Auch nach 70 Jahren – Kaum Bewegung im Gedenken
8. Februar 2015 - 17:22 Uhr - 2 Ergänzungen
Am Freitag ist es wieder soweit, dann jähren sich die alliierten Bombardierungen der Stadt zum 70. Mal. Bilder wie noch vor zehn Jahren, als rund 6.000 aus dem In- und Ausland angereiste Nazis nahezu ungestört durch große Teile der Innenstadt ziehen konnten, dürften der Stadt jedoch erspart bleiben. Nachdem bereits im vergangenen Jahr erklärt worden war, auf dem Heidefriedhof kein offizielles städtisches Gedenken mehr durchzuführen, verlaufen die Vorbereitungen auf den Tag von Seiten der Stadt deutlich verhaltener. Als prominentester Gast wurde in diesem Jahr kein geringerer als Bundespräsident Joachim Gauck angekündigt. Neben Gauck, der erst im vergangenen Jahr eine stärkere Beteiligung Deutschlands an internationalen Kriegseinsätzen befürwortet hatte, sollen bei der ab 16 Uhr auch live auf dem Neumarkt übertragenen Veranstaltung aus der Dresdner Frauenkirche auch Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) und Landesbischof Jochen Bohl sprechen. Im Anschluss daran wird eine von der Stadt initiierte und nahezu allen Parteien unterstützte Menschenkette stattfinden. Dresdens Polizeipräsident Dieter Kroll kündigte im Vorfeld einen Großeinsatz der Polizei an, insgesamt sollen rund 3.000 Beamtinnen und Beamten für einen reibungslosen Ablauf aller Veranstaltungen sorgen.
Eine Woche vor den Ereignissen hatte die antifaschistische Kampagne „NoExcuses“ am Freitagnachmittag mit einer Kunstaktion auf dem Heidefriedhof die Gedenkpolitik in der Stadt kritisiert. Dabei wurde bei einer feierlichen Vernissage das „Schmuddelkind“ gegenüber dem „trauernden Mädchen am Tränenmeer“ enthüllt, um damit einen „erinnerungspolitischen Kontrapunkt“ zur „70-jährigen Tradition von geschichtlicher Verklärung und Revisionismus“ zu setzen. Mit der 2010 aus dem Nachlass einer Ärztin finanzierten 1,40 großen Bronzestatue werde die Dresdner Bevölkerung nach Ansicht der Gruppe „symbolisch mit einem Kind, insbesondere einem Mädchen, gleichgestellt, das naiv ist und nicht weiß was es tut, was sich seiner eigenen Verantwortung ja auf gar keinen Fall bewusst sein kann“. Im Unterschied dazu soll das „Schmuddelkind“ eine Stadtbevölkerung symbolisieren, „welche die Augen davor verschließt, dass sie im Nazideutschland politisch nicht unbedeutend war. Eine Gau- und Rüstungsstadt, die zum Ende des Krieges zur Festung erklärt wurde. Eine Stadt, die schon 1933 Hitler zum Ehrenbürger erhob und den Theaterplatz entsprechend umbenannte. Eine Stadt mit dem höchsten prozentualen Anteil an NSDAP-Mitgliedern in der Bevölkerung, eine Stadt, in der die Ausstellung zur, wie die Nazis es nannten, ‚Entarteten Kunst‘ noch unter anderem Namen eher stattfand, als in allen anderen deutschen Städten. Eine nationalsozialistische Stadt im nationalsozialistischen Deutschland.“ Nachdem die Gruppe den Friedhof im Norden der Stadt wieder verlassen hatte, wurde die Figur von der Friedhofsverwaltung wieder entfernt. Die Dresdner Polizei prüft aktuell, ob eine „strafrechtliche Relevanz vorliegt“.
Wie es um die Veränderung im öffentlichen Diskurs bestellt ist, zeigt seit dem 24. Januar eine Sonderausstellung im Asisi-Panometer in der Dresden erneut in eine Reihe mit den vielen von Nazis zerstörten Städten gestellt wird. Mit einem Blick vom Rathausturm auf das zerstörte Dresden soll die „Tragik und Hoffnung in Europa“ thematisiert und auf die „Wechselwirkungen in der kriegerischen europäischen Geschichte“ eingegangen werden. Als Vorlage für das 27×100 Meter große Panoramabild der „Apokalypse“ dienten Fotos, Alben und Dokumente von 50 Dresdnerinnen und Dresdnern die zeigen sollten, wie sich das Stadtbild durch die Bombardierungen verändert hatte (Film über die Entstehung – Der Tag nach dem Feuersturm). Gleichzeitig lassen Versuche der im Stadtrat in Fraktionsstärke eingezogenen „Alternative für Deutschland“ (AfD) erkennen, dass auch 70 Jahre nach dem für Dresden noch immer so schicksalshaften Tag die Diskussion über einen richtigen Umgang mit der eigenen Geschichte auf der Stelle tritt. In seinem Wortbeitrag über die „sinnlose Zerstörung Dresdens“ hatte der AfD-Stadtratsabgeordnete Gordon Engler alle im Stadtrat vertretenen Parteien dazu aufgerufen, sich „offensiv“ mit den „vermeidbaren Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung“ auseinanderzusetzen. In einem Antrag forderte seine Fraktion anlässlich des 70. Jahrestages der Bombardierungen eine Sonderausstellung, um die Erinnerung an das „kollektive wie individuelle Leid“ der Dresdner Bevölkerung wachzuhalten.
Interview mit Yadegar Asisi:
Für den 13. Februar hat das Bündnis „Dresden Nazifrei“ erneut zur Teilnahme am Täterspurenmahngang aufgerufen. An verschiedenen Punkten in der Stadt soll exemplarisch gezeigt werden, dass Dresden keineswegs die „unschuldige Kunst- und Kulturstadt“ war, zu der sie sowohl von den Nationalsozialisten, als auch zu DDR-Zeiten verklärt wurde. Das Bündnis versteht seine nun schon seit mehreren Jahren praktizierte Form des „kritischen Erinnerns“ als wichtigen Beitrag zum Erinnerungsdiskurs. Ziel des Rundgangs soll die Neue Synagoge sein, Startpunkt ist um 13 Uhr die Helmut-Schön-Allee unweit des Deutschen Hygiene-Museums. Die für die Aktion auf dem Heidefriedhof verantwortliche „NoExcuses“-Kampagne ruft wie im vergangenen Jahr dazu auf, sich mit dem „Dresdner Gedenkspektakel und trauernden (Neo-)Nazis auseinanderzusetzen“. Parallel zu den Forderungen nach Entschädigungszahlungen für die Überlebenden des deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieges, richtet sich ihre Kritik ebenso an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Menschenkette: „in einem Raum, in dem qua Versammlungsgesetz jegliche Kritik am stillen Gedenken verunmöglicht werden soll, der Antifaschismus immer wieder aufs Neue diskreditiert, können wir nur eine Ablasshandlung erkennen“. Beide kündigten nach den Ereignissen vor einem Jahr an, auch flexibel auf Versammlungsversuche von Nazis reagieren zu können. Außerdem hat das im Zuge der Anti-PEGIDA Proteste neu geschaffene Bündnis „Dresden für alle“ nach dem Ende der Menschenkette eine eigene Kundgebung auf dem Postplatz angemeldet.
Wie sehr das gesellschaftliche Klima in Sachsen mittlerweile nach Rechts gerutscht ist, beweisen nicht nur die PEGIDA-Veranstaltungen der letzten Monate, sondern vor allem die wachsenden Ängste und Sorgen von hier lebenden Migrantinnen und Migranten. Doch trotz einer steigenden Zahl von Übergriffen und rassistischen Mobilisierungen werden vor allem die Menschen zum Ziel staatlicher Repressionsmaßnahmen, die sich diesen „sächsischen Zuständen“ in vielfältiger Art und Weise entgegenstellen. Auf sehr viel mehr Verständnis hingegen können derzeit gerade jene Menschen bauen, die es in den vergangenen 25 Jahren nicht geschafft haben, ein grundlegendes Verständnis von Demokratie und gesellschaftlicher Vielfalt zu entwickeln. Dieses nicht erst seit den PEGIDA-Protesten erkennbar gewordene politische Versagen in Sachsen ist nicht zuletzt auch das Ergebnis eines seit mehr als 25 Jahren autoritär geführten Bundeslandes, in dem sich fast jedwede Form des zivilgesellschaftlichen Engagements den immer wieder gleichen Vorwürfen ausgesetzt sieht. Dazu passt in diesen Tagen wieder der Versuch des für sein Versagen bei den Ermittlungen gegen die rechte Terrorzelle des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) mehrfach gescholtene Sächsischen Verfassungsschutzes, welcher ein in den Abendstunden des 13. Februars geplantes Solikonzert für „Dresden Nazifrei“ im Neustädter Kulturzentrum „Scheune“ verhindern wollte. Grund für die Besorgnis ist ein Auftritt der im Verfassungsschutzbericht von Mecklenburg-Vorpommern mehrfach erwähnten Band „Feine Sahne Fischfilet“ und dessen „antistaatliche Haltung“.
Von Aktionen der Dresdner Naziszene ist bislang wenig bekannt geworden. Auch in diesem Jahr wollen sie mit einer bundesweiten Aktionswoche an die Ereignisse vor 70 Jahren erinnern. Auf eine gestern erfolgte Kranzniederlegung am Altmarkt, schloss sich heute eine Luftballon-Aktion auf dem Theaterplatz an. Ein deutliches Fragezeichen steht hinter einer am 14. Februar durch die „Volkstreue Bürgerrechtsbewegung für Meinungsfreiheit und nationale Selbstbestimmung“ angemeldeten Demonstration, da deren Anmelder Gerhard Ittner derzeit noch wegen des Verdachts der Volksverhetzung in Untersuchungshaft sitzt. Im vergangenen Jahr waren nach einer internen Mobilisierung mehrere hundert Nazis am Vorabend des 13. Februars durch die Dresdner Innenstadt gezogen und hatten die für den Tag darauf angekündigten Gegenproteste praktisch ins Leere laufen lassen. Zuvor waren sie auf juristischem Weg mit ihrem Versuch gescheitert, am 13. Februar eine Kundgebung auf dem Neumarkt durchzuführen. Ob der britische Autor und Holocaust-Leugner David Irving tatsächlich der Einladung des „Aktionsbündnisses gegen das Vergessen“ folgt, war bislang noch unklar. Irving war bereits zu Beginn der 1990er Jahre im Dresdner Kulturpalast zu Gast gewesen und vom Publikum begeistert empfangen worden.
Veröffentlicht am 8. Februar 2015 um 17:22 Uhr von Redaktion in Antifa, Kultur