Vielfältiges Gedenken an Marwa El-Sherbini
4. Juli 2019 - 11:57 Uhr
Am vergangenen Montag fanden mehrere Veranstaltungen in Gedenken an Marwa El-Sherbini statt. Neben einer zentralen Veranstaltung im Dresdner Landgericht, rief die Undogmatische Radikale Antifa (URA) vor der Scheune in der Neustadt zu einer Kundgebung auf. Anlass war der zehnte Jahrestag der Ermordung der zum Tatzeitpunkt schwangeren Frau am 1. Juli 2009 im Landgericht Dresden während einer Gerichtsverhandlung. Im Rahmen des zehnten Jahrestages der Ermordung Sherbinis gibt es über die ganze Woche noch eine Vielzahl von inhaltlichen Veranstaltungen.
Bereits 13 Uhr lud der „Vorbereitungskreis des Marwa El-Sherbini Gedenkens“ in die Vorhalle des Landgerichts ein. Dort trafen sich mehrere dutzend Vertreterinnen und Vertreter verschiedener zivilgesellschaftlicher Institutionen. Nach eröffnenden Worten der Staatssekretärin Franke, wand sich Oberbürgermeister Dirk Hilbert an die Anwesenden und würdigte die vielen Projekte, welche sich für offenes Miteinander einsetzen, wie die „Interkulturellen Tage“, die „Internationale Woche gegen Rassismus“ oder das Prohliser Musikprojekt „Musaik“, welches sich für die Integration sozial benachteiligter Menschen einsetzt. Anschließend hielt Robert Kusche, der Geschäftsführer der RAA-Opferberatung, eine Rede. Sein Augenmerk lag vor allem auf der rassistischen Kontinuität in Sachsen seit den 1990er Jahren, in deren Kontext auch der Mord an Marwa El-Sherbini einzureihen sei: „Der Mord an Marwa El-Sherbini war bzw. ist ein Schock. Rückblickend reiht er sich jedoch in eine lange Reihe von schockierenden Ereignissen ein. Erinnert sei hier an die Lichtelläufe in Schneeberg 2013, dem Start der PEGIDA Bewegung in Dresden im Oktober 2014, beide Ereignisse gingen mit einer Zunahme rechter Gewalttaten einher. Es folgten Ausschreitungen in Freital, Heidenau und Dresden im Sommer 2015, in Bautzen und Wurzen 2016 und 2017. Die ‚Gruppe Freital‘ verübte 2015 Anschläge auf Geflüchtetenwohnungen. Nino K. verübte 2016 einen Rohrbombenanschlag auf eine Moschee in Dresden. Letztes Jahr erlebten wir die Ausschreitungen in Chemnitz.“
„Die Situation habe sich auch 10 Jahre nach den Mord an Marwa kaum verbessert. In den letzten Jahren habe es eine Welle rechter und rassistischer Gewalttaten gegeben“, führte Kusche weiter aus. Gewalt, die Betroffene ängstlich zurück lässt: „Es kommen viele Ratsuchende in unsere Beratungsstelle und fragen – mit Bezug auf den Mord an Marwa El-Sherbini – ob sie wirklich Anzeige erstatten sollen oder nicht. Dieses Vertrauen wiederherzustellen ist ein langwieriger Prozess und bedarf Anstrengungen von uns allen.“
Anschließend legten die Anwesenden Blumen vor der Gedenktafel im Foyer des Landgerichts ab. Diese wurde Ende 2009 angebracht und gedenkt in Arabisch und Deutsch den Geschehnissen wenige Monate zuvor. Immer wieder steht die Stadt in der Kritik, das Gedenken an Marwa El-Sherbini zu wenig zu würdigen. Der letzte Versuch der Rot-Rot-Grünen Stadtratsfraktionen, eine Straße in der Nähe des Gerichtes nach der ermordeten Frau zu benennen, scheiterte 2015 an den Stimmen der CDU, FDP und Bürgerfraktion. Bereits 2012 hatte der damalige Vorsitzende der CDU-Fraktion angesichts der Pläne von einem „Fanal der Schande“ gesprochen. Der letzte Versuch der Rot-Rot-Grünen Stadtratsfraktionen eine Straße in der Nähe des Gerichtes nach der ermordeten Frau zu benennen, scheiterte 2015 an den Stimmen der CDU, FDP und Bürgerfraktion.
Am späten Nachmittag rief die URA zu einer Kundgebung vor dem Neustädter Kulturzentrum auf. Im Rahmen der Aktion „17zuViel“ wurde Marwa El-Sherbini gedacht und unmittelbar daneben ein großes Graffiti mit ihren Namen angebracht. Darüber hinaus wurden Anwohnerinnen und Anwohner mit Flyern über die Geschehnisse 2009 informiert und Musik abgespielt. In den verteilten Flyern kritisierte die URA die aktuelle rassistische Atmosphäre. „Zehn Jahre nach dem Mord an Marwa El-Sherbini blicken wir nicht auf einen traurigen Einzelfall zurück, sondern auf eine Kontinuität rechten Terrors und Gewalt. Rechte Gewalt und Terror sind für viele Menschen hierzulande Alltag. Für Menschen, die als ’nicht-deutsch‘ wahrgenommen werden oder sich der Faschisierung der Gesellschaft aktiv in den Weg stellen.“ An der Veranstaltung beteiligten sich mehrere dutzend Personen. Bereits am 17. April startete die Kampagne „17zuViel“, organisiert von der URA, um auf die Todesopfer rechter Gewalt in Sachsen aufmerksam zu machen. Anlass dafür war der Gerichtsprozess um Christopher W., der als 17. Todesopfer rechter Gewalt in Sachsen zählt.
Marwa El-Sherbini ist eines der 17 Todesopfer rechter Gewalt in Sachsen. Sie wurde am 1. Juli 2009 im Gerichtssaal des Landgericht Dresden mit 18 Messerstichen von Alex Wiens erstochen. Ein Jahr zu zuvor hatte dieser Sherbini auf einem Spielplatz in Johannstadt als „Islamistin“, „Terroristin“ und „Schlampe“ bezeichnet, worauf sie die Polizei rief und Anzeige erstattete. Im ersten Prozess äußerte Wiens, dass solche Leute „nicht beleidigt“ werden könnten, da sie „keine richtigen Menschen wären“. Daraufhin erwirkte die Staatsanwaltschaft ein neues Verfahren, um ein höheres Strafmaß wegen eines ausländerfeindlichen Hintergrunds zu erwirken. Nach der Aussage Sherbinis stürmte der Angeklagte auf sie zu und stach 18 mal auf sie ein. Marwa El-Sherbini war zu diesem Zeitpunkt im dritten Monat schwanger. Trotz des Eingreifens ihres Mannes, der ebenfalls im Gerichtssaal anwesend war, kam jede Hilfe zu spät – sie und ihr Kind verbluteten. Auch ihr Mann wurde mit drei Messerstichen verletzt. Darüber hinaus wurde er von einem herbeieilenden Polizisten angeschossen, da dieser ihn und nicht Alex Wiens für den Angreifer hielt. Noch im selben Jahr wurde Wiens zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil wurde unter Berücksichtigung eines „ausländerfeindlichen“ Tatmotivs gefällt. Seit dem Vorfall wurden erhöhte Sicherheitsvorkehrungen im Landgericht eingeführt. An der Trauerkundgebung in Berlin nahmen über 2.000 Personen teil. Ein Radiofeature widmet sich den Geschehnissen ausführlich.
Veröffentlicht am 4. Juli 2019 um 11:57 Uhr von Redaktion in Antifa