Antifa

„Smash the Cis-tem – Destroy Borders“ – Interview mit dem antifaschistischen Jugendkongress

12. Juli 2022 - 16:04 Uhr - 2 Ergänzungen

Am Wochenende vom 15.-17. Juli findet bereits zum siebten Mal der antifaschistische Jugendkongress (JuKo) in Chemnitz statt. Sachsenweit reisen dazu antifaschistische Jugendliche in die ehemalige Karl-Marx-Stadt, um gemeinsam Perspektiven antifaschistischer Arbeit zu diskutieren, an Workshops teilzunehmen und Vorträgen zu lauschen. Wir haben uns die Zeit genommen, um mit den Organisator:innen über Antifa auf dem Land, Chemnitz und den Kongress zu sprechen.

Hallo liebes JuKo Orga-Team. Wollt ihr euch zu Beginn erst einmal vorstellen? 

Hey, wir sind das JuKo Orga-Team, ein Haufen junger und älterer Menschen, die den JuKo dieses Jahr auf die Beine stellen. Es gibt Menschen, die schon länger dabei sind und Menschen, die sich das erste Mal an solch einer Planung beteiligen. Besonders freut uns dieses Jahr, dass sich viele jüngere Menschen gefunden haben, die hier sehr aktiv mitorganisieren. Als Orga-Team kümmern wir uns darum, dass von der Themenfindung, über die Organisierung von spannenden Vorträgen und Workshops, bis hin zum Koordinieren der Bettenbörse und der Verpflegung alles läuft. Wir wollen, dass der JuKo eine interessante und spannende Veranstaltung zum mitmachen wird, aber auch, dass sie einen Safe Space für alle darstellt.

Was ist der JuKo eigentlich und an wen richtet er sich und wie können Interessierte daran teilnehmen? 

Der JuKo ist ein Kongress von jungen Menschen für junge Menschen, die die wachsenden faschistischen Tendenzen, vor allem in Sachsen, aber auch darüber hinaus nicht einfach tatenlos hinnehmen, sondern sich positionieren und organisieren wollen. Dabei hat der Kongress als zentrales Ziel: Menschen zusammen zu bringen und einen Raum für Austausch über das persönliche Erleben, gemeinsame Strategien und Perspektiven zu schaffen. Dazu sind von interessierten Menschen, die aber noch keine Kontakte und Organisierung haben, bis hin zu langjährig organisierten Menschen der Szene alle herzlich Willkommen. Umso diverser, desto besser. Die Teilnahme ist recht easy. Am besten geht man einfach auf unsere Webseite: https://antifaschistischer-jugendkongress.org/. Dort können sich Interessierte (anonymisiert) anmelden und auch angeben, ob ein Schlafplatz gebraucht wird oder welche sonstigen Bedürfnisse bestehen. Wir vom Orga-Team kümmern uns dann darum.

Warum braucht es speziell einen Kongress für Jugendliche? Welche genaue Ausrichtung habt ihr für Jugendliche? 

Junge Menschen, also wir, sind in jeder Gesellschaft die Zukunft, das liegt in der Natur der Sache. Doch Dinge verändern sich nicht einfach mit der Zeit. Es benötigt dafür Menschen, die etwas machen, Position beziehen und aktiv werden. Mit dem anhaltenden Rechtsruck in Sachsen, politisieren sich viele Jugendliche allein durch eigene, zum Teil heftige Erfahrungen und entwickeln politische Ansichten. Die Relevanz liegt also in unserer politischen und alltäglichen Realität, in der wir uns bewegen. Wir als Organisator:innen finden es wichtig, darüber in Austausch zu kommen, uns zu bilden und voneinander zu lernen. Getreu dem Motto: „Each one teach one!“. Es ist wichtig zu erfahren, dass wir nicht allein sind und es solidarische Strukturen wie den JuKo gibt.

Mittlerweile hat sich der JuKo ja etabliert. Was war der Grund, weswegen ihr damals angefangen habt, die Veranstaltung zu organisieren, mit welcher Problemstellung wart ihr konfrontiert?

Der erste JuKo 2016 war eine Konsequenz aus den rassistischen Mobilisierungen und pogromartigen Ausschreitungen der Jahre 2014, 2015 und 2016. Nach Jahren der Feuerwehrpolitik und einer reinen Reaktion auf den hiesigen Rechtssog, entschied sich das Bündnis WASTELAND nicht mehr nur zu reagieren, sondern eigene, progressive Ideen und Inhalte an junge Menschen zu vermitteln und Organisierung und Vernetzung voran zu treiben.

Im Letzten Jahr war „Antifa Beyond“ euer Themenschwerpunkt. In diesem Jahr steht der JuKo unter dem Motto „Smash the Cis-tem – Destroy Borders“. Was können wir darunter verstehen? Wie spiegelt sich das Thema in eurem diesjährigen Programm wieder?

Antifaschismus ist seit eh und je eine Grundhaltung die neben dem konkreten Kampf gegen Neonazi-Strukturen immer auch eng mit anderen sozialen Kämpfen verknüpft ist. Antifa heißt auch Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Transfeindlichkeit und das Patriarchat. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass grenzübergreifend ein Kulturkampf von rechts stattfindet. Mit dem Aufwind rechter Gruppen und Parteien sind diskriminierende Ansichten und Aussagen nicht nur wieder „salonfähig“ geworden, auch langfristig erkämpfte Errungenschaften, wie die der (queer-)feministischen Bewegung stehen zunehmend unter Beschuss. Wir sehen zum Beispiel, wie sich freikirchliche Organisationen, braune Esoteriker:innen und völkische Siedler:innen zu den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen zusammen tun, aber auch gegen Abtreibungen demonstrieren und Hass gegen marginalisierte Gruppen schüren. So wird auch der antifeministische Rollback vorangetrieben. Deswegen stellen wir dieses Jahr Workshops und Vorträge mit feministischen Themen in den Mittelpunkt. Viele gesellschaftliche Problemlagen werden aus (queer-)feministischer aber auch materialistischer Perspektive betrachtet. Schaut gern auf unserer Website unter dem Programmpunkt vorbei, es wird für jede:n etwas dabei sein!

Was können Besucher:innen noch so erleben, wenn sie vom 15.-17. Juli zu euch nach Chemnitz kommen?

Neben Inputs und Diskussionen, ist der JuKo auch einfach ein netter Ort, um gleichgesinnte Menschen mit ähnlichen Lebenserfahrungen und Zukunftsvisionen kennenzulernen und überregionale Vernetzungen zu knüpfen. Und noch dazu ist ein Sommer-Wochenende in Chemnitz auch nice. 

Seit dem ersten JuKo 2016 seid ihr in Chemnitz. Könnt ihr uns erklären, warum ist eure Wahl auf diese Stadt gefallen? Was macht die Stadt aus und welche Probleme gibt es dort?

Chemnitz war anfangs tatsächlich ein Kompromiss. Wir wollten raus aus den vermeintlichen Wohlfühlzonen, benötigten aber auch eine gewisse Infrastruktur. Zudem weist Chemnitz eine seit Jahrzehnten gewachsene und gefestigte Rechte auf, der es etwas entgegenzusetzen gilt.

In den letzten Jahren habt ihr ja, wie in Sachsen häufig üblich, nicht nur durch die AfD, sondern auch durch die konservative CDU-Landesregierung Gegenwind bekommen. Wie ist da gerade der Stand? Wird immer noch versucht, euch Steine in den Weg zu legen?

Die letzten Jahre kam da eigentlich nix mehr, die Hufeisen fliegen nur noch selten und nicht mehr ganz so tief. Von Substanz war die „Kritik“ sowieso nie und inhaltlich wurde sich auch nicht mit uns auseinander gesetzt. Deswegen tangiert uns „Kritik“ aus der rechten Ecke eher so gar nicht!

Ihr könnt ja mit dem Kongress einen guten Überblick bekommen, wie der Stand der Antifabewegung in Sachsen gerade ist. Welche Problemlagen sind gerade besonders dringlich? Welche Wege sollte einen antifaschistische Bewegung einschlagen?

In diesen Zeiten jagt eine Krise die nächste. Wir versuchen jene Krisen, wie die Klimakatastrophe, Corona-Krise, Pflege-Krise und den Krieg in der Ukraine in einer währenden kapitalistischen Kontinuität der gewaltvollen Ausbeutung von Mensch und Natur kritisch zu betrachten, ebenso wie die Probleme, die dadurch entstehen. 

Mit der Corona-Pandemie konnte man sehen, wie Leugnungs- und Hetzkampagnen von Rechts zunehmend in Gewalt gegen Minderheiten und antidemokratische Auswüchse mündeten. Zugleich sind wir mit neuen Gegenstrukturen konfrontiert. Die herbei halluzinierten Grenzen zwischen der angeblichen Mitte der Gesellschaft und Rechts verwischen mehr und mehr und der Schulterschluss verschiedenster Gruppen stellt uns vor neue Herausforderungen. 

In Sachsen wird die Arbeit von Antifas seit jeher diskreditiert und kriminalisiert. Wir stehen nicht nur einem Feind gegenüber, sondern versuchen mehrere Brände gleichzeitig in Schach zu halten. Umso wichtiger sind der Juko, oder ähnliche Veranstaltungen, um nicht nur der Regression hinterher zu rennen, sondern junge Leute zu empowern und auch im „Hinterland“ gut vernetzt zu sein und gemeinsam zu kämpfen. 

Ihr habt es euch ja auch zum Ziel gemacht, antifaschistische Jugendliche aus der ländlichen Region anzusprechen. Könnt ihr uns erklären, welche Unterschiede zwischen der Antifaarbeit in der Stadt und dem Land bestehen? Vor welche besonderen Herausforderungen sind Jugendliche im ländlichen Raum gestellt und wie gestaltet sich einen Zusammenarbeit mit der Antifa in der Stadt?

Der Druck von Rechts ist in vielen kleineren Kommunen leider höher als in der Stadt. Das spiegelt sich auch in den Wahlergebnissen wieder. Eine Vielzahl an Berichten zeigen, wie strukturell benachteiligte Regionen schon seit der Wendezeit kontinuierlich Ziel faschistischer Machtfantasien waren. Aber auch die mangelnde Demokratisierung großer Teile der sächsischen Gesellschaft und der seit 1990 währende CDU-Absolutismus, mit seinem für ihn überlebenswichtigen Kampf gegen alles links der CDU stehende, spielen eine große Rolle. 

Aktuell erleben wir immer wieder, wie sächsische Dörfer und der ländliche Raum im Osten generell von Neonazis besiedelt werden, wie sie durch perfide Maschen an hohe Ämter innerhalb dörflicher Strukturen gelangen, leerstehende Immobilien aufkaufen und ihre Freunde nachholen. So wird versucht, faschistische Netzwerke aufzubauen und an Einfluss zu gewinnen. Speziell junge Menschen sind dort häufig Zielscheibe von Vereinnahmungsversuchen und sollen als Nachwuchs herhalten. Menschen mit einer kritischen Grundhaltung und Gerechtigkeitssinn haben es dort nicht leicht und junge Queers und PoCs sind immer wieder rechter Gewalt und Hetze bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt. Die Situation ist heftig. 

Umso wichtiger ist, dass wir das Konzept der stadbezogenen Antifa Gruppen auflösen. Wir stehen alle den gleichen Machtstrukturen gegenüber, einige von uns trifft es mehr als andere. Die Privilegien, die wir uns in Großstädten aufgebaut haben, zählen meist nicht für kleinere Städte oder Dörfer. Antifas im Hinterland dürfen nicht zurückgelassen werden.

Zum Abschluss würden wir gerne von euch wissen, wie sieht Sachsen in 10 Jahre in eurer Utopie aus?

Das ist eine wirklich schwere Frage. Die Folgen des Kapitalismus und die ihm inhärenten Krisen werden sich global immer heftiger verschärfen und hinterlassen ja jetzt schon ihre Spuren im Geldbeutel und Einkaufskorb vieler Menschen. Die Frage ist nicht mehr, ob es Auswirkungen auf unser aller Leben geben wird sondern eher, wie heftig diese werden und wie wir diese solidarisch auffangen können! 

Im besten Fall schaffen wir die nötigen Transformationsprozesse zu durchlaufen und nachhaltige Strukturen abseits des Kapitalismus zu schaffen, damit wir das mit dem Klima und unseren Lebensgrundlagen schaffen. Aber klar ist, dass wir so oder so mit wachsendem Druck und Unmut in der Gesellschaft rechnen und Antworten her müssen. Antworten die intersektional, antifaschistisch und antikapitalistisch sind und denen wir auf und durch den JuKo ein gutes Stück näher kommen wollen.

Wir wissen natürlich, dass das nicht leicht wird und unsere politischen Gegner kontinuierlich daran arbeiten, uns Steine in den Weg zu legen und Unmut, Hass und Gewalt stiften. Doch wir sind überzeugt, dass, wenn wir uns zusammen tun und konsequent für unsere Visionen kämpfen, vieles möglich ist und wir mit den Steinen, die uns in den Weg gelegt werden, eine solidarische Gesellschaft aufbauen werden können.

Habt ihr noch etwas, was ihr unseren Leser:innen mitteilen wollt?

Kommt zum JuKo und bringt eure Freund:innen mit, wir freuen uns auf euch!

Vielen Dank für das spannende Interview und viel Erfolg, gutes Wetter und spannende Inputs und Diskussionen beim diesjährigen JuKo. Siempre Antifascista!


Veröffentlicht am 12. Juli 2022 um 16:04 Uhr von Redaktion in Antifa

Ergänzungen

  • Ich frage mich ob der Slogan irgendwas mit den Programm zu tun haben muss? ‚Fight the cis-tem‘ ist ja nicht nur ein feministischer, antisexistischer Aufruf, er bezieht sich ganz direkt auf die Norm der Zweigeschlechtlichkeit, und meint damit die Kämpfe von trans*- inter- nichtbinär und agender people. Ich hab im Programm aber fast nichts darüber gefunden, nur so 1 Erwähnung…??

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