Und wer kontrolliert die Überwacher?
8. Juli 2010 - 21:40 Uhr - 5 Ergänzungen
Am 10. Juni hatte das SPD-nahe Herbert-Wehner-Bildungswerk zu einem Rundgang durch die Äußere Neustadt unter dem Themenschwerpunkt: „Sicherheit in der Kommune“ geladen. Auf dem Programm stand zunächst ein Besuch im Revier Nord, wo der seit 1. Oktober 2009 zuständige Polizeirat Raik Schulze die Arbeit seiner Beamtinnen und Beamten vorstellte. Höhepunkt der Charming-Offensive der Neustädter Ordnungshüter sollte ein Blick in den Videoüberwachungsraum der kontrovers diskutierten Kamera in der Alaunstraße sein.
Der Zuspruch der interessierten Bevölkerung hielt sich an diesem Tag sichtbar in Grenzen und so setzte sich die Runde vor allem aus Vertreterinnen und Vertretern von Recht und Ordnung zusammen. Neben Schulze waren auch der Beigeordnete für Ordnung und Sicherheit und zweite Bürgermeister der Stadt Dresden Detlef Sittel (CDU), die innen- und rechtspolitische Sprecherin der SPD Landtagsfraktion Sabine Friedel und Polizeikommissar bzw. SPD-Stadtrat Albrecht Pallas bei der Veranstaltung anwesend.
Das Einzugsgebiet des Reviers umfasst abgesehen von der Äußeren Neustadt auch die Stadtteile Innere Neustadt, Radeberger Vorstadt, Leipziger Vorstadt, Weißig, Pillnitz und die Albertstadt. Im Arbeitsbereich leben knapp 74.000 Menschen. Von den im vergangenen Jahr bearbeiteten mehr als 7.000 Straftaten konnten nahezu die Hälfte durch die insgesamt 157 Beamtinnen und Beamte des Reviers aufgeklärt werden. Auf Platz 1 der Fälle lag Diebstahl, 315 waren Delikte im Bereich der Rauschmittel und insgesamt 273 Straftaten hatten mit Gewaltdelikten zu tun.
Nach einer nicht enden wollenden Powerpoint-Präsentation über die Struktur und die Besonderheiten der Äußeren Neustadt, folgte die Vorstellung des Videoüberwachungsraumes. Dort stellte den Gästen ein mit der Technik scheinbar vertrauter Beamter kurz die Funktionsweise der Kameras an der Außenfassade der Alaunstraße 33 vor. Die Überwachungsanlage besteht aus zwei Kameras, eine etwas kleinere mit einem statischen Objektiv, das auf den Platz vor der Scheune gerichtet ist und eine weitere mit einem beweglichen 180° Objektiv. Bei optimalen Sichtverhältnissen besteht die theoretische Möglichkeit bis zum Alaunpark bzw. in der anderen Richtung bis zur Straßenbahnhaltestelle an der Mündung der Alaunstraße auf die Bautzner Straße zu schauen. Theoretisch nur deshalb, weil auch der besten Kamera Grenzen gesetzt sind. Kommen bei einer Aufzeichnung Faktoren wie schlechtes Wetter oder Dunkelheit hinzu, beschränkt sich der Radius der Kamera oft auf nur wenige Meter. Der Videoüberwachungsraum ist nach Aussagen des Beamten vor allem an den Sommerwochenenden und bei Großereignissen wie etwa dem 13. Februar besetzt.
Der eigentlich interessante Teil der Veranstaltung war ein Demonstration der technischen Möglichkeiten am Arbeitsplatz der 85.000 Euro teuren Kamera. Dabei musste der Beamte mehrfach konstatieren, dass die eigentlich im Videoprogramm vorgesehenen schwarzen Balken im Bereich von Privatwohnungen offensichtlich nicht funktionierten. Schlimmer noch, nach einem Kameraschwenk vom Vorplatz des Kulturzentrums Scheune zum Albertplatz konnten die Besucherinnen und Besucher einen genauen Einblick in die Privatwohnungen gegenüber des Kamerastandortes nehmen. Auf den Hinweis, dass es aber scheinbar sogar möglich ist, direkt in die Wohnungen zu schauen, antwortete der Beamte lapidar, „dass da eigentlich ein schwarzer Balken sein müsste.“
Auf die Frage nach genauen Zahlen über den Erfolg der Kameraüberwachung reagierten die sich ansonsten sehr transparent gebenden Beamten relativ wortkarg. Noch vor zwei Jahren hatte eine kleine Anfrage der Grünen im Landtag beim damaligen sächsischen CDU-Innenminister Albrecht Buttolo ergeben, dass von 272 in den ersten drei Quartalen von der Polizeidirektion Dresden festgestellten Straftaten im Bereich Alaunstraße, gerade einmal neun mit Unterstützung von Kameras aufgeklärt werden konnten. Das entsprach damals einer Erfolgsquote von gerade einmal 3.3%. Mehr als die Hälfte der Straftaten im Bereich der Alaunstraße konnten auch nicht mit dem Einsatz von Kameras aufgeklärt werden. Auch die schweren rassistischen Übergriffe im Anschluss an das EM-Halbfinalspiel zwischen der Türkei und Deutschland im Juni 2008, blieben für die Täter bis heute folgenlos.
Ein interessanter Artikel zur Wirksamkeit von Videoüberwachung am Beispiel der Hamburger Reeperbahn ist kürzlich in der TAZ erschienen. Darin kam die Hamburger Innenbehörde in ihrer Wirksamkeitsanalyse zu dem Ergebnis, dass die Gewalttaten seit der Einführung der Videoüberwachung sogar um ein Drittel gestiegen sind. Das Hamburger Oberverwaltungsgericht erklärte das Erstellen von Bewegungs- und Kontaktprofilen von Bewohnerinnen und Bewohnern der Reeperbahn für unzulässig. Eine Entscheidung die angesichts katastrophaler Datenschutzverstöße am Neustädter Beispiel auch für Sachsen dringend angebracht wäre.
Die Frage die sich nicht nur an diesem Beispiel stellt ist, wer eigentlich für die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen bei Kameras zur Überwachung des öffentlichen Raums verantwortlich ist und wie es möglich sein kann, dass die Dresdner Polizei offenbar seit der Installation der Kamera im Januar 2008 die Möglichkeit hat, gegen das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung zu verstoßen.
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Veröffentlicht am 8. Juli 2010 um 21:40 Uhr von Redaktion in Freiräume