NPD-Kundgebung endet mit Flucht in den Landtag
18. Juni 2014 - 22:24 Uhr - Eine Ergänzung
Gerade einmal achtzig Nazis fanden sich am Dienstag in Dresden vor dem Haus der Presse in der Ostraallee für eine Kundgebung der NPD zusammen. Das Ziel ihrer für 18 Uhr angemeldeten Kundgebung war es, unter dem Motto: „Für echte Demokratie – gegen Medienwillkür!“, auf eine vermeintliche Zensur lokaler Medien vor den Wahlen zum Europaparlament aufmerksam zu machen. Die mit 300 Menschen gut besuchte Gegendemonstration führte schon 16 Uhr vom Fritz-Förster-Platz zum Ort des Geschehens und sorgte dafür, dass ein Abmarsch der Nazis in Richtung Innenstadt unmöglich wurde. Auf der anderen Seite blockierten unweit der Könneritzstraße ebenfalls mehr als 100 Menschen die Straße. Ihr gemeinsames Ziel war es, eine spontane Demonstration der Nazis schon im Vorfeld zu verhindern und in unmittelbarer Nähe zur NPD-Kundgebung lautstarken Protest zu ermöglichen. (Bilder 1 | 2 | 3 | Video) Wie schlecht es um die vor einem Verbotsverfahren stehende Partei auch im „Kernland“ Sachsen aktuell steht, zeigte sich wenig später an der personellen Zusammensetzung der Sprecher an diesem Tag, welches fast deckungsgleich mit dem vorangegangener Kundgebungen in der sächsischen Landeshauptstadt war.
Als die eingesetzte Polizei etwa 40 Nazis nach dem Ende der Kundgebung zum Gebäude des Sächsischen Landtag eskortierten wollte, setzten sich auch etliche der insgesamt rund 500 Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten in Bewegung. Die Situation eskalierte schließlich, als eine BFE-Einheit offensichtlich die Kontrolle verlor und gegen die protestierenden Menschen wahllos mit Pfefferspray und Schlagstöcken vorging, während zeitgleich die Nazis Unterschlupf im Parlamentsgebäude suchten. Nach Informationen der Dresdner Neuesten Nachrichten sei diese zeitweilige Unterbringung nach Absprachen zwischen dem stellvertretenden Sicherheitsbeauftragten des Landtags und der Polizei erfolgt. Die zunächst geflüchteten Nazis wurden später in kleinen Gruppen unter Polizeischutz zu ihren Fahrzeugen gebracht.
Doch der Einsatz wirft inzwischen einige Fragen auf. So begründete die Polizei ihr gewaltsames Vorgehen damit, dass es von „mehreren Gewaltbereiten“ Versuche gegeben haben soll, die Nazigruppe aufzuhalten. Bei den anschließenden „Rangeleien mit den Einsatzkräften“ sei nach Polizeiangaben auch Pfefferspray eingesetzt worden. Ein gänzlich anderes Bild ergibt sich jedoch aus den Schilderungen der Grünen Jugend Dresden: „So wurde einer jungen Studentin durch einen Beamten mehrmals ins Gesicht geschlagen und ein älterer Herr, der Zeuge dieser Situation war, der Arm durch den gleichen Polizeibeamten ohne vorherige Androhung so stark verdreht, dass er noch vor Ort vom Rettungsdienst behandelt werden musste. Trotz mehrfacher Nachfrage durch die Geschädigten und mehrere Zeuginnen und Zeugen hat der Polizeibeamte seinen Namen nicht nennen wollen. Erst nach Einschaltung einer Anwältin vor Ort konnten die Daten des Beamten aufgenommen werden. Gegen den Polizisten wurde noch am Abend Strafanzeige erstattet.“. Erst Anfang Mai war die sächsische Polizei in Plauen in eine Kirche eingedrungen und war anschließend gewaltsam gegen Menschen vorgegangen, die zuvor gegen eine rechte Demonstration protestiert hatten.
Auch im Parlament sorgte der Vorgang für Empörung. Die Oppositionsparteien sahen darin eine Verletzung der Würde des Hauses und verlangten Aufklärung darüber, wieso CDU-Landtagspräsident Matthias Rößler am Abend zuvor telefonisch sein Einverständnis gegeben hatte, den Nazis den Zutritt zum Parlamentsgebäude zu gestatten. Der Fraktionschef der Linken, Rico Gebhardt, sprach nach der Verschiebung der Landtagsdebatte zu diesem Thema von einem Affront gegenüber jenen Menschen, „die mit ihrer Zivilcourage dafür gesorgt haben, dass die Nazis nicht die Straßen und Plätze besetzen können“. Vielmehr sei es die Aufgabe des Präsidiums ein „klares Signal“ dafür zu setzen, „dass der Landtag kein Ausweichquartier für Nazi-Demonstranten ist“. Sowohl Eva Jähnigen von den Grünen, als auch SPD-Fraktionsführer Martin Duhlig forderten eine „konsequente Aufklärung“ des Vorfalls.
Rede des Linken-Politikers Rico Gebhardt:
Für Kritik sorgte zudem die fehlende Zustimmung durch Landtagspräsident Rößler, die Ereignisse noch am Tag darauf zum Gegenstand einer Präsidiumssitzung zu machen. Nach der Weigerung Rößlers das Thema auf die Tagesordnung zu setzen, hatte die Opposition geschlossen den Sitzungssaal verlassen. Erst am Nachmittag gab Rößler dieser Forderung schließlich nach. Mit Spannung dürfte nicht nur die Opposition auf den von Innenminister Markus Ulbig (CDU) für Morgen angekündigten Bericht warten. Dabei soll es unter anderem um die Gefahreneinschätzung der Polizei vor dem Parlamentsgebäude gehen. Ob damit jedoch auch in Zukunft gewalttätige Übergriffe durch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte verhindert werden können, ist angesichts vergleichbarer Vorfälle in der Vergangenheit und der Weigerung, ähnlich wie in anderen Bundesländern eine Kennzeichnungspflicht einzuführen, illusorisch. Doch auch wenn eine derartige Zusammenarbeit zwischen Polizei und Nazis ernüchternd ist, stimmt es dennoch zuversichtlich, dass im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der NPD-Kundgebung um Udo Pastörs abermals kleiner geworden ist.
Radiobeiträge zum Thema: Interview zu den Demonstrationen am 17. Juni 2014 in Dresden
Veröffentlicht am 18. Juni 2014 um 22:24 Uhr von Redaktion in Antifa, Nazis