Solidaritätsdemonstration mit der Bevölkerung in Cizre
18. September 2015 - 22:18 Uhr
Am vergangenen Samstag demonstrierten etwa 150 Personen durch die Dresdner Innenstadt. Aufgerufen zu den spontanen Protesten hatte das deutsch-kurdische Kulturzentrum mit Sitz auf der Oschatzer Straße in Pieschen. Der Anlass für den Aufruf war die Verhängung einer Ausgangssperre und die darauf folgende Belagerung der vorwiegend von Kurdinnen und Kurden bewohnten Stadt Cizre im Südosten der Türkei. Während der Demonstration, die sich von der Prager Straße bis zum Albertplatz zog, wurde immer wieder: „Was sind wir? Kurden! Was wollen wir? Frieden!“ skandiert. In den auf kurdisch, türkisch und deutsch gehaltenen Redebeiträgen wurde immer wieder Bezug auf die aktuelle Situation in Cizre und der Türkei genommen. Seit Montag protestiert eine Gruppe Kurdinnen und Kurden vor dem Sächsischen Landtag, um auf die Situation aufmerksam zu machen und bei der Politik für eine friedliche Lösung in Syrien, dem Irak und der Türkei zu werben.
Gleich zu Beginn der Demonstration beauflagte der anwesende Einsatzleiter der Polizei eine Fahne der syrischen Partei PYD. Das Zeigen dieser Fahne sollte nach seiner Auffassung unterbunden werden, da das Symbol dem verbotenen Parteisymbol der PKK ähneln würde. Erst nachdem sich etliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber beschwerten und dem Beamten zum Vergleich Google-Bilder der verbotenen Symbole zeigten, tolerierte er die Fahne schließlich doch noch. Die 2003 gegründete PYD gilt als Schwesterpartei der PKK, wird jedoch nicht als Terrororganisation eingestuft. Nach den Entwicklungen in Syrien waren in der vergangenen Monaten auch in Deutschland Stimmen laut geworden, die eine Aufhebung des Verbots der PKK im Zusammenhang mit den Kämpfen gegen den „Islamischen Staat“ (IS) forderten. Auf der Grundlage des demokratischen Konföderalismus konnten auch durch die Unterstützung der PKK mitten im blutigen Bürgerkrieg, der Syrien seit mehreren Jahren beherrscht, Bereiche relativer Sicherheit und Religionsfreiheit geschaffen werden.
Im Zuge der Belagerung von Cizre durch das türkische Militär, wurde die Versorgung mit Wasser und Strom in der Stadt eingestellt. Es kam zu bewaffneten Auseinandersetzungen, bei denen nach Angaben der mittlerweile abgesetzten Bürgermeisterin, Leyla Imret, bislang mindestens 24 Menschen von bewaffneten Sicherheitskräften getötet wurden, darunter auch Kinder. Da weder Krankentransporte fuhren, noch Verwundete behandelt werden konnten, kam die medizinische Grundversorgung fast zum Erliegen. Weil auch Bestattungen untersagt wurden, mussten die Leichen der getöteten Menschen provisorisch in Gefriertruhen aufbewahrt werden. Knapp 120.000 Menschen waren insgesamt neun Tage lang von der Außenwelt faktisch isoliert. Lediglich der Anwesenheit von zehn Abgeordneten der erst im Juni ins türkische Parlament gewählten prokurdischen HDP ist es zu verdanken, dass die Öffentlichkeit über die Geschehnisse informiert werden konnte und die tagelange Ausgangssperre inzwischen aufgehoben wurde. Cizre gilt als eine der Hochburgen der Partei, hier erhielt sie bei den Wahlen im Juni fast 90% der Stimmen.
Kurz vor den am 1. November 2015 anstehenden Neuwahlen befürchtet das kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, Civaka Azad, dass die Türkei weiter in Richtung eines Bürgerkrieges abdriften wird. Die Neuwahlen werden ohnehin unter extrem erschwerten und von massiver Gewalt beeinflussten Bedingungen stattfinden. So wurden allein in den letzten Wochen mindestens 130 Parteibüros der HDP von türkischen Faschisten und Nationalisten angegriffen und teilweise angezündet. Auch kurdische Geschäfte wurden immer wieder Ziel nationalistischer Angriffe. Zu Zusammenstößen zwischen pro-kurdischen Demonstranten auf der einen und türkischen Faschisten und Nationalisten auf der anderen Seite kam es auch in Deutschland. Erst am Samstag war bei Ausschreitungen in Hannover ein 26jähriger Kurde mit einem Messer schwer verletzt worden.
Veröffentlicht am 18. September 2015 um 22:18 Uhr von Redaktion in Antifa