„Versammlungsfreiheit verteidigen“ – Bündnis kritisiert Gesetzesnovelle
22. April 2024 - 16:23 Uhr
Seit Herbst 2023 kursieren Gerüchte in Sachsen zur Reform des Versammlungsrechtes. Nun ist klar, das Gesetz soll tiefgreifend reformiert werden. So will es das sächsische Innenministerium unter Armin Schuster (CDU). Schon im Koalitionsvertrag von 2019 einigten sich CDU, SPD und Grüne auf eine Neugestaltung bis 2021 um schließlich Jahre später einen Entwurf vorzulegen, das sogenannte „Gesetz zum Schutz der Versammlungsfreiheit“. Begründet wird angeführt, das bisherige Versammlungsrecht sei zu sperrig und unmodern, zu kompliziert. Nach Planung der Landesregierung soll das Gesetz am 1. September – dem Tag der Landtagswahlen – in Kraft treten.
Schon in der Vergangenheit war der Umgang der sächsischen Sicherheitsbehörden mit Demonstrationen oft verstörend. Während beispielsweise diejenigen, die sich an unzähligen Montagen dem völkischen Mob aus PEGIDA und anderen Menschenfeinden entgegenstellten, von der Gängelung durch die Dresdner Versammlungsbehörde ein Lied singen können, gab es bei rechten Aufmärschen insbesondere im Kontext der Corona-PanSay it loud e.V.demie oft keinerlei Interesse, geltendes Recht durchzusetzen.
Es liegt die Vermutung nahe, dass schon das bisherige Versammlungsrecht nach politischem Gutdünken angewendet und durchgesetzt wurde.Bereits jetzt sind starke Reglementierungen und Eingriffe in die Versammlungsfreiheit bis hin zu Verboten möglich.
„Kern eines Versammlungsgesetzes verfehlt“
Schon zu Beginn des jetzigen Gesetzgebungsverfahren im letzten Herbst äußerte sich das Komitee für Grundrechte und Demokratie ausführlich zu den Plänen und resümierte, „Der Entwurf verfehlt den Kern eines Versammlungsgesetzes: den Schutz der Versammlungsfreiheit als Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Im Zentrum des Entwurfs steht nicht die Förderung der Grundrechtsausübung, sondern vorrangig eine gefahren- und störungszentrierte Sichtweise auf Versammlungen.“
Mitte März diesen Jahres bildete sich nun ein sachsenweites Netzwerk gegen das neue sächsische Versammlungsgesetz und meldete sich mit einer Pressemitteilung zu Wort. So schätzt Marcus Röder vom Say it loud e.V. (Leipzig) ein:
„Der Gesetzentwurf atmet den Geist einer staatlichen Kontrolle und Reglementierung, welche dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit fremd ist. Wir befürchten eine so starke Einschränkung der Versammlungsfreiheit, dass diese letztendlich nicht mehr ausgeübt werden könnte . Diese Befürchtung teilen wir mit vielen Jurist*innen, die sich bereits mit dem Gesetzesentwurf befasst haben.“
Das neue Versammlungsrecht werde dem Polizeirecht untergeordnet, das Recht auf Versammlungen damit ausgehöhlt und der Umbau zu einem autoritären Stadt auch auf dieser Ebene forciert. Diesem und seinen Behörden werden noch mehr Instrumente an die Hand gegeben, um „demokratische Aushandlungsprozesse, Meinungsbekundungen und politischen Widerspruch zu beschränken und zu verunmöglichen“. Kurzum: von einem Gesetz, dass Versammlungen ’schützt‘, kann keine Rede sein.
Was soll sich ändern?
Zunächst bietet der Entwurf die Möglichkeit, Spontanversammlungen noch einfacher zu verhindern, wobei das Ermessen darüber bei den Behörden liegen soll – inwiefern denen eine politische Objektivität anvertraut werden kann, dürfte fraglich sein. Erschwert wird auch die Anmeldung von Versammlungen selbst. Zum einen, durch die Verlängerung der Anmeldefrist auf bis zu 120 Stunden vor Beginn einer Versammlung. Zum zweiten wird die Durchführung einer Versammlung in einer wesentlich anderen Form, als der zuvor angemeldeten unter Strafe gestellt. In Kombination mit der dritten Erweiterung, die von Anmelder:innen zukünftig fordert, im Vorraus weitreichende Angaben zu Teilnahmezahlen und Demonstrationsmittel zu machen, wird die Anmeldung einer Versammlung zur Selbstgefährdung.
Auch könnte der Entwurf dazu dienen, Gegendemonstrationen einzuschränken. Bei „groben Störungen“ sollen Bußgelder verhängt werden und es ist zu befürchten, dass schon simple Sitzblockaden sofort zu Ordnungswidrigkeiten erklärt werden würden. Aktuell kann zumindest geprüft werden, ob diese nicht auch als Versammlungen mit berechtigtem Anliegen gelten können. Wird dieser Paragraph nicht revidiert, wäre auch die gewaltlose Verhinderung von Naziaufmärschen strafbar. Die Entscheidungsbefugnis darüber hätte nun die Polizei.
Übersichtsaufnahmen der Polizei werden legalisiert. Es ist davon auszugehen, dass diese dann noch öfter Anwendung finden, wodurch wiederum Teilnehmer:innen zusätzlich von Versammlungen ferngehalten werden – bezüglich der Speicherung der Aufnahmen ist ebenfalls Schlimmes zu befürchten: sie sollen nämlich für die polizeiliche Ausbildung benutzt werden.
Als wäre das alles nicht schlimm genug, finden sich weitere gravierende Einschränkungen. So sollen fortan sogenannte ‚Kooperationsgespräche‘ zwischen Veranstaltenden und Polizei bei allen Versammlungen obligatorisch werden. Außerdem sollen die ehrenamtlichen Ordner:innen systematisch durch die Polizei überprüft werden können – eine bundesweit einmalige Regelung zur Gängelung der Demonstrierenden. Noch zu erwähnen sind eine Verschärfung des Uniformierungsverbotes und die absurde Idee, dass sich Polizist:innen innerhalb der Versammlung fortan nicht mehr der Versammlungsleitung zu erkennen geben bräuchten.
Es kann also konstatiert werden, dass die Eingriffsbefugnisse der Polizei massiv ausgeweitet und das Versammlungsrecht dem Polizeirecht untergeordnet werden würde. Und insbesondere die Verabschiedung am Tag der Landtagswahlen muss mehr als nur beunruhigen. Es besteht durchaus die Gefahr, dass diese vielleicht letzte Amtshandlung der aktuellen Landesregierung der nachfolgenden Regierung unter Beteiligung der AfD mit diesem repressiven Versammlungsrecht ein Instrument an die Hand geben würde, um Meinungsfreiheit und Demokratie auszuhöhlen. Die Fraktion der AfD im Landtag hat zu allem Überfluss bereits einen eigenen Gesetzesentwurf vorgelegt, der explizit die Versammlungsfreiheit von Menschen ohne deutschen Pass einschränken soll.
Demonstration und Kundgebung am Landtag
Am 18.04. wurde der Gesetzesentwurf im Innenausschuss des Landtages angehört und Expert:innen dazu befragt. Die linksjugend [’solid] Dresden als Teil des erwähnten Bündnisses meldete dagegen Protest an. Gerade in Anbetracht der großen Demonstrationen gegen den Rechtsruck gelte es das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu verteidigen.
Am Donnerstagvormittag kamen etwa 30 Personen zur Auftaktkundgebung im Alaunpark. Nach ersten kurzen Einordnungen zum neuen Versammlungsgesetz setzte sich der Demonstrationszug über die Alaunstraße zum Neustädter Bahnhof in Bewegung, begleitet von nahezu genauso vielen Polizeikräften.
Den Abschluss bildete eine Kundgebung vor dem Landtag, wobei verschiedene Redebeiträge verlesen wurden.
Begonnen wurde mit einer kämpferischen Ansprache der Queer Pride Dresden, die negative Erfahrungen mit den Versammlungsbehörden bei verschiedenen CSD-Veranstaltungen thematisierte, gegen die politische Einmischung bei deren Ausgestaltung argumentierte und einen klaren Fokus auf den nötigen Schutz marginalisierter Gruppen – gerade im ländlichen Raum – legte.
Nachdem eine Rede der linksjugend,die die Bedeutung des ungehinderten Demonstrierens generell herausstellte, sprach die Abgeordnete der Linksfraktion Juliane Nagel zu den Anwesenden. Sie kritisierte die Koalitionstreue von SPD und Grünen, die dabei wären, hier den „nächsten faulen Kompromiss“ mitzutragen und weiter daran arbeiteten, dass sich die sogenannte ‚Sächsische Demokratie‘ durch ein autoritäres Staatsverständnis kennzeichne. Eindrucksvoll schilderte sie ihre Erfahrungen bei der letztjährigen Demonstration zum Kindertag in Leipzig. Sie war als Anmelderin am Ende selbst abgeführt und mit einem Ermittlungsverfahren bedacht worden. Sie endete mit einem Aufruf, die repressive Forderung nach vorheriger Anmeldung bzw. Überprüfung der Ordner:innen nicht mitzutragen und schlug vor, zukünftig den Fokus auf Spontanversammlungen zu legen.
Daraufhin sprach ein Vertreter des Bündnisses gegen das Versammlungsgesetz und erläuterte die Änderungen, die das neue Gesetz mit sich brächte. Hierbei wurde beispielsweise erwähnt, dass es ein Unding sei, dass Journalist:innen in Zukunft eine Akkreditierungspflicht drohe, wenn sie vor Übergriffen bei Versammlungen Schutz genießen wollten. Ein Mitglied der Dresdner Piratenpartei schilderte negative Erfahrungen im Zusammenhang mit einer in der Vergangenheit kriminalisierten Sitzblockade. Diese war angemeldet, dennoch bekam der Redner eine Strafanzeige, die sich trotz folgender Einstellung nun durch die angefallenen Kosten und den nicht gelöschten Akteneintrag negativ auswirke.
Es folgten noch Beiträge der Jusos aus Leipzig und vom Netzwerk „Leipzig nimmt Platz“. Fast allen Beiträgen gemein war die Thematisierung der unsäglichen Forderung, alle ehrenamtlichen Ordner:innen zu prüfen, sie zu ‚Hilfssheriffs‘ zu degradieren und ihre Daten darüber hinaus noch bis zu zwei Jahre speichern zu wollen. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass nicht nur Demonstrationen der sogenannten Antifa unter dem repressiveren Charakter des Gesetzes leiden würden, sondern in ähnlichem Maß Versammlungen von Klima-Aktivist:innen, widerständige Pride-Paraden, Proteste von Gewerkschaften oder Landwirt:innen, eben jede Art von gesellschaftskritischer Versammlung.
Eindruck hinterließ auch das konkrete Beispiel, wonach gerade diese Verschärfung des Versammlungsrechts dafür sorgen würde, dass die Demonstration zum Landtag so wohl nicht hätte stattfinden können. Schließlich wurden die Ordnungspersonen erst spontan vor Ort gefunden.
Das besagte Bündnis wird unter dem Motto „Versammlungsfreiheit verteidigen – unsere Grundrechte sind unverhandelbar“ noch weitere Veranstaltungen und Aktionen durchführen, sicher auch zur geplanten Verabschiedung des Gesetzes am 12. oder 13. Juni in Dresden. Außerdem wird es eine Kundgebung am Tag des Grundgesetzes, dem 23. Mai, in Leipzig geben.
Veröffentlicht am 22. April 2024 um 16:23 Uhr von Redaktion in Freiräume, News