Interview mit der Initiative »Pogrom 91«
6. September 2011 - 22:59 Uhr - 2 Ergänzungen
Vor 20 Jahren wütete der deutsche Mob in Hoyerswerda. Über mehrere Tage zogen Teile der Hoyerswerdaer Bevölkerung vor die Behelfswohnungen der Asylsuchenden und griffen Personen und Wohnhäuser an. Dabei konnten sie sich nicht nur einem großen Rückhalt in der Bevölkerung sicher sein, auch die Polizei tat wenig, um die Angriffe zu verhindern. So konnten mehrere Molotow Cocktails in die Wohnhäuser geworfen und Jagd auf Menschen nichtdeutscher Herkunft gemacht werden. Dieses dunkle Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte will die Initiative „Pogrom91“ nicht einfach abschließen, sondern an die Taten kurz nach der Wiedervereinigung erinnern und Betroffene zu Wort kommen lassen. Auf der Website der Initiative finden sich zahlreiche Artikel und Hintergrundinformationen zu den Ausschreitungen. Am 17. September, dem ersten Tag der Pogrome, ruft die Initiative zu einer Gedenkdemonstration in Hoyerswerda auf.
Wir haben mit der Initiative „Pogrom 91“ ein Interview geführt. Wir fragten nach, was ihre Motivation und wie die Situation in Hoyerswerda 20 Jahre nach den rassistischen Ausschreitungen ist.
Wer seid ihr und warum eine Initiative 20 Jahre nach den rassistischen Pogromen?
Wir sind ein Bündnis verschiedener HoyerswerdaerInnen – die meisten von uns haben die Stadt allerdings inzwischen verlassen. Wir haben uns gegründet, weil die Ereignisse vom September 1991 in Hoyerswerda mehr und mehr in Vergessenheit geraten. Mit einer Vortragsreihe, einem Aufruftext und einer Gedenkdemonstration wollen wir diesem Vergessen etwas entgegensetzen. Vor fünf Jahren, zum 15. Jahrestag des rassistischen Pogroms, gab es eine antirassistische Demonstration in Hoyerswerda, die von Antifa-Gruppen organisiert wurde. Die Stadt dagegen errichtete auf einer eigenen Gedenkveranstaltung eine Stele, auf welcher an die Ereignisse von 1991 als „extremistische Ausschreitungen“ erinnert wurde. Unserer Meinung nach ist das jedoch eine falsche Einordnung, welche die Schuld abwehren und die Ereignisse relativieren soll. 1991 wütete ein Mob von Nazis und auch BürgerInnen aus Hoyerswerda. Der einzig richtige Begriff, welcher die Angriffe auf die Wohnheime von Asylsuchenden und VertragsarbeiterInnen passend beschreibt, ist für uns die Bezeichnung als rassistischer Pogrom.
Wie ist die Situation heute in Hoyerswerda?
Nicht nur unsere Initiative befasst sich mit dem 20. Jahrestag der Ereignisse von Hoyerswerda. Die RAA Hoyerswerda und die Kulturfabrik organisierte ein langfristiges Schulprojekt zur Aufarbeitung der Geschehnisse. Die Stadt veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Bautzen eine „Interkulturelle Woche“, in der 1991 allerdings nicht konkret thematisiert wird: wir kritisieren diese Veranstaltung als reine Imagepflege. Eine Ausstellung zu den konkreten Ereignissen, die in Räumen der Stadt organisiert wird, sehen wir allerdings als einen Schritt in die richtige Richtung. Wir sehen es als eine Leistung der bereits erwähnten Antifa-Kampagne zum 15. Jahrestag des rassistischen Pogroms, dass das Thema überhaupt wieder in Hoyerswerda aufgegriffen wird. Jahrelang wurde sich überhaupt nicht damit beschäftigt. In der Chronik auf der Internetseite der Stadt findet sich zum September 1991 ein einziger Satz. Das macht deutlich, dass es wichtig ist, auch zum 20. Jahrestag weiterhin das Thema aufzugreifen – dass Veränderungen möglich sind, zeigt die Ausstellung, die von der Stadt organisiert wird.
Was für ein Ziel habt ihr euch gesetzt?
Es fehlt bis heute ein Ort, der auch dauerhaft an den September 1991 erinnert und ein Vergessen unmöglich macht. Wir fordern deshalb ein Mahnmal, welches in der Stadt an die Geschehnisse erinnert – und zwar als das, was sie waren: ein rassistischer Pogrom, an dem BürgerInnen von Hoyerswerda maßgeblich beteiligt waren. Schließlich hat auch erst die offene Sympathie für die TäterInnen und das akzeptierende Stillschweigen großer Teile der Hoyerswerdaer Bevölkerung die Ereignisse überhaupt ermöglicht.
Steht ihr in Kontakt mit der Stadt? Wie reagiert diese auf eine solche kritische Geschichtsaufarbeitung?
Wir haben einen offenen Brief an den Oberbürgermeister der Stadt geschrieben, in dem wir auf unsere Forderung nach einem Denkmal aufmerksam machten. Auch die Presse wurde darüber informiert. Der Brief kann auf unserer Internetseite nachgelesen werden. Auf unserer Gedenkdemonstration, die am 17. September um 14 Uhr am Bahnhof Hoyerswerda beginnt, werden wir einen Entwurf für ein solches Denkmal bereits zur Probe in der Stadt aufstellen.
Veröffentlicht am 6. September 2011 um 22:59 Uhr von Redaktion in Antifa