30 Jahre Pogrom von Hoyerswerda
22. September 2021 - 16:23 Uhr
In den Tagen vom 17. bis 23. September 2021 jährte sich das Pogrom von Hoyerswerda zum 30. Mal. Im Jahr 1991 hatten bis zu 500 Neonazis und Rassist:innen zunächst ein Heim für Vertragsarbeiter:innen der DDR und später eine Unterbringung Asylsuchender angegriffen. Den 30. Jahrestag des Pogroms begingen zivilgesellschaftliche Initiativen und die Stadt Hoyerswerda mit verschiedenen Gedenkveranstaltungen unter dem Motto „Hoyerswerda 1991 – Erinnerungen – Einsichten – Perspektiven“.
Den Auftakt des Gedenkwochenendes bildete eine Abendveranstaltung mit zwei Podien am Freitag, dem 17. September. Auf Einladung der Stadt sprachen zunächst der Bürgermeister der Stadt Mölln, Jan Wiegels (SPD) und Torsten Ruban-Zeh (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Hoyerswerda, die Integrationsbeauftrage Stefanie Nelles aus Rostock und die Integrationsbeauftragte Anne Wehkamp aus Solingen über die kommunale Verantwortung bei der Aufarbeitung rassistischer Anschläge und Ausschreitungen.
Die vier Städte stehen exemplarisch für die massiven rassistischen Gewaltexzesse, die in den 1990er Jahren in der vereinigten Bundesrepublik begangen wurden. Nur ein Jahr nach dem Pogrom von Hoyerswerda griffen bis zu 3000 Neonazis und Rassist:innen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber:innen in Rostock Lichtenhagen an. In den Jahren 1992 und 1993 folgten dann die Brandanschläge in Mölln und Solingen, die insgesamt acht Menschen das Leben kosteten.
Schwieriges Erinnern
Trotz der spannenden Zusammensetzung dieses ersten Podiums konnte die Veranstaltung ihr Versprechen, den Entwicklungen seit den 1990er Jahren nachzuspüren kaum einhalten. Zu sehr klammerten sich alle Vertreter:innen an die Hoffnung, dass sich seit diesen düsteren Jahren die Dinge entscheidend zum Besseren gewandelt hätten. So sprachen alle Vertreter:innen von einer starken Entwicklung der Zivilgesellschaft, deren Anfänge sie im „Aufstand der Anständigen“ sahen. Gerade in Hoyerswerda geht diese Sicht an der Realität der Stadtgesellschaft vorbei. Bis in die 2010er Jahre wurde die Stadt dominiert von organisierten Neonazis, die sich nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts im Jahr 1993 weiter als legitime Verfechter:innen eines Volkswillens sahen. Auch noch gut 20 Jahre später waren sie in der Lage politische Gegner:innen mit Gewalt aus der Stadt zu vertreiben.
In den Jahren 2014 und 2015 entwickelten sich dann wichtige zivilgesellschaftliche Netzwerke, die eine Unterbringung von Geflüchteten erstmals seit 1991 wieder möglich machten. Dieses sanfte Aufblühen der Zivilgesellschaft wurde vom Bürgermeister Ruban-Zeh wiederum als Heilung eines „Traumas“ der Stadt gedeutet. Wenig geredet wurde dagegen an diesem Abend über die Konflikte, die unterschiedliche Perspektiven auf das Gedenken mit sich bringen. Eine Frage bezüglich der Einbindung Betroffener ging an den Möllner Bürgermeister Jan Wiegels. Dieser unterteilte die Betroffenen des Möllner Anschlags sehr deutlich in jene, die das städtische Gedenken mitmachten und solche, die sich aus verschiedenen Gründen verweigerten. Von Seiten Letzterer war der Stadt Mölln in der Vergangenheit vorgeworfen worden, sich selbst als Opfer des Brandanschlags von 1992 zu stilisieren.
Die Sicht der Überlebenden
Das zweite Podium des Abends wurde von den Überlebenden der Angriffe von 1991 besetzt. Anwesend war erstmals seit dem erzwungenen Verlassen Hoyerswerdas der ehemalige Vertragsarbeiter David Macou aus Mosambik. Neben ihm saß Emmanuel Ady-Aggyman, der im Jahr 1990 als Geflüchteter aus Ghana nach Ostdeutschland gekommen war und Ernesto Rafael Milice, Betreuer der Geflüchtetenunterbringung in Hoyerswerda 1991. Eröffnet wurde das Podium durch ein Referat der Vorsitzenden der Amadeu-Antonio Stiftung Anetta Kahane.
David Macou erzählte von seinen Erlebnissen als Vertragsarbeiter in der DDR, von der Ambivalenz zwischen freundlichen Beziehungen am Arbeitsplatz unter Kolleg:innen und gleichzeitiger rassistischer Ausgrenzung in der Freizeit und im alltäglichen Leben. Nach dem rassistischen Pogrom wurde Macou nach Mosambik ausgewiesen, wo er bis heute lebt. Macou berichtete von seiner Rückkehr, dass er sich vom Staat Mosambik erneut verraten fühlte. Nachdem er unter falschen Versprechungen in die DDR geschickt worden war, dort unter schwierigen Bedingungen hatte leben müssen, wurde er nun um seinen Lohn betrogen und sich selbst überlassen. Die „Madgermanes“, wie die ehemaligen Vertragsarbeiter:innen in Mosambik gennannt werden, erfahren bis heute Benachteiligung und Diskriminierung, Die ausstehenden Lohnzahlungen wurden von der DDR mit den mosambikanischen Staatsschulden verrechnet und nie ausgezahlt. Bis heute gibt es jeden Mittwoch Demonstrationen für die Zahlung dieser Löhne in Mosambik, berichtete David Macou.
Wie viele andere der Angegriffenen ging auch Emmanuel Ady-Aggyman auf eigene Faust in den Westen der Bundesrepublik, nach Frankfurt am Main. Um dem Pogrom ein Ende zu bereiten, waren 1991 alle Geflüchteten und Vertragsarbeiter:innen aus der Stadt gebracht worden. 40 von ihnen waren direkt nach Frankfurt am Main „zur freiwilligen Ausreise“ verbracht worden. Viele andere machten sich selbstständig auf nach Berlin und andere Großstädte. Emmanuel Ady-Aggyman lebt bis heute in Darmstadt und hat sich nach seinen eigenen Aussagen dort ein ruhiges Leben aufgebaut. Bis heute sei das Jahr 1991 für ihn das schwerste seines Lebens gewesen.
Ernesto Rafael Milice lebte seit 1983 in Hoyerswerda und war in der Asylbewerberunterkunft als Betreuer angestellt. Er berichtete von seiner Wahrnehmung der Angriffe: Nach eigenen Aussagen hatte er damals zusammen mit einem deutschen Pfarrer versucht die aufgebrachten Angreifer:innen zu beruhigen. Seine eigenen Schlüsse aus dem Pogrom muteten auf dem Podium sehr eigenwillig an. So setzte Milice auf jede Frage zu einem Vortrag über die angeblich paradiesischen Möglichkeiten, die die Bundesrepublik böte, an, den er explizit an Asylsuchende richtete. Sein Hinweis, dass hier jeder alles was er wöllte erreichen könnte stand in starkem Kontrast zum Thema des Abends und auch zu seinem eigenen Schlussplädoyer. Gefragt, was er denn Kritisches anzumerken hätte, sagte er, dass ihm unverständlich sei, warum Berufsabschlüsse als Ärzt:innen oder Handwerker:innen, die Geflüchtete mit nach Deutschland brächten, hier nicht anerkannt würden.
Nachdem David Macou zum Abschluss des Abends noch einmal seine Forderung nach Entschädigung und Entschuldigung bekräftigte, wurde allen Beteiligten zum Dank eine Tasse und eine Kräuterteemischung geschenkt. Ein Akt der den insgesamt faden Geschmack des Abends unterstrich.
Die Suche nach kommunalen Möglichkeiten Rassismus und Neonazismus zu begegnen hat kaum Ergebnisse hervorgebracht. Die Wiederholung rassistischer Ausschreitungen und pogromartiger Zustände in den Jahren 2015 und 2016 in Heidenau und Freital zeigt, dass es mehr braucht, als die diffuse Entwicklung zivilgesellschaftlicher Strukturen. Mit der erstmaligen Einbindung der Überlebenden der Angriffe hat die Stadt Hoyerswerda in diesem Jahr einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Erinnern und Gedenken werden jedoch zu einer Farce, wenn Rassismus und Faschismus weiterhin nicht als wesentliche Begleiterscheinungen der bürgerlichen Gesellschaft gesehen werden. Erinnerungspolitik dient dann mehr der Wiederherstellung des Stadt-Images und ist nur scheinbar an den Betroffenen interessiert. Es stellt sich aber nicht der tatsächlichen Verantwortung angesichts des gesellschaftlichen Versagens.
Veröffentlicht am 22. September 2021 um 16:23 Uhr von Redaktion in Antifa