„Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst“ – Gedenken an Jorge Gomondai
8. April 2022 - 19:08 Uhr
Mehrere dutzend Menschen versammelten sich am vergangenen Mittwochabend, um zum nunmehr 31. Mal an den Tod von Jorge Gomondai zu erinnern. Der mosambikanische Vertragsarbeiter war am 1. April 1991 von Nazis kurz nach dem Albertplatz aus einer fahrenden Bahn geworfen worden. Sechs Tage später verstarb der zum Tatzeitpunkt 29-Jährige in einem Dresdner Krankenhaus. Gomondai ist eines der ersten Todesopfer rechter Gewalt nach der Wiedervereinigung.
Nachdem im letzten Jahr eine Kundgebung des Ausländerrates pandemiebedingt abgesagt werden musste, versammelten sich in diesem Jahr wieder Menschen auf dem 2007 nach Jorge Gomondai benannten Platz. Aufgerufen zur Veranstaltung unter dem Motto „Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst“, hatte der Ausländerrat gemeinsam mit SUPPORT Dresden. Bereits am Abend zuvor wurde im AZ Conni der 1994 gedrehte Dokumentarfilm „Jorge Gomondai – Tod eines Vertragsarbeiters“ gezeigt.
Neben dem Erinnern an Jorge Gomondai wurde auf der Kundgebung auch die alltäglich rassistische Gewalt thematisiert. So sprach Hussein Jinah, Autor von „Als Weltbürger zu Hause in Sachsen„, auf der Kundgebung. Der 1985 im Rahmen eines Austauschprogrammes nach Dresden gekommene Hussein hatte nach dem Tod Gomondais an einen Trauermarsch teilgenommen, wo der damalige Doktorand ein Schild mit der Aufschrift „jeder von uns kann der nächste sein – sind wir schutzlos“ bei sich trug. „Seitdem sind 30 Jahre vergangen und Jahr für Jahr stehe ich hier auf der Kundgebung und frage mich, wann der Rassismus endgültig aus unserer Gesellschaft verschwindet“. Leider, so Jinah, sei der alltägliche und strukturelle Rassismus in Dresden immer noch präsent. Er erinnerte in diesem Zusammenhang auch an Marwa El-Sherbini, die 2009 im Landgericht Dresden von einem Rassisten ermordet wurde.
Musikalisch begleitet wurde die Kundgebung vom Dresdner Musiker Eze Wendtoin. Der in Bukina-Faso aufgewachsene Wendtoin absolvierte seinen Master in Germanistik in der Landeshauptstadt und engagiert sich u.a. in der Banda Internationale gegen Rassismus und für gesellschaftliche Vielfalt. Auf der Kundgebung trug er den 2019 gemeinsam mit Konstantin Wecker veröffentlichten Coversong „Sage Nein“ vor. In einem kurzen Redebeitrag unterstrich Wendtoin, dass die Erfahrungen schwarzer Menschen mit Rassismus keinen Einzellfälle seien und forderte die Teilnehmer:innen der Kundgebung dazu auf, zu Rassismus nicht zu schweigen, sondern einzugreifen.
Bereits vor der Kundgebung wurden im Rahmen eines Critical Walk durch die Dresdener Neustadt die Geschehnisse näher beleuchtet, die dem Tod Jorge Gomondais am 6. April vorausgegangen waren. Gomondai war in der Nacht auf den 1. April 1991 auf dem Heimweg von etwa zehn Nazis in der Straßenbahnlinie 7 attackiert worden. Die Angreifer waren zuvor schon an Angriffen in der Dresdner Neustadt beteiligt gewesen. Eine Kontrolle durch die Polizei blieb folgenlos. Kurz darauf bestieg die Gruppe die Straßenbahn, aus der sie Gomondai warf. Bis heute sind die genauen Todesumstände ungeklärt. Jorge Gomondai wurde von den Nazis beleidigt und angegriffen, ob er jedoch in Angst vor den Angreifern zu entkommen versuchte oder gewaltsam aus der Bahn gestoßen wurde, ist unklar. Er erlitt bei seinem Sturz aus dem Wagon schwere Kopfverletzungen, an denen er fünf Tage später im Krankenhaus verstarb.
Auf dem Albertplatz wurde zu dem die Ausstellung Brotherland gezeigt. Sie thematisiert die Geschichte von Vertragsarbeiter:innen vor und nach der Wiedervereinigung und berichtet „von einer Zeit, von der man schwer erzählen kann, ohne den Rassismus und die Gewalt sprachlich zu reduzieren“. Mit Interviews, Fotos, Portraits und Archivmaterial versuchen Martina Zaninelli und Thomas Jacob in der Ausstellung die Komplexität der Geschichten und Erfahrungen von Vertragsarbeiter:innen vom Ankommen in der DDR seit den 1970iger Jahren bis zu den rassistischen Ausschreitungen in der Nachwendezeit zu fassen. Die Interviews mit den Betroffenen können im Internet nachgehört werden.
Im Rahmen des Gedenkens wurde nicht nur an Jorge Gomondai erinnert. Am 6. April 2006 wurde ebenfalls Halit Yozgat als vorletztes Opfer der NSU-Mordserie ermordet. Das Motto der Veranstaltung, „Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst“, ist ein Ausspruch von Serpil Temiz-Unvar, der Mutter des bei dem rassistischen Anschlag in Hanau ermordeten Ferhat Unvar. Während der Veranstaltung wurden immer wieder die Parallelen der rassistischen Morde von Jorge Gomondai, über Antonio Amadeu bis zum NSU und Hanau gezogen.
Veröffentlicht am 8. April 2022 um 19:08 Uhr von Redaktion in Antifa