auf Partys, Cis-Typen die denken, wir wären jederzeit für sie verfügbar und queere Beziehung zählt nicht, sexualisierte, verbale und physische Gewalt. Und natürlich strukturelle Gewalt in all ihren unzähligen Ausformungen, die von der patriarchal und queerfeindlich organisierten kapitalistischen Staatlichkeit ausgeht.

Und dann kommen die Faschos noch obendrauf, und dazu zähle ich alle faschistoid ideologisierten Menschen … ach ey, ich könnte Dir so unendlich viele Geschichten erzählen, es ist einfach nur hart zum Kotzen. Und dabei bin ich persönlich als weiße, erwachsene, akademisierte überwiegend nicht be_hinderte Person mit deutschem Pass noch sehr privilegiert: Die Erlebnisse, die Queers machen, welche z.B. unter 18 sind, rassifiziert und/oder oder be_hindert werden, kann ich ja heute gar nicht abbilden. Und dafür braucht es dringend mehr Sichtbarkeit!


addn: Ihr habt zum 1. Queeren Knutsch-Sit-in aufgerufen, wahrscheinlich auch zum ersten Knutsch-Sit-in überhaupt. Was sich gemütlich anhört, ist eigentlich eine ziemlich deutliche Protestaktion. Was wolltet ihr damit vermitteln und erreichen?

G. Zeter: Es ist eine politische Raumnahme. Ich sehe kaum Queers, die Händchenhalten, Zärtlichkeiten austauschen, von Küssen ganz zu schweigen. Wir haben sehr bewusst die Raumnahme als Queers Only Aktion gemacht, um die Sichtbarkeit herzustellen. Es gibt kaum Orte, die safe sind und der öffentliche Raum in Dresden ist ein gefährliches Pflaster für Queers. Es war nicht nur ein persönliches Anliegen, sondern es ging sehr gezielt darum, queere Sichtbarkeit in aller Vielfalt auf die Straße zu tragen und ein politisches Momentum herzustellen, eingereiht in die vielen queerfeministischen Aktionen der letzten Monate. In der Vorbereitung sind wir auf sehr viel Solidarität und Zuspruch gestoßen. Nicht nur vom Gerede e.V. , der Queer Pride Dresden, dem RAA Sachsen e.V., dem Anwältinnenbüro auf der Theresienstr. 20, dem Tolerave e.V. und der Antifaschistischen Initiative Löbtau (A.I.L.), sondern es gab auch viele Einzelpersonen, die uns unterstützt haben und an die an dieser Stelle ein lautes Shoutout geht: DANKE!

Krah Wall: Uns war es wichtig mit dieser Aktion zu zeigen, dass wir uns in unserer Sichtbarkeit nicht einschränken lassen. Dass wir uns nicht anders verhalten, oder Räume meiden und uns zurückziehen, aufgrund von Ablehnung oder Diskriminierung die wir erfahren. Ich sehe so wenig queere Paare, vor allem hier in Dresden, sich in der Öffentlichkeit küssen, Händchen halten, oder sonstige Zärtlichkeiten austauschen, was ich super schade finde und was definitiv damit zu tun hat, dass ein Sich-Zeigen eigentlich immer mit Konfrontation einhergeht. Da fühlt es sich häufig schon nach einem politischem Akt an, Arm in Arm durch die Stadt zu laufen und das, was so an Blicken kommt, auszuhalten und drüberzustehen. Was es deswegen braucht, ist mehr Sichtbarkeit von queeren Menschen und ein sichtbar machen von queeren Realitäten.

Ich hab im Laufe der Woche zwischen dem Vorfall und dem Sit-in mit vielen Menschen über die geplante Aktion gesprochen und super viel Zuspruch und empowernde Reaktionen bekommen, das war ein schönes Gefühl. Leider gab es aber auch einige Situationen oder Gespräche, in denen ich mich sehr unverstanden gefühlt habe oder in denen ich das Gefühl hatte, dass meine Sichtweise bzw. Realität einfach wenig verstanden wird. Ich hab mich auch immer wieder gedrängt gefühlt, mich dafür erklären zu müssen, warum sich diese Anfeindung so scheiße anfühlt und warum ich es so wichtig finde, dass wir darauf reagieren. Wären mehr Menschen die Struggles mit denen sich Queers rumschlagen müssen klarer, könnten sehr andere Gespräche geführt werden und eine sehr andere Art der Anteilnahme und des Supports wären möglich.

addn: In der bundesstatistischen Erfassung zu Hasskriminalität stieg die gemeldete queerfeindliche Gewalt deutlich . Erst im Oktober 2020 wurde Thomas L. hier in Dresden der Homofeindlichkeit seines Angreifers wegen tödlich verwundet. Gab es euerseits Überlegungen, euch im Nachgang an die Polizei oder Beratungsstellen zu wenden? Was hat euch dann dazu bewogen bzw. abgehalten?

Krah Wall: Als wir direkt mit der Situation konfrontiert waren, haben wir kurz darüber nachgedacht, die Cops zu rufen. Ich wusste auch einfach nicht, wie ich mich sonst verhalten sollte, was sich ziemlich komisch angefühlt hat. Wir hatten aber auch kein Telefon dabei. Ich habe mich im Nachhinein schon etwas geärgert, nichts getan zu haben und dass die fünf Personen einfach so damit davon gekommen sind und wir uns nach der Situation auch noch damit auseinandersetzen mussten, dass sie vielleicht hinter der nächsten Ecke auf uns warten. Außerdem war die Gruppe insgesamt ziemlich wild drauf und wir hatten ein bisschen Angst, dass die vielleicht auch noch woanders Ärger machen und vielleicht noch andere Queers attackieren. Aber die Polizei einzuschalten schien mir da auch nicht die beste Option. Ich konnte mir auch nicht wirklich vorstellen, dass es da so ein großes Verständnis für unsere Situation gibt und dass uns das die Sache erleichtert. Ehrlich gesagt habe ich nicht wirklich dran gedacht, mich an eine Beratungsstelle zu wenden. Aber, mit ein bisschen Abstand und dem Gefühl, dass ich eigentlich immer noch nicht weiß, wie ich mich hätte verhalten wollen, fänd ich das eigentlich ganz sinnvoll.

G. Zeter: Ja, die Zahlen steigen in der PMK-Statistik, aber bilden ja mitnichten die Realität ab. Und ganz ehrlich, wie ernst ist eine Statistik zu nehmen, in der „deutschfeindliche Übergriffe“ gezählt werden oder Corona-Leugnende nicht „PMK-rechts“ sind? Das Themenfeld „Geschlecht / Sexuelle Identität“ wurde übrigens ab 1. Januar 2022 neu unterteilt in: „Frauenfeindlichkeit“, „Geschlechtsbezogene Diversität“ und Achtung jetzt kommt´s: „Männerfeindlichkeit“. Naja, diese Kategorien sind ja auf vielen Ebenen kritisierbar. Also mal sehen, wie diese Unfug-Statistik nächstes Jahr aussieht. Dazu kommt, dass im Nachhinein mit einer Meldung für die polizeiliche Statistik eine Kooperation mit den Cops notwendig ist. Konkret bedeutet das, maus muss zur Zeugenaussage. Und das ist ja immer ein Problem, da maus ohnehin nie weiß, auf wen maus trifft, das ist mit den sächsischen Cops aber nochmal ein sehr viel brisanteres Thema. Wir hatten die Wahl und haben uns bewusst dagegen entschieden. Zudem sind aus den genannten Gründen die polizeilichen Statistiken gelinde gesagt für die Füße. Wir werden die Vorfälle dem RAA Sachsen e.V./SUPPORT, also der sogenannten Opferberatung, für ihre Statistik melden. Diese Statistiken sind für mich ohnehin aussagekräftiger. Zudem weiß ich, dass ich dort nicht erneut Gewalt und Diskriminierung erfahre, ganz anders als bei den Cops. Da könnte ich sonst wahrscheinlich direkt eine neue Meldung zu machen … nur bei wem?

addn: Im Vorwort von: „FLEXEN – Flâneusen* schreiben Städte“ heißt es: „Mir wurde gesagt, es sei zu gefährlich, bleib zu Hause. Bleib drinnen, da wo es sicher ist. Nur bedeutet drinnen sein nicht gleich Sicherheit und draußen sein nicht zwangsläufig Freiheit. Aber es kann Freiheit werden, wenn ich präsent sein kann, wo ich präsent sein will, auch dort, wo niemand außer mir das möchte.“ Inwiefern spielt queere Sichtbarkeit für euch allein in der Stadt eine Rolle, macht es einen Unterschied, wenn ihr als Paar unterwegs seid? 

Krah Wall: Ich find es immer wieder gruselig zu sehen, wie heteronormativ und binär beschränkt die ‘Normalität’ oder das Sichtbare ist und wie schnell queere Realitäten an Relevanz und Sichtbarkeit verlieren, sobald maus sich aus der kleinen Blase heraus bewegt, in der maus sich befindet. Das finde ich immer wieder erschreckend. Wenn ich durch die Stadt laufe, sehe ich überall nur Hetero-Paare und Werbung mit Hetero-Kleinfamilien, gegenderte Anziehsachen, stereotypisierte binäre Geschlechterzuordnungen. Das macht mich wirklich müde und wütend – da werde ich nirgends angesprochen oder erwähnt. Da habe ich schon sehr das Gefühl, einfach nicht stattzufinden oder ‘reinzupassen’. Und das macht natürlich was mit einem. Mich hat das ziemlich lange eingeschränkt, mich überhaupt da rauszubewegen, obwohl ich eigentlich wusste, dass ich da nicht reinpasse. Außerdem hab ich dadurch das Gefühl, ständig daran arbeiten zu müssen, mir meine eigene Realität aufrechtzuerhalten, dass sie da und genauso wichtig ist, wie andere auch, auch, wenn ich sie so selten irgendwo sehe. Wenn ich allein unterwegs bin, merke ich dieses Nicht-Stattfinden sehr viel doller, dann fühle ich mich allein damit konfrontiert und es beeinflusst mich stärker, weil ich mich der Norm allein stellen muss. Und dann verlangt es mir mehr ab, mich offen in meiner Queerness zu zeigen. Wenn ich zusammen mit meiner Beziehungsperson in der Stadt unterwegs bin, fühle ich mich deutlich sicherer, auch wenn wir zusammen sehr viel schneller queer gelesen werden und zusammen schneller Queerfeindlichkeiten ausgesetzt sind. Aber immerhin sind wir dann zusammen unterwegs und wir können uns gegenseitig supporten.

G. Zeter: Ich denke nicht, dass es diese Trennung von Innen und Außen gibt, für mich ist alles verwoben. Auch mit dem Freiheitsbegriff hadere ich. Aber wenn wir für den Moment in dem Narrativ bleiben, ist es mir wichtig zu sagen, dass auch Queers in queeren Beziehungen Gewalt erfahren. Und ja, auch das sogenannte Außen ist voller Gewalt. Queere Sichtbarkeit braucht es für mich als Begriff und als politischen Akt nur solange das gewaltvolle heterosexistische Diktum Norm ist. Ich kann mir über Social Media, Kunst und privates oder politisches Umfeld vielleicht einen Raum schaffen, in dem Queerness einigermaßen normalisiert ist. Aber sobald ich nur einen Schritt auf die Straße oder in Lohnarbeit mache, lande ich in der reaktionären Dresdner Realität. Und das hat einen enormen Einfluss darauf, wie ich mich bewege und wie sicher ich mich fühle. Dazu kommt: ich bin selbst Kind dieser Gesellschaft. Und damit habe ich die in der Gesellschaft tief verankerte Queerfeindlichkeit auch in Teilen verinnerlicht. Daran muss ich ständig arbeiten, denn die Message, die ich auch heute im Außen gespiegelt bekomme, ist ja immer eine Abwertung meiner/unserer Identität. Und das trage ich auch in meine queeren Beziehungsweisen. Tatsächlich muss ich sagen, dass wir als Paar natürlich viel sichtbarer sind und die Gewalt dadurch auch häufiger und massiver auftritt. Wir sind aufgrund unserer Erfahrungen viel im Austausch darüber, wie wir zukünftig auf Situationen reagieren, wo wir hingehen, mit welchen Menschen wir gerade in Kontakt sein möchten, auf welche Partys oder Demos wir gehen, was wir anziehen und warum, wohin wir in den Urlaub fahren – also wie safe wir uns fühlen. Das alles bedeutet ein deutliches Mehr an Arbeit in queeren Beziehungen. Zudem haben wir häufig Bock, auf die Kacke zu hauen und unsere Queerness zu feiern, aber safe Orte gibt es dafür in Dresden kaum.

addn: Vor Jahren gab es einen AZ-Conni Wochentag nur für Frauen, Lesben, Inter-, Trans- und Agenderpersonen. Typen hatten keinen Zugang. Wie steht ihr zu queeren Safe Spaces? 

G. Zeter: Ich stehe zu Safer Spaces genauso, wie zu Quotierungen – es ist aktuell eine unbedingte Notwendigkeit und zwar für alle strukturell diskriminierten Personen. Diese mühsamen Diskussionen um Safer Spaces, ausgelöst durch unzureichend reflektierte Widerstände, die dazu führen, dass es diese so dringend notwendigen Räume nicht oder viel zu wenig gibt…puhpuhpuh. Und ich meine ganz ehrlich, wollen wir diese Spaces nicht auch in unserer Mitte also in Kneipen, Clubs und AZ´s statt diese nur in professionalisierten z.B. sozialarbeiterischen Kontexten herzustellen? Aus irgendeinem Grund scheint auch die Dresdner Linke in weiten Teilen zu häufig davon auszugehen, dass es in ihren eigenen Reihen kein Problem mehr gibt, die Revolution hat scheinbar in Dresden schon stattgefunden. Aber das ist natürlich nicht Realität, ganz im Gegenteil: Personen und Personengruppen, die strukturell diskriminiert werden, haben nicht das gleiche Standing, nicht die gleiche Stimme, nicht die gleiche Sichtbarkeit, nicht die gleiche Wirkmacht und nicht die gleiche Raumnahme. Das macht Aushandlung von Bedarfen oft schwierig und das sollte klar sein. Dass die Arbeit, Safer Spaces herzustellen, immer noch von den Rändern gemacht werden muss und es dann auch noch Diskussionen gibt, anstatt dass diese Räume selbstverständlich und priorisiert zur Verfügung stehen, macht mich scheißwütend. Und es kann sowieso keine Revolution ohne Queer-Feminismus geben – for the master´s tools will never dismantle the master´s house, wie Audre Lorde in ihren berühmten Comments so treffend sagte.

Krah Wall: Ich finde sie enorm wichtig und notwendig. Es gibt so viele Personen, Queers, die auf sehr unterschiedlichen Weisen strukturell von Gewalt betroffen sind. Diese Personen, sollten die Möglichkeit haben, sich einen Raum zu schaffen, in dem sie sich safe fühlen und der so gestaltet werden kann, wie sie ihn brauchen. Genauso gilt das meiner Meinung nach für jede andere marginalisierte Personengruppe, die strukturelle Diskriminierung erfährt. Ich finde es ehrlich gesagt ziemlich mühselig, dass die Daseins-Berechtigung von Safer Spaces immer wieder in Frage gestellt wird, weil die Kritik um die Ecke kommt, dass dann ja bestimmte Personengruppen ausgeschlossen werden, wie z.B. Cis Männer. Aber da stellt sich meiner Meinung nach erstens die Frage, warum es denn eine Notwendigkeit für solche Räume gibt und ob das Überall-Stattfinden-Dürfen, dann immer noch eine so große Relevanz hat. Und zweitens, ob andere Räume, die nicht offen geframed sind, nicht trotzdem für sehr viele Menschen aufgrund von bestehenden patriarchalen Strukturen exkludierend sind – dort aber die immer gleichen Personen ausgeschlossen werden, während der cis Mann wunderbar stattfinden kann. Safer Spaces sind eine notwendige Reaktion auf bestehende Strukturen und die Möglichkeit, sie zumindest in diesen gesicherten Räumen zu durchbrechen. Also ich wär bei nem Queeren Abend im Conni dabei!

addn: In eurem Aufruf angelehnt an die feministische Demo am 30. April in Dresden heißt es, Take back the Night? Yes!  …and Reclaim the Streets! Welche Orte und Lebensbereiche erfahrt ihr noch als besonders stigmatisierend? Wie können wir euch hier in Dresden solidarisch in dieser Forderung unterstützen?

G. Zeter & Krah Wall: In Dresden gibt es viele Gruppen und Einzelpersonen, welche sich die Arbeit mit diesen Themen auf die Fahnen geschrieben haben – und das finden wir einfach sensationell! Denn es ist überall ein Kampf. Selbst in Partykontexten, also wenn wir uns DJ-oder Konzert-Line-Ups, die Tür in Clubs, Thekenpersonal in Kneipen oder DJ-Kollektive angucken und dann kommt noch fehlende oder beschissen bezahlte awareness-Arbeit hinzu. Manchmal können wir die Revolution nur müde und leise weit entfernt funkeln sehen und die Arbeit die vor uns liegt scheint enorm. Andererseits gibt es somit unendlich viele Möglichkeiten für allyship. Und das fängt mit einer Vorstellung mit Pronomen in allen Kontexten an, kann auch mal bedeuten, zu Hause zu bleiben und nicht stattzufinden oder eine Arbeit mit weniger Sichtbarkeit zu übernehmen. Wir würden abschließend noch hervorheben, dass dieses Interview keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit hat. Auch wir befinden uns in Prozessen und dieses Interview ist Stand heute und spiegelt einen Ausschnitt unserer persönlichen Erfahrungen und das, was wir heute denken und fühlen, wider. Wir sind über Gedankenanregungen sehr dankbar und auch immer darauf angewiesen. Und um feministische Kontinuitäten sichtbarer zu machen, zum Schluss noch dieses schöne Zitat von Audre Lorde aus The Transformation of Silence into Language and Action von 1977:“[…] we have been socialized to respect fear more then our own needs for language and definition, and while we wait in silence for that final luxury of fearlessness, the weight of that silence will choke us. The fact that we are here and that I speak these words is an attempt to breach that silence and bridge some of those differences between us, for it is not difference which immobilizes us, but silence. And there are so many silences to be broken.“

Fotos: Artemys


Veröffentlicht am 18. Mai 2022 um 22:16 Uhr von Redaktion in Feminismus

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