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Auch die Grünen legen wegen massenhafter Funkzellenabfrage Verfassungsbeschwerde ein

13. September 2013 - 11:14 Uhr

Bereich der Funkzellenabfrage am 19. Februar 2011 (Quelle: Screenshot, Frontal21)

Nachdem im Mai mit Rico Gebhardt und Falk Neubert bereits zwei Politiker der Linken Verfassungsbeschwerde gegen die Funkzellenabfrage im Februar 2011 eingelegt hatten, haben nun auch die Grünen mit einer Beschwerde vor dem höchsten deutschen Gericht auf die Ausforschung der Bestandsdaten von mehr als 55.000 Menschen reagiert. In ihrer umfangreichen Beschwerde hatten die beiden Politiker der Linken schon vor Monaten die Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung sowie der Unverletzlichkeit des Telekommunikationsgeheimnisses geltend gemacht. Zuvor hatte schon das Dresdner Landgericht nach einer Feststellungsklage die Funkzellenabfrage auf Grund eines Formfehlers mit Beschluss vom 17. April für rechtswidrig erklärt. Wann das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Fälle entscheiden wird, steht bislang allerdings noch nicht fest.

Katrin Göring-Eckardt, Grünen-Politikern und Spitzenkandidatin für die in gut einer Woche anstehende Bundestagswahl, begründete ihre Entscheidung, das Vorgehen der Dresdner Strafverfolgungsbehörden und die Entscheidungen der sächsischen Justiz durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen damit, dass eine derart umfangreiche Erfassung und Auswertung der Kommunikationsverbindungsdaten sowie einer anschließenden Identifizierung zehntausender Menschen nicht „mit den Prinzipien eines freiheitlichen Rechtsstaats vereinbar ist“. Ihrer Ansicht nach verstoße die gerichtlich angeordnete Maßnahme „gegen elementare Grundrechte“ und sei „völlig unverhältnismäßig“. So würde damit nicht nur die „Vertraulichkeit der Kommunikation“, sondern nicht zuletzt auch „die Wahrnehmung der Versammlungs- und Religionsfreiheit ohne staatliche Überwachung und Registrierung unmöglich“ gemacht werden. Den Abgeordneten des Deutschen Bundestags steht nach Artikel 47 des Grundgesetzes ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Dieses umfasst nicht nur die ihnen anvertrauten Gesprächsinhalte, sondern auch die Identität der Personen, mit denen die Abgeordneten Kontakt hatten. Im Fall einer förmlichen Rasterfahndung sind Abgeordnete darüber hinaus befugt, die Herausgabe entsprechender Daten zu verweigern. Erst im Mai war eine Beschwerde von Göring-Eckardt wegen der Ausforschung ihrer Verbindungsdaten am 19. Februar vom Dresdner Amtsgericht als unbegründet zurückgewiesen worden. Nachdem am 8. August auch die nächsthöhere Instanz ihrer Beschwerde nicht stattgeben wollte, legte die von Johannes Lichdi juristisch vertretene Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages am 7. September Verfassungsbeschwerde ein.

Nach Auffassung von Johannes Lichdi sei die zum Teil über zwei Tage andauernde Überwachung eines ganzen Stadtteils rechtlich unzulässig gewesen, da der Großteil der Betroffenen keiner Straftat habe verdächtig werden können. So habe die bisherige Rechtsprechung aus diesem Grund eine nichtindividualisierte Funkzellenabfrage nur dann für zulässig erklärt, wenn die unbekannten miteinander kommunizierenden Menschen zugleich tatverdächtig waren. Die Auswertung der Verkehrsdaten mit einer Software namens „eFAS“ (ermittlungsunterstützendes Fallanalysesystem) bzw. „FARMEX“ durch das LKA ziele in seinen Augen stattdessen darauf ab, Kommunikations- und Bewegungsprofile aller erfassten Personen zu erstellen. In Anbetracht der Auswertung und Identifizierung von insgesamt über 56.000 überwiegend völlig unbeteiligter Menschen sei deutlich geworden, dass die ermittelnden Behörden an „keine weiteren Schranken zum Schutz der Grundrechte der Betroffenen gebunden“ seien. Darüber hinaus habe die Massenerfassung der Daten nach Aussage des Landeskriminalamtes lediglich für „Strukturermittlungen“ sowie zur Auffindung von Zeugen gedient. Zudem sei die richterliche Zustimmung für den massiven Eingriff in Grundrechte nicht wie vom Gesetzgeber vorgeschrieben das letzte verbliebene Mittel zur Aufklärung der Straftaten gewesen. Das alles vor dem Hintergrund, so Lichdi weiter, dass bis heute nicht bekannt geworden ist, ob „auch nur ein Gewalttäter durch dieses Verfahren ermittelt werden konnte“. In seinen Ausführungen stützt sich Lichdi maßgeblich auf die Feststellungen des Sächsischen Datenschutzbeauftragten Andreas Schurig, der bei den Ermittlungsbehörden in seinem Bericht vom 9. September 2011 keine sorgfältige und notwendige Prüfung der Verhältnismäßigkeit erkennen konnte.

Am 19. Februar war es am Rande mehrerer von den Nazis für diesen Tag angemeldeten Veranstaltungen in Dresden zu stundenlangen Ausschreitungen südlich des Stadtzentrums gekommen. Im Zuge eines Verfahrens gegen eine mutmaßliche kriminelle Vereinigung in der sächsischen Landeshauptstadt hatte das Dresdner Amtsgericht die Erfassung der Bestandsdaten von mehreren zehntausend Menschen durch das sächsische Landeskriminalamt (LKA) auch im Nachgang für zulässig erklärt. Das Gericht begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass ohne das Ermittlungsinstrument der Funkzellenabfrage eine Vielzahl an Straftaten von erheblicher Bedeutung „nicht oder kaum aufgeklärt“ hätten werden können. Auch eine Beschwerde der Linken Bundestagsabgeordneten Halina Wawzyniak gegen die von der Linken abgelehnten „nichtindividualisierten Funkzellenabfrage“ im darauffolgenden Jahr war vom Dresdner Amtsgericht zurückgewiesen worden.

Weiterer Artikel: Handygate in Dresden: Zweite Verfassungsbeschwerde gegen Funkzellenabfrage mit 35.000 namentlich Betroffenen


Veröffentlicht am 13. September 2013 um 11:14 Uhr von Redaktion in Antifa, Freiräume

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