Antifademonstration in Dresden angekündigt
1. November 2021 - 11:45 Uhr
Für den 4. November 2021, einen Tag vor dem Jahrestag der Inhaftierung der Leipzigerin Lina E. am 5. November 2020, kündigt das Solidaritätsbündnis Antifa Ost eine Demonstration in Dresden an. Gegen Lina E. und drei weitere Beschuldigte läuft derzeit ein Prozess am Oberlandesgericht Dresden (OLG) wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Demonstration fällt auch auf einen weiteren Jahrestag im antifaschistischen Kalender: Die Selbstenttarnung der jahrelang ungestört mordenden rechten Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) im Jahr 2011.
Der Prozess am OLG pausiert derzeit bis zum 3. November 2021. In dem aufwändigen Verfahren werden mehrere Angriffe auf Nazis aus den Jahren 2018 bis 2020 verhandelt. Der Generalbundesanwalt (GBA) bemüht sich, den Beschuldigten die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 nachzuweisen. Schon vor Prozessbeginn hatte die Verteidigung diesen Punkt ausdrücklich kritisiert und als politisch motiviert zurückgewiesen. In einem Interview mit der Wochenzeitung Jungle World sprach der Verteidiger Ulrich von Klinggräff von einer Nähe der ermittelnden Polizei zu rechtsradikalen Strukturen.
Nazis in der Nebenklage und ein Beamter der Soko Linx mit Zeugenbeistand
Elf Prozesstage wurden seit dem 8. September verhandelt. Die verschiedenen Tatkomplexe werden dabei nacheinander behandelt, Zeug:innen, ermittelnde Beamt:innen und Sachverständige gehört und nicht zuletzt viel gestritten. Den Prozessberichten des Solidaritätsbündnisses aber auch anderen Mitschriften zu Folge streiten der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenates Hans Schlüter-Staats und die Verteidigung der angeklagten Antifaschist:innen seit Tag eins um Deutungen, Abläufe vor Gericht und die politische Tragweite des Verfahrens.
Zentrales Anliegen der Verteidigung scheint es zu sein, die politische Involviertheit der Nebenkläger herauszuarbeiten. Als solcher tritt beispielsweise Enrico Böhm auf. Er ist seit Jahren aktiv in der Leipziger Naziszene, bestens vernetzt und gewaltbereit. Abgesehen von dem Angriff auf seine Person, dürfte seine Motivation für die Nebenklage vor allem sein, Antifaschist:innen zu schaden. Böhm hatte darum auch eigene Nachforschungen angestellt und der Polizei mitgeteilt. Sehr offensichtlich ist sein Versuch, die Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel in die Nähe der mutmaßlichen Angreifer:innen zu rücken.
Wirklich brisant wurde es im Prozess erstmals, als ein ermittelnder Beamter der Soko Linx, Patrick H. mit einem Zeugenbeistand zu seiner Aussage vor Gericht erschien. Zwar steht ein solcher Beistand Zeug:innen im Gerichtsverfahren grundsätzlich zu. In der Praxis ist dies aber eher unüblich, da Zeug:innen nicht als Beschuldigte vernommen werden, da sie keine Strafverfolgung zu befürchten haben. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel. Bei der Befragung durch die Verteidigung stellte sich schnell heraus, dass der Zeuge tatsächlich Strafverfolgung befürchtet.
Seit dem 29. April 2021 besteht der Verdacht, dass Beamt:innen der sächsischen Polizei Ermittlungsergebnisse an das rechte Compact-Magazin weitergereicht haben könnten. Das Magazin von Jürgen Elsässer berichtete im Vorfeld des Verfahrens immer wieder erstaunlich detailreich über die Beschuldigten und veröffentlichte dabei auch mutmaßliche Aktenbilder von ihnen. Als die Verteidigung Patrick H. nun befragte, ob diese Informationen tatsächlich aus Akten der Polizei kämen, berief dieser sich auf sein Recht die Aussage als Zeuge zu verweigern, wenn er sich selbst belasten könnte. Durch eine taz-Recherche wurde nun bekannt, dass die Chemnitzer Staatsanwaltschaft konkrete Verdachtsmomente gegen den Ermittler Patrick H. sieht.
Solidarität und Kritik
Für die Demonstration am 4. November 2021 mobilisiert das Bündnis Antifa Ost mit dem Zitat der vor kurzem verstorbenen Auschwitzüberlebenden und Antifaschistin Esther Bejarano: „Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen.“ Zwischen dem Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall des NSU – und auch der Verstrickung von Ermittler:innen und Staatsschützer:innen – und den heutigen Ermittlungen gegen Antifaschist:innen, sieht das Bündnis eine deutliche Parallele: Während auf der einen Seite Einzeltäter:innen stilisiert und alle Hinweise auf ein großes Netzwerk militanter Nazis ignoriert wurden, reicht auf der anderen Seite allein die antifaschistische Grundhaltung Einzelner für die Bildung einer kriminellen Vereinigung aus.
Gleichzeitig steht das Solidaritätsbündnis nach einem Outcall aufgrund schwerer sexualisierter Gewalt vor einer großen Herausforderung. Am 21. Oktober wurde auf der Internetplattform Indymedia gegen einen Beschuldigten im Antifa-Ost-Verfahren, Johannes D., bis zu Vergewaltigung reichende Vorwürfe ausgesprochen. In dem Beitrag forderte die Verfasserin eine Positionierung seines Umfeldes, den Ausschluss seiner Person aus Antifagruppen und die Beendigung der Zusammenarbeit der Solidaritätsstrukturen mit Johannes D. Als Reaktion auf die Vorwürfe positionierte sich das Bündnis Antifa Ost mit einem Beitrag, in dem es eine weitere Zusammenarbeit und Unterstützung D.s ausschloss. Vielmehr soll nun überprüft werden, ob Spendengelder an ihn weitergeleitet wurden, um sie gegebenenfalls zurückzufordern.
Veröffentlicht am 1. November 2021 um 11:45 Uhr von Redaktion in Antifa