Status Quo: „Endstation Abschiebehaft“
22. März 2024 - 15:34 Uhr
Ein Debattenbeitrag Beitrag der Abschiebehaftkontaktgruppe.
Status Quo ist eine Debatten-Reihe über den Rechtsruck in Dresden, geschrieben von linken, emanzipatorischen sowie progressiven Gruppen.
Seit Oktober 2018 gibt es nach 4 Jahren Pause wieder eine Abschiebehaft in Dresden, seit über 5 Jahren werden Menschen dort verhaftet, um sie abzuschieben.
Das ist Haft ohne Straftat. Ohne Bestrafungsgedanken, ohne Wiedergutmachungsvorstellung, ohne Resozialisierungsziel. Das ist Freiheitsenztug, immerhin die schärfste Waffe unseres Rechtsstaat und größter Einschnitt in die Grundrechte, weil eine Behörde entscheidet, dass sie dich nicht hier haben will. Deine Entscheidung, dein Wunsch, deine Notwendigkeit, dein Leben hier zu führen, wird nicht akzeptiert.
Übrigens wird in mindestens der Hälfte der Fälle Abschiebehaft oft nachträglich, von höheren Gerichten als rechtswidrig eingestuft. Dann ist der Freiheitsentzug staatliche Freiheitsberaubung.
Man möchte meinen, dass diese rechtsstaatliche Krise ein brennendes Thema in unserer Gesellschaft ist.
Aber der große Aufschrei bleibt aus. Nicht mal müdes Interesse erleben wir.
Stattdessen brennen alle für mehr Abschiebungen, Rückführungen, Remigration, Deportation, nennt es, wie ihr wollt: Der parteiübergreifende Konsens besteht darin, dass von der AfD bis zu den Grünen konsequent mehr gefordert wird.
Und dazu gehört auch mehr Abschiebehaft: Noch laschere Regelungen für die Behörden, noch längere Haftzeiten, noch mehr Anordnungsgründe: 2.000 € für Schlepper bezahlt? Grund für Abschiebehaft! Termine bei Behörde verpasst? Grund für Abschiebehaft!
Aber es gab doch Grund zur Hoffnung: Nancy Faeser, SPD, löste Innenminister Horst Seehofer ab, der dafür bekannt war, dass er sich über die Lebensgefahr von 69 Afghanen, die an seinem 69. Geburtstag abgeschoben wurden, freute. Wir hofften auf einen Paradigmenwechsel in der Asyl- und Migrationspolitik durch die Ampelkoalition. Aber dieser neue Wind flaute schnell ab.
Die Länder und Kommunen haben sich für eine Bezahlkarte statt Bargeld eingesetzt, auf Bundesebene wird ein weiteres
Die Länder und Kommunen haben sich für eine Bezahlkarte statt Bargeld eingesetzt, auf Bundesebene wird ein weiteres Hau-Ab-Gesetz verabschiedet mit weiteren massiven Eingriffen in die Grundrechte und GEAS soll nun dafür sorgen, dass Geflüchtete gar nicht erst nach Europa einreisen. EU – Raum der Sicherheit für nationalistische Träume, der Freiheit von Waren und Hetze und der Rechten.
Nancy wünscht sich, dass mehr Leute aus Deutschland abgeschoben werden, und da stören Grundrechte und Verfassung nur. Darum soll auch der Ausreisegewahrsam (also die Abschiebehaft für nahezu alle Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde), von 10 auf 28 Tage verlängert. Werden und Abschiebehaft wird zulässig, wenn die Abschiebung voraussichtlich binnen 6 statt bisher 3 Monaten realisierbar ist.
Doch der Clou daran ist ja, dass selbst sie davon ausgeht, dass durch diese Maßnahmen 600 Leute mehr pro Jahr abgeschoben werden. Es ist also nicht mal in den feuchten Abschiebeträumen der Regierungspolitiker*innen der große Wurf. Und seien wir mal ehrlich: diese Maßnahmen werden nicht die Probleme der Bevölkerung lösen oder die Lebensqualität verbessern. 600 Abschiebungen mehr im Jahr schaffen keine Schul- und Kitaplätze, erhöhen nicht den Mindestlohn, sichern nicht die Rente, bauen nicht Bürokratie ab, sie schließen nicht den Gender Pay Gap und lösen weder Verkehrsstaus noch den Sanierungsstau unserer Straßen und Brücken, sie sorgen nicht für eine nachhaltige und existenzsichernde Landwirtschaft, flächendeckendes Internet, effizientere Gesundheitsversorgung, Energiesicherheit oder mehr Infrastruktur auf dem Land, sie schaffen keine besseren Arbeitsbedingungen, keine lebenswerteren Städte, keinen bezahlbaren Wohnraum und auch keinen günstigen und funktionierenden Bahnverkehr, sie bekämpfen weder den Fachkräftemangel noch die Klimakrise. Und am allerwenigsten fördern sie die Demokratie und treten der Ausbreitung rechter Einstellungen in irgendeiner Mitte der Gesellschaft entgegen.
Was machen wir da eigentlich? Als kleine ehrenamtliche Gruppe?
Wir wollen beraten, bis der Knast Geschichte ist. Wir wollen ein paar wenigen Menschen zu einer winzigen Chance auf etwas Gerechtigkeit verhelfen. Die Bedingungen dafür sind schwer: Die Eingangskontrolle dauert mittlerweile etwa 30 Minuten. Wir können als Gruppe keine offene Beratungssprechstunde anbieten. Wir müssen die Namen der Menschen im Knast kennen, um für sie eine Beratung anmelden zu können. Wir müssen Sprachmittlung organisieren, können kein Telefon oder Laptop mitnehmen.
Oft lesen wir aus den Haftanträgen auf Behördendeutsch verklausulierte Häme, dass dieser Mensch versagt hat und nicht erwünscht ist. Dahinter steckt meistens zu wenig oder falsche Beratung, Frust und Orientierungslosigkeit in einem extrem komplizierten, widersprüchlichen, überregulierten, absolut weltfremden System. Viele Menschen in Abschiebehaft hatten trotz der hohen rechtlichen Hürden des deutschen Aufenthaltsrechts eine Chance auf ein Bleiberecht.
Was hat nun die Wahl für ein Einfluss auf unsere Arbeit im Knast?
Zunächst sehen wir Auswirkungen durch die diskursive Abschottung und Hetze in Politik, Medien, Gesellschaft: Es beeinflusst die Haltung und das Verhalten von Behördenmitarbeitenden, Richter*innen, Anwält*innen etc.
Und dann entscheidet die Zusammensetzung des Landtags über den Beirat. Der sollte ein Kontrollinstrument sein, für Transparenz sorgen.
Der Beirat macht tatsächlich nichts. Wir fragen uns: War er mehr als 2 Mal in der Anstalt? Trifft er sich überhaupt noch regelmäßig? Veröffentlicht er Berichte? Man muss nicht gegen Abschiebungen sein, es reicht, für rechtsstaatliche Verhältnisse zu sein, um seine Rolle als kritischer Beirat ernst zu nehmen.
Wir hoffen, dass auch nach der Wahl die bisherigen 2-3 einzelnen Abgeordnete im Landtag uns weiterhin so unterstützen, ansonsten ist die offizielle Parteipolitik von AfD über Grün bis zum Bündnis Sarah Wagenknecht restriktiv bis kacke hinsichtlich Abschiebungen und Abschiebehaft.
Unsere Prognose: Es wird wahrscheinlich schlimmer. Aber wir sind uns in unserer Gruppe auch uneinig, ob wir in unserer konkreten Arbeit einen deutlichen Unterschied spüren angesichts der Gesetzesverschärfungen und des anhaltenden gesellschaftlichen Rechtsruck.
Kann es eigentlich noch schlimmer werden?
Kann es besser werden? Ist es möglich, dass sich in Gesellschaft, Politik und Medien die Anerkennung der Realität durchsetzt? Migration ist Fakt, Normalität und seit jeher Bestandteil der Menschheitsgeschichte. Ganz im Gegensatz zu nationalstaatlichen Grenzen, Pässen und Aufenthaltsgesetzen. Ideologisch verblendet sind nicht die, die offene Grenzen und Bewegungsfreiheit für alle fordern, sondern diejenigen, die glauben, dass sie mit Knast, Mauern, Kontrollen etc. das aufhalten können.
Schaffen wir es, Regelungen aus Feudalismus, Absolutismus und des NS-Regimes und ihre Nachwirkungen zu überwinden?
Warum ist das in Sachsen so schwer vorstellbar?
Bisher in der Reihe erschienene Debattenbeiträge:
- #1 Seebrücke Dresden: „Für ein Dresden, das den Titel „Sicherer Hafen“ verdient“
- #2 Undogmatische Radikale Antifa Dresden: „Nicht viel zu gewinnen, doch viel zu verlieren.“
- #3 Pirnaer Autonome Linke: „10 Thesen zur AfD“
- #4 Queer Pride Dresden „Die positive Entwicklung der letzten Jahre ist – es gibt uns jetzt!“
- #5 Einige Beteilligte: „Eine Rückschau auf die Idee #wirstreiken im Landtagswahlkampf 2019“
Titelbild: Demonstration vor der Abschiebehaft Silvester 2019.
Veröffentlicht am 22. März 2024 um 15:34 Uhr von Redaktion in Antifa, Soziales