Punk 1 : Verfassungsschutz 0
2. August 2019 - 10:18 Uhr
Die Band Dr. Ulrich Undeutsch wurde vom sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) als linksextreme Musikgruppe im jährlichen Verfassungsschutzbericht erwähnt. Dagegen hat die Band geklagt und einen ersten gerichtlichen Erfolg erzielt. Der Verfassungsschutzbericht 2018 darf ins seiner derzeitigen Form nicht mehr weiterverbreitet werden.
Das LfV wird in einem Urteil des Verwaltungsgerichtes Dresden vom 31.07.2019 (Aktenzeichen: 6 L 447/19) dazu verpflichtet, die Erwähnung der Band Dr. Ulrich Undeutsch im Verfassungsschutzbericht 2018 zu löschen und die weitere Verbreitung des Berichts in dieser Form bis auf weiteres zu unterlassen. Die Richter haben einem Antrag auf Eilrechtsschutz der Band vom 07.06.2019 damit vollumfänglich stattgegeben. Der Band stehe laut Urteil das Grundrecht auf Kunstfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorbehaltlos zu. Die Bezeichnung der Band Dr. Ulrich Undeutsch als linksextrem sei dazu geeignet „sich abträglich auf ihr Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken und ihr gegenüber damit eine mittelbar belastende negative Sanktion darzustellen“. Die Verdächtigungen des LfV, die gegenüber der Band vorgetragen worden sind, reichen demnach nicht aus, um einen solchen Eingriff zu rechtfertigen. Die Rechtslage sieht vor, dass tatsächliche und beweisbare Gründe vorliegen müssen, die die Verfassungsfeindlichkeit nachweisen. Das Gericht kommt zu dem Schluss: „Die Art und Weise der Berichterstattung im Verfassungsschutzbericht 2018 benachteiligt die Antragstellerin [Dr. Ulrich Undeutsch, Anm. Redaktion] unverhältnismäßig und ist bereits aus diesem Grund rechtswidrig.“
Wenn die Band Dr. Ulrich Undeutsch in den letzten beiden Jahren einen Konzertauftritt hatte – auch dann wenn er manchmal nur vor 20 Leuten stattgefunden haben mag – wurde eine ganze Armada der sächsischen Ordnungs-und Sicherheitsbehörden in Bewegung versetzt. Der Verfassungsschutz informierte dann die zuständige Ordnungsbehörde der Kommune, die regionale Polizeidirektion und die Betreiber des Konzertstandortes. Oft hatte dies zur Folge, dass die zuständige Bauaufsicht und das Ordnungsamt den Konzertstandort penibel prüften, dass die Polizei mehrere Einsatzkräfte zur Verfügung stellte und dass das LfV das Konzert observierte. Teilweise wurde auf die Betreiber des Konzertstandortes Druck ausgeübt, um das Konzert im Vorfeld zu verhindern.
Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet so viele MusikerInnen als „linksextrem“, wie keine andere Verfassungsschutzbehörde in der Bundesrepublik. Ein ganzes Dutzend sogenannter linksextremer Bands oder LiedermacherInnen waren laut dem aktuellen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2018 Beobachtungsobjekte des sächsischen Geheimdienstes. Diesen Bericht muss das LfV nach dem Urteil so schwärzen, dass die Band Dr. Ulrich Undeutsch nicht mehr darin auftaucht. Sollte das Urteil Bestand haben, dann wird es gar dazu kommen, dass das gesamte Kapitel zur „linksextremen Musikszene“ aus dem Bericht gelöscht oder ganz grundlegend verändert werden muss. Juristinnen und Juristen sehen die Beobachtung von Musikgruppen durch den Inlandsgeheimdienst schon seit vielen Jahren sehr kritisch.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zur Frage der „Verfassungsfeindlichkeit“ von Musik spricht eigentlich eine klare Sprache. In der Vergangenheit gab es eine Reihe von Urteilen, die den Verfassungsschutz diesbezüglich in seine Schranken weisen sollten. In Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes wird die Kunstfreiheit ausdrücklich als ein zu schützendes Grundrecht formuliert. Laut herrschender Meinung des BVerfG ist Musik als Kunst zu werten, wenn die Gattungsanforderungen „Komposition“ und „Dichtung“ erfüllt sind. Dabei komme es „auf die ‚Höhe‘ der Dichtkunst nicht an“. In einem Urteil zum Lied „Deutschland muss sterben“ der Punkband Slime kamen die Richter im Februar 2000 zu dem Urteil, dass auch „plakative, drastische Kritik“, „symbolhaft überfrachtete Bilder“ oder „karikaturhaft überzeichnete Ausdrücke“ gegen den deutschen Staat ausgehalten werden müssen. Es erscheint den Richtern zweifelhaft, ob das Abspielen oder Mitsingen von Liedern überhaupt „zu einer Gefährdung des Bestands der rechtsstaatlich verfassten Demokratie der Bundesrepublik Deutschland“ führen könne. Wenn das LfV diese Rechtsprechung ernst nimmt, dann sind der Beobachtung von Musikgruppen bereits heute sehr hohe Hürden gesetzt.
Die Band Dr. Ulrich Undeutsch meint in einer ersten Stellungnahme zum Urteil des Verwaltungsgerichtes Dresden: „Bei allem was von Seiten des VS über uns geschrieben wurde, besteht auch nicht der Eindruck, dass sich in dieser Behörde schon einmal eine Person wirklich mit Punkrock auseinandergesetzt hat. Die Unkenntnis gewisser Gepflogenheiten ist schon wieder fast beeindruckend.“ Die Band fühle sich durch das Urteil ermutigt darin, auch weiterhin auf künstlerische Art Gesellschaftskritik und Antifaschismus offensiv zu vertreten. Denn, so die Bandmitglieder in ihrer Stellungnahme: „Solang diverse Unterdrückungsmechanismen in der Gesellschaft noch verankert sind, ist Punk als Subkultur ein geeignetes Mittel den Finger in die Wunde zu legen.“
Die Niederlage des Verfassungsschutz ist auch eine für den MDR Sachsen, der im Frühjahr der Band Gewaltaufrufe unterstellt und die Behauptungen des Verfassungsschutzes ungeprüft und uneingeordnet übernommen hatte. Dabei berief sich der MDR auf ein aus dem Kontext gerissenes Zitat der Band. Die Band selbst haben die MDR-Journalisten jedoch nie persönlich befragt. Sie hatte im Anschluss auf die falsche Berichterstattung aufmerksam gemacht.
Veröffentlicht am 2. August 2019 um 10:18 Uhr von Michael Bergmann in Antifa