Des Mythos Dresdens Xter Teil?
5. Oktober 2020 - 18:17 Uhr
Ein Kommentar zur Debatte um die Petition „Keine öffentlichen Plätze mehr in Dresden für rassistische, rechtsradikale und hassverbreitende Kundgebungen“
Die Dresdner „Banda Comunale“ forderte unlängst in einer Petition, dem rassistischen und menschenverachtenden Pegida-Verein öffentliche Plätze in der Innenstadt zu entziehen:
„Die Landeshauptstadt Sachsens hat in den letzten 5 Jahren für über 200 rassistische, rechtsradikale und hassverbreitende Kundgebungen von Pegida die […] historisch bedeutendsten Plätze der Stadt zur Verfügung gestellt. Damit verhalf sie den Veranstaltern zur größtmöglichen Medienpräsenz und offenbar auch zu der Überzeugung, unverhohlen auf das Recht bestehen zu können, öffentlich Rassismus zu verbreiten und die Würde anderer zu verletzen.“
Die Organisator:innen der Pegida-Veranstaltungen haben seit 2015 eine beachtliche Anzahl an Strafverfahren und Verurteilungen angehäuft, die in ihrer Gänze den rassistischen Charakter offenbarten, so die Petition. Dresden habe die Pflicht, heißt es abschließend, diese Demonstrationen aus der Innenstadt zu verbannen und so gegen die Verbreitung von Rassismus und Hass vorzugehen. Auf Twitter verkündete die für die Petition verantwortliche Gruppe Banda Comunale, dass Oberbürgermeister Dirk Hilbert in der laufenden Woche ein Treffen mit der Band und weiteren Akteuren anberaumt habe. Am 15. Oktober wird es eine aktuelle Stunde zum Thema im Dresdner Stadtrat geben.
Die Diskussion um faschistische Aufmärsche in der Innenstadt ist nicht neu. Rund um den 13. Februar führte sie zur Etablierung der Menschenkette, die symbolisch die Altstadt vor jeder Form des Extremismus schützen sollte. Weniger symbolisch ist das nach Sächsischen Versammlungsgesetz mögliche Verbot von Aufzügen an historisch bedeutsamen Orten. In den Jahren 2011 und 2012 sorgte die Überarbeitung des Versammlungsgesetzes für Furore. Linke und Grüne kritisierten damals, das Gesetz schränke die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein. Im Unterschied zur bundesdeutschen Regelung bedient das sächsische Gesetz explizit die Gleichsetzung von „nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft“. Die tief ins sächsische Bewusstsein eingebrannte Extremismustheorie ist hier eins zu eins wieder zu finden.
Aus dem gleichen Grund kritisieren Antifaschist:innen schon immer die Menschenkette zum 13. Februar: Anstatt sich gegen Nazismus und Faschismus zu Wehr zu setzen, ziehen die Teilnehmer:innen einen symbolischen Kreis um die Innenstadt. Diese wird zum schützenswerten Ort stilisiert, der von keinem politischen „Extrem“ missbraucht werden dürfe. Außen vor bleibt, dass die Innenstadt der Ausgangspunkt der deutschen Verbrechen, der deutschen Schuld selbst ist. Sie ist nicht nur politisch, sondern auch symbolisch das Zentrum der nationalsozialistischen Herrschaft über Sachsen gewesen.
Der Mythos der „unschuldigen Stadt“ im Zusammenspiel mit der architektonischen Rekonstruktion der Innenstadt bildete den idealen Nährboden und Kulisse für den größten Naziaufmarsch Europas. Die Mär der „Instrumentalisierung“ durch Nazis ist somit aus antifaschistischer Perspektive nicht nur falsch, sondern gefährlich. Die Stilisierung der Innenstadt und speziell der Frauenkirche als Ort der Erinnerns an „die Schrecken“ des Zweiten Weltkrieg ist eine Relativierung der deutschen Schuld in sich und offenbart einen reaktionären Blick auf die deutsche Geschichte. An der historischen Bausubstanz und der Innenstadt ist darum wenig schützenswert und vieles sollte eigentlich nur mit kritischen Augen betrachtet werden.
Doch zurück zur „Banda Comunale“ und dem Stadtrat. Es ist wichtig, dass sich in dieser Stadt endlich etwas verändert an der systematischen Begünstigung rechter Versammlungen durch die kreative Auslegung des Versammlungsgesetzes. Es ist wichtig, dass Pegida keinerlei Öffentlichkeit mehr bekommt. Würden Pegidaveranstaltungen verboten oder schärferen Auflagen ausgesetzt, wäre eine Quelle von Rassismus und Menschenverachtung versiegt. Doch in der aktuellen Debatte gibt es zwei Fallstricke. Einerseits wären solche Grundrechtseinschränkungen in Sachsen meistens nicht ohne eine Gleichsetzung faschistischer und linker Demonstrationen zu haben. Gesetzliche Einschränkungen würden sich wohl sehr schnell auch auf Linke anwenden lassen, sei es wegen „Rassismus gegen die Polizei“ oder staatskritischen Aussagen.
Andererseits fordert die Petition der „Banda“ „den Entzug von öffentlichen Plätzen in der Innenstadt (!) für rassistische […] Kundgebungen.“ Kein Verbot rassistischer, menschenverachtender Kundgebungen, sondern ein Abdrängen in die städtische Peripherie (die Petitionist:innen werden sicherlich keine Pegida-Demos in der Neustadt haben wollen) wird gefordert. Ähnlich äußerte sich auch der Sprecher für Ordnung und Sicherheit der SPD-Fraktion. Pegida gehöre „nicht in das Herz unserer Stadt“. Diese Forderung fällt auf den Dresdner Erinnerungsdiskurs herein. Das Sächsische Versammlungsgesetz nennt die Dresdner Frauenkirche, den Neumarkt und die Innenstadt als historisch relevante Orte für die Periode des Nationalsozialismus. Angelehnt wird sich dabei an das Bundesgesetz, welches als relevante Orte, Orte der nationalsozialistischen Verfolgung nennt: also vor allem Konzentrations- und Vernichtungslager. Die Frauenkirche hingegen wurde als Mahnmal für die Schrecken des Zweiten Weltkrieg in das sächsische Gesetz gemogelt , die im Dresdner Bewusstsein eher mit der Bombardierung der Stadt am 13. Februar verbunden sind, als mit millionenfachem Massenmord der Nationalsozialist:innen. Ein Verbot von Pegida-Kundgebungen wäre hier rein rechtlich schon lange möglich. Doch es würde einer völlig falschen Begründung folgen und den Dresdner Opfermythos nur ein weiteres Mal bedienen.
Ein Abdrängen der Menschenfeinde in die Peripherie ist problematisch. Die Medienbilder wären andere: Lutz Bachmann vor Plattenbauten, Lutz Bachmann vor Industrieruinen und würden besser ins Bild des abgehängten Ostens passen. Doch rassistische Inhalte werden nicht harmloser vor Plattenbauten, Faschismus ist dort nicht weniger gewalttätig und aggressiv. Was aber passieren kann ist, dass Pegida in der Peripherie noch stärker verharmlost und kleingeredet wird, als das jetzt ohnehin schon der Fall ist. Angesichts der lächerlich geringen Aufmerksamkeit, die die 1.500 Faschist:innen seit nunmehr sechs Jahren bei ihren Aufmärschen in der Innenstadt auf sich ziehen, ist eine Bagatellisierung vorprogrammiert. Ein an sich sinnvolles Anliegen, das Verhindern faschistischer Aufmärsche, würde dann zur reinen Imagepflege Dresdens. Zur falschen Begründung käme noch eine problematische Wirkung hinzu.
Das Thema lässt sich nur mit der Kneifzange antasten. Eine antifaschistische Position sollte mindestens ein Verbot rassistischer und faschistischer Demonstrationen im öffentlichen Raum anvisieren. Die Pegida-Kundgebungen zu verlegen, kommt nur dann in Betracht, wenn es für sie auf den Acker geht. Irgendwo zwischen Dresden und Leipzig muss es eine Wiese geben, mit mindestens 10 Kilometern Abstand zu jeder menschlichen Siedlung und immer schlechtem Wetter. Die Dresdner Innenstadt jedoch ist kein schützenswerter Raum an sich. Nur weil hier mehr Menschen von all dem Schund mitbekommen und es das Selbstbild der Pegidist:innen in „ihrer Innenstadt“ brechen würde, würde es Sinn machen, sie für Pegida zu sperren. Doch die Gefahr, dass dadurch die Bagatellisierung von Pegida, eine Verstärkung des Dresden.-Mythos und eine Kriminalisierung linker Demonstrationen ausgeht, ist hoch.
Zuletzt spielt die Dresdner Versammlungsbehörde im montäglichen Aufzugsgeschehen eine besondere Rolle. Die aktuelle Debatte um neonazistische Netzwerke in der Polizei sollte auch auf deutsche Verwaltungsbehörden erweitert werden, denn das Handeln der Dresdner Behörde legt nahe, dass auch hier einiges im Argen liegt. Statt Kulturhauptstadt könnte Dresden immer noch Weltmeisterin der Entnazifizierung werden.
Antifa heißt erinnern, Antifa heißt kämpfen – aber auf gar keinen Fall heißt Antifa Heimatschutz!
Veröffentlicht am 5. Oktober 2020 um 18:17 Uhr von Redaktion in Antifa