Fragmente und Frequenzen: Das Dresdner Industriegelände im Nationalsozialismus.
6. Februar 2024 - 11:26 Uhr
Anlässlich eines Podiumsgespräches zur Dresdner Erinnerungskultur im Club Objekt Klein a am 7. Februar 2024 sprach addn.me mit der Gruppe Fragmente & Frequenzen. In der Diskussion mit Barbara Lubich von der AG Erinnern des Zentralwerk Dresden und Dr. David Klein vom Kulturamt Dresden wird die Gruppe ihre Forschungsergebnisse zum Industriegelände während des Nationalsozialismus vorstellen.
Wie seid ihr zu diesem Thema gekommen? Wer seid ihr?
Lieben Dank für die Anfrage und euer Interesse. Wir sind ein Zusammenschluss verschiedener Leute, die sich darüber gewundert haben, wie wenig man doch über die Geschichte des Industriegeländes weiß. Einige von uns haben auf der Meschwitzstraße Räume gemietet, da brannte die Frage nach der Historie schon lange unter den Nägeln. Und die Clubs und Off-Locations im Industriegelände werden jedes Wochenende von hunderten Menschen besucht. So machen seit Jahren viele Gerüchte und Halbwissen um das Areal die Runde.
Im Zentrum eurer Recherchen steht die Firma Mende, die im Industriegebiet zunächst Radios hergestellt hat. Wie fügte sie sich in das NS-Regime ein?
Die Geschäftsinteressen vieler Industrieller deckten sich mit den politischen Zielen des NS-Regimes. Auch die Firma Mende profitierte von der NS-Herrschaft und der folgenden Kriegspolitik. Im besonderen Maße ist hier die Ausbeutung der Zwangsarbeiter:innen zu nennen. Diese Menschen wurde aus den eroberten Gebieten verschleppt oder mit falschen Versprechen gelockt und zur Arbeit zwangsverpflichtet. Doch die Unternehmensleitung fügte sich nicht etwa nur ein. Noch vor der Machtergreifung wurde sich um die Zerschlagung innerbetrieblicher Arbeiter:innen-Organisation bemüht. Martin Mende, ab 1925 Verkaufsleiter und später Betriebsführer, war erklärter Befürworter der nationalsozialistischen Ideologie und pflegte enge Kontakte zu Führungspersönlichkeiten, von Herrmann Göring bis Martin Mutschmann. Er leistete Parteispenden an die NSDAP und war Mitglied der „Nordischen Gesellschaft“ sowie im „Bund Deutscher Osten“ Auf der jährlichen Funkausstellung kokettierte er mit Joseph Goebbels, der das Unternehmen mit der Produktion des Volksempfängers beauftragte. Und schon in der Vorkriegsphase stellte die Firma ihren Betrieb in den Dienst der Aufrüstung, bis schließlich ganz auf Rüstungsproduktion umgestellt wurde. In der ab 1941 erscheinenden Werkszeitung „Du und das Werk“ wird die Belegschaft mit Kriegspropaganda und NS-Ideologie versorgt, um die Unterordnung und Opferbereitschaft zu stärken. Insgesamt konnten wir feststellen, dass sich die Firma Mende deutlich über das damals übliche Maß hinaus im NS-System engagierte.
Wie ging es weiter mit den Verantwortlichen der Firma nach dem Zweiten Weltkrieg?
Die Betriebsstätten wurden fast vollständig demontiert. Martin Mende setze sich nach Bremen ab und gründete dort 1947 mit der Norddeutschen Mende-Rundfunk GmbH ein neues, profitables Unternehmen. Ob und inwiefern Mende Verantwortung übernahm und sich etwa an Entschädigungszahlungen beteiligte, ist uns momentan noch nicht bekannt.
Was habt ihr über dieeingesetzten Zwangsarbeiter:innen herausgefunden?
Der Betrieb hat von 1942 bis Kriegsende über 240 Menschen zwangsbeschäftigt und damit so viele, wie kein anderer Betrieb im Dresdner Industriegelände. Es gibt Hinweise auf Lager und Barackenbauten zur Unterbringung der Zwangsarbeitenden im Umfeld der Meschwitzstraße. Mende selbst ließ nachweislich Baracken errichten. Bei den zur Arbeit zwangsverpflichteten Menschen handelte es sich vorwiegend um Frauen, die meisten von ihnen waren sogenannte „Ostarbeiterinnen“ sowie „Russinnen“ aus den besetzten Gebieten. Sie arbeiteten unter anderem im Presswerk, in der Montage, als Stanzer:in, Küchenhilfe oder im Transport. Wir möchten mit weiteren Forschungen unbedingt mehr über das Leben der Zwangsarbeiter:innen erfahren, die Barackenlager genau lokalisieren und auch die Rolle der Firma beim Betrieb des 600 Häftlinge umfassenden KZ-Außenlagers in Rochlitz klären, wo ein Arbeitskommando in der dorthin ausgelagerten Mechanik GmbH produzierte.
Braucht Dresden noch mehr Erinnerungskultur?
Definitiv! Aber keine, die eine Narration von gelungener und abgeschlossener Geschichtsaufarbeitung heuchelt. Erinnern darf unbequem sein und zeigen, was alles noch zu tun ist. Wir wünschen uns insbesondere die Stärkung zivilgesellschaftlicher Initiativen der Erinnerungskultur, wie wir eine sind – wo Menschen zusammenkommen, um ihren Lebensraum kritisch-historisch zu hinterfragen. Zumal das Industriegelände ein Ort der Jugendkultur und der Begegnung ist. Gerade hier sollte Erinnern nachhaltig zugänglich gemacht werden. Dafür wünschen wir uns Vernetzung mit anderen Orten des Erinnerns und die Förderung des Vorhabens seitens der Stadt.
Die Gruppe Fragmente & Frequenzen stellt ihre Forschungsergebnisse am Mittwoch auf ihrem Blog zur Verfügung.
Veröffentlicht am 6. Februar 2024 um 11:26 Uhr von Redaktion in Antifa, Nazis