Antifa

Plädoyers der Verteidigung im Antifa Ost Verfahren: Freispruch gefordert, Verlängerung bekommen

25. April 2023 - 09:19 Uhr

Oberlandesgericht Dresden

Am 94. und 95. Verhandlungstag, zwei Wochen nach dem Schlussvortrag der Bundesanwaltschaft (BAW), hielten die ersten Verteidiger:innen ihre Schlussplädoyers. In der überwiegenden Mehrzahl der Vorwürfe sprachen sich die Verteidigung von Lina und einem weiteren Angeklagten für den Freispruch ihrer Mandant:innen aus. Vor allem vom Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung seien sie zu entlasten. 

Den Auftakt des gut sieben stündigen Vortrages am Mittwoch machte der renommierte Berliner Strafverteidiger Ulrich von Klinggräf, der analog zur BAW mit einem Vorwort begann. Hierin kritisierte er sie für ihre politische Einordnung des Verfahrens massiv. Diese sei eine, zwar populäre, aber umso unwahrere Darstellung der politischen Realität in der Bundesrepublik. Sie konstruiere eine sterile Weltsicht, in der eine unbescholtene bürgerliche Mitte von den politischen Rändern her bedroht werde. Weder kämen hier die Opfer menschenverachtender, neonazistischer Ideologie vor, noch die anhaltende Vertuschung, Nicht-Aufarbeitung und Bagatellisierung durch staatliche Behörden. Ähnlich äußerte sich auch Erkan Zünbül, der der BAW vorwarf, mit dem Sicherheitsaufgebot rund um den Prozess zu suggerieren, es handele sich bei den Angeklagten um Terrorist:innen, die sich der Strafverfolgung entziehen wöllten. Man hätte aber der Angeklagten ein Ticket in die Hand drücken können und sie wäre trotzdem jederzeit pünktlich vor Gericht erschienen. 

Das Dunya Collective berichtete von den Prozesstagen live

Auch die beiden Verteidiger:innen, die am späten Mittwoch Nachmittag und Donnerstag Morgen sprachen, gingen davon aus, dass ihrem Mandant lediglich im Falle des Angriffs auf Leon Ringl am 14. Dezember 2019 eine Tatbeteiligung nachzuweisen sei. Die Entlastung ihres Mandanten stützte die Anwältin Rita Belter dabei maßgeblich auf die Aussage des Kronzeugen Johannes Domhöver. Sie hätten gezeigt, dass er keine Bezüge zu ihrem Mandanten gehabt hätte. Darüber hinaus, und das sei entscheidend, hätte der Zeuge etwas anderes geschildert, als die Ermittler:innen vom Landeskriminalamt (LKA) daraus gemacht hätten. Seine Aussagen zu dem Personenkreis ergäben, dass es sich, soweit belegbar, um einzelne Straftaten gehandelt hätte, die unterschiedliche Leute geplant hätten und die anlassbezogen auf Personen zurück gegriffen hätten. Dies sei eben nicht von dem im Jahr 2017 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität reformierten Paragrafen 129 StGB abgedeckt. Nur weil dieser keine eindeutige Vereinigungsstruktur vorrausetze, sei immer noch ein Nachweis über eine überhaupt organisierte Struktur zu erbringen. Eben diese liege nicht vor. 

Die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen

In ihrem Schlussvortrag wies Belter auch daraufhin, dass beim Prozess gegen Domhöver am Landgericht Meiningen, dieser eine andere Version der Trainings schilderte, als er das in Dresden getan habe. Bei den Trainings sollen Angriffe auf Neonazis einstudiert worden sein. Sie sind der zentrale Nachweis in der Argumentation der BAW für das Bestehen einer kriminellen Vereinigung. 

Auch Edgar Lopez berichtete wieder vom Hammerweg Dresden.

Daraufhin entfaltete sich ein bizzarer Streit, um diese Aussage: Richter Schlüter-Staats eröffnete direkt nach einer kurzen Pause die Beweisaufnahme erneut und verlas einen Artikel des Solidaritätsbündnis Antifa Ost, welcher von der Verhandlung in Meiningen berichtet. In diesem steht, Domhöver habe von „Kampfsporttrainings für Überfälle auf Nazis“ berichtet. Kaum war die Verlesung abgeschlossen, fuhr er die Verteidigung schroff an, wie sie auf die Behauptung, Domhöver habe etwas anderes gesagt, komme. Jeglichen Antwortversuch unterbrach der Richter und wurde dabei immer lauter, bis schließlich die Verteidigung eine Unterbrechung beantragte. 

Nach der Mittagspause gab die Verteidigung eine Erklärung zu dem Prozessbericht aus Meiningen ab. Sie stellte klar, dass zwei der Angeklagten aus Dresden zugegen gewesen seien, es sich um einen gekürzten Bericht handele und ihr bekannt geworden sei, Domhöver sei mit der Erwartung zu den Trainings gefahren, dass dort Überfälle geplant werden würden, was aber nicht eingetreten sei. Außerdem beantragte sie die Ladung eines Zeugen, der den Bericht verfasst habe und zu dieser Stunde im Verhandlungssaal in Dresden anwesend sei. 

Sport, Spaß und soziale Kontakte“

Erstmals betrat daraufhin ein Zeuge der Verteidigung den Gerichtssaal, noch dazu ohne einen Zeugenbeistand. Bisher war dies nicht vorgekommen und vom Gericht geladene Zeug:innen hatten ihre Aussagen weitestgehend verweigert. Die Gefahr innerhalb der Ermittlungen nach Paragraf 129 selbst ins Visier der Ermittlungsbehörden zu geraten ist hoch. Eine Frau, die vor das Gericht als Zeugin geladen war, firmiert mittlerweile als Beschuldigte in dem Verfahren selbst. 

Schnell wurde klar, dass der Zeuge durch Senat und BAW nicht gern gesehen war. Mehrfach wurde ihm mit einer Anzeige wegen Falschaussagen gedroht, doch der Zeuge blieb dabei, Domhöver habe die Trainings in seinem eigenen Prozess mit „Sport, Spaß und sozialen Kontakten“ umschrieben. Der eklatante Unterschied sei ihm in seiner Relevanz für das Urteil erst spät aufgefallen, doch für ihn liege auf der Hand, dass der Kronzeuge in beiden Prozessen sehr unterschiedliche Interessen bei seiner Aussage verfolge. Dementsprechend sage er eben aus, wie es für ihn besser passen würde. Tatsächlich dürfte die BAW einen großen Abschnitt ihres Schlussvortrages neu schreiben müssen, sollte sich die Aussage des Zeugen durch weitere Zeug:innen erhärtet werden. Diese sind nun für den 10. Mai 2023 geladen. 

Bildquelle: @dunyacollective


Veröffentlicht am 25. April 2023 um 09:19 Uhr von Redaktion in Antifa

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