Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – der 27. Januar in Freital und Dresden
5. Februar 2024 - 21:21 Uhr
Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee befreit. Der Tag ist in Deutschland seit 1996 Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Seit 2005 ist der 27. Januar zudem internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. An vielen Orten in ganz Sachsen fanden Veranstaltungen in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus statt.
Die Stadt Freital sorgte im Zusammenhang mit der geplanten Gedenkveranstaltung am 27. Januar bereits im Vorfeld für bundesweites Aufsehen. Der ehemalige CDU-Politiker und Oberbürgermeister Uwe Rumberg von der Wählervereinigung Konservative Mitte hatte zunächst den Umstand, dass in diesem Jahr ein Vertreter der AfD auf der städtischen Veranstaltung sprechen würde, verteidigt und nach anhaltender Kritik, u.a. vom Internationalen Auschwitz Komitee die Veranstaltung ganz abgesagt.
Die Absage begründete er mit „diffusen Bedrohungen und Beschimpfungen“ und erwarteten Störaktionen, die ein würdiges Gedenken unmöglich machen würden. Die Rede eines Politikers der AfD, einer Partei, die seit dem Dezember 2023 nun sogar dem sächsischen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem gilt und einer Partei, die mit anderen rechten Kräften massenhafte Deportationen von Menschen aus Deutschland plant, schien dem Freitaler Oberbürgermeister hingegen würdig genug. Das Internationale Auschwitz Komitee befand die Pläne als „schamlos und makaber“ und verwies auf die wiederholte Bagatellisierung der NS-Verbrechen durch ranghohe AfD-Politiker. Als Stichworte seien hier nur Gaulands „Vogelschiß“ und Höckes „Mahnmal der Schande“ genannt. Der Vorsitzende der Freitaler AfD-Fraktion Torsten Heger verteidigte sich gegen die Kritik mit den Worten „Wir haben unser Recht, wie jede andere Stadtratsfraktion, an die widerlichen Verbrechen der Nationalsozialisten – wohlgemerkt ‚Sozialisten‘ – zu erinnern.“ und bestätigte mit dieser geschichtsrevisionistischen Aussage die Kritiker:innen.
Zu Geschichtsrevisionismus und Holocaustleugnung haben Freitaler AfD-Mitglieder offenbar keinerlei Berührungsängste. So hat beispielsweise der Freital AfD-Landtagsabgeordnete Norbert Mayer immer wieder gemeinsame Veranstaltungen mit der Volksliedertafel Dresden ausgerichtet, berichtet das Antifa Rechercheteam im Juni 2023. Die Musikcombo tritt regelmäßig bei Veranstaltungen des Holocaustleugners Nikolai Nerling auf, besser bekannt unter dem Namen „der Volkslehrer“.
Statt der städtischen Gedenkveranstaltung mit AfD-Redner fand in Freital am 27. Januar das von SPD, den Grünen und den Linken organisierte Gegenprogramm statt. Dazu gehörte ein Demokratiespaziergang, der die drei Parteibüros verband, in denen eine Ausstellung mit Bildern aus dem Projekt „Herzkampf“ des Leipziger Fotografen Martin Neuhof gezeigt wurden. Die Teilnehmer:innen des Spaziergangs machten am Mahnmal auf dem Platz des Friedens einen Halt, um Kränze und Blumen abzulegen. Am Abend fand zudem eine Lesung mit Jakob Springfeld aus seinem Buch „Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts“ statt.
In Dresden hatten antifaschistische Initiativen wie bereits im vergangenen Jahr zu einem Gedenkrundgang eingeladen, der vom Neumarkt über die Neue Synagoge, das Terrassenufer, die Augustusbrücke und die Hauptstraße zum Bahnhof Neustadt führte. Etwa 300 Menschen beteiligten sich an der Veranstaltung. Vor dem Hintergrund des seit dem 7. Oktober gestiegenen Antisemitismus wurde in den Eröffnungsworten die Notwendigkeit betont, dass der Kampf gegen Antisemitismus immer Teil des antifaschistischen Konsenses sein müsse. Der Terroranschlag der Hamas gegen Israel und die am 10. Januar durch eine Correctiv-Recherche aufgedeckten Pläne zur Deportation von Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte wurden immer wieder in den Redebeiträgen des Gedenkrundganges aufgegriffen.
Auf dem Neumarkt erinnerte Silvio Lang von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN BdA) an Herbert Blochwitz. Dieser war im August 1933 nach der Machtübergabe an die NSDAP als Mitglied der KPD verhaftet und wegen Hochverrats zu zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Die Haftstrafe saß er in der Haftanstalt Bautzen ab, im Anschluss wurde er in das sogenannte frühe Konzentrationslager Sachsenburg verbracht, aus dem er 1936 entlassen wurde. Zurück in Dresden war Blochwitz Teil der Widerstandsgruppe um Kurt Schlosser. Im Dezember 1943 wurde er zusammen mit Kurt Schlosser, Otto Galle und Arthur Weineck verhaftet, im August 1944 wegen „kommunistischen Umsturzversuches“ zum Tode verurteilt und im Hof des Landgerichts am Münchner Platz hingerichtet. Neben der Kritik am Abriss der Kommandatenvilla auf dem Gelände des ehemaligen KZ Sachsenburg, die im Jahr 2022 für Kontroversen sorgte, nahm Silvio Lang auch Bezug auf die aktuellen Demonstrationen gegen die AfD bzw. gegen Rechtsextremismus und betonte der Protest müsse richtig adressiert sein. Auch die Parteien der Ampelkoalition, die z.B. in Form des so genannten „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ Forderungen der Rechten umsetzten und sie damit stärkten, müssten in die Kritik eingeschlossen werden.
An der zweiten Station, der Neuen Synagoge, sprach Gunda Ulbricht von der Bildungs- und Begegnungsstätte für Jüdische Geschichte und Kultur Sachsen HATiKVA e.V. Sie plädierte für eine stärkere Verantwortungsübernahme der nicht-jüdischen Dresdner:innen. Denn nicht die jüdischen Gemeinden seien dafür verantwortlich, dass sich die Stadtgesellschaft erinnert, oder dass es eine angemessene Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus in Dresden gibt, und ebenso wenig dafür gegen Antisemitismus zu kämpfen und dafür die geeigneten Mittel zu finden. Im Anschluss stellte Anne Klopfer von RomaRespekt den Audiowalk „Spurensuche“ vor, der die Verfolgung und Vernichtung der Romn*ja und Sint*ezze während des Nationalsozialismus in Dresden und ihre Diskriminierung bis in die Gegenwart zum Thema hat. Auf dem Weg über das Terrassenufer zur nächsten Station auf dem Neustädter Markt wurde der Track „Die Verdrängung aus Beruf und Alltag endet im Mord – das Leben und Leiden des Musikers Brüno Rose und sein Sohn Harry Rose“ abgespielt. Brüno Rose hatte bis zu seiner Verhaftung durch die Kriminalpolizei am 1. März 1943 zusammen mit seiner Familie in der Fleischergasse 16, gegenüber dem Japanischen Palais, gewohnt. Brüno Rose wurde am 14. März 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Er starb vermutlich im Konzentrationslager Bergen-Belsen kurz vor der Befreiung durch die Brit:innen im April 1945.
„Das war so, dass sie die Roma draußen haben wollten. Überhaupt haben sie die Roma auslöschen wollen. Wir können Gott und den Russen danken, dass sie so schnell gekommen sind und noch einige von uns überlebt haben. Das sie nicht so viele Öfen gehabt haben. Das überhaupt noch welche überlebt haben. Das war unser Glück. Anders hätte nicht einer überlebt. Wenn es noch ein Jahr gedauert hätte, wäre von uns keiner mehr auf der Welt.“
(Adolf Papei zitiert in Track 4 von Spurensuche)
Auf dem Neustädter Markt erinnerte Sven Riesel, stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten an die zahlreichen Verfolgungsorte in Dresden und Sachsen. Zum Beispiel an die 14.000 psychisch kranken und geistig behinderten Menschen, die in einer Gaskammer in der Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet wurden, an 700 Menschen, die im Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt zwangssterilisiert wurden oder an 1.330 Menschen, die am Justizstandort Münchner Platz hingerichtet wurden. Er machte außerdem deutlich, dass es ein wichtiger Teil von Gedenkstättenarbeit sei, Bezüge zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart herzustellen. Dies mache Gedenkstätten verstärkt zum Ziel von Angriffen durch Rechte.
Jakob Ole Lenz von der Gedenkstätte Bergen-Belsen debattierte in seinem Redebeitrag die Frage, ob es sich bei dem angeblich importierten antiisraelischen Antisemitismus nicht doch eher um einen deutschen Re-Import handele. Der Antisemitismus der Nationalsozialist:innen fand überall auf der Welt begeisterte Anhänger:innen und Nachahmer:innnen – unter ihnen auch der Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini. Für die antisemitische Propaganda im arabischen Raum erhielt er vielfältige Unterstützung durch die Deutschen. Spuren davon lassen sich auch in Dresden finden: Zwischen November 1944 und Februar 1945 befand sich in einer Villa in Blasewitz eine von der SS betriebene Mullah-Schule, die islamische Feldgeistliche ausbilden sollte.
Tim Hexamer, Sprecher des Bündnisses gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen verwies in seinem Redebeitrag auf die Traumatisierungen und Retraumatisierungen vieler Jüdinnen:Juden, die durch den Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober ausgelöst, und durch die weltweiten Sympathiebekundungen für die Hamas verstärkt wurden. Neben dem angestiegenen israelbezogenem Antisemitismus habe RIAS, die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus auch eine Zunahme des sogenannten Schuldabwehrantisemitismus registriert. Dieser äußere sich in einer deutlichen Zunahme von Angriffen auf Gedenkorte an den Nationalsozialismus. Abschließend regte Tim Hexamer ein kritische Reflexion des Gedenkens an. Dazu gehöre auch die Frage warum ein Großteil der Shoa-Überlebenden in Deutschland in Armut lebe.
Auf dem Weg zur nächsten Station – dem Bahnhof Dresden-Neustadt – wurde der audioscript-Track „Wir haben mit angesehen, wie das Haus allmählich seine Menschen, seine Bilder, seine Möbel ausspie.“ ‚Judenhäuser‘ in Dresden zwischen 1939 und 1945 abgespielt.
Auf dem Bahnhofsvorplatz angekommen, wurde in einem Redebeitrag der Stadtteilinitiative Solidarisches Pieschen an die Menschen erinnert, die im „Goehle-Werk“ der Zeiss Ikon AG, ein Gebäudekomplex in dem sich heute das Zentralwerk befindet, Zwangsarbeit leisten mussten. Sie waren im sogenannten „Judenlager Hellerberg“ interniert. Im März 1943 wurden sie vom Güterbahnhof Dresden-Neustadt nach Auschwitz deportiert und die meisten von ihnen unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet. Im leer gezogenen Lager mussten ab Mai 1943 schwangere Zwangsarbeiterinnen entbinden und ihre Kinder direkt nach der Geburt im „Entbindungslager Kiesgrube“ zurücklassen. Viele der Kinder starben nach kurzer Zeit.
Herbert Lappe von der Jüdischen Kultusgemeinde zu Dresden würdigte das Durchhaltevermögen von Marion Kahnemann, einer jüdischen Bildhauerin aus Dresden, die das Gedenkobjekt an der Vorderseite des Bahnhofsgebäudes, gegen alle Widerstände seitens der Deutschen Bahn und der Stadtverwaltung durchgesetzt hat. Es erinnert daran, dass der Güterbahnhof Dresden-Neustadt im Nationalsozialismus Ausgangspunkt oder Zwischenstation vieler Deportationen von Jüdinnen:Juden war. An eben dieser Gedenktafel legten die Teilnehmer:innen des Gedenkrundgangs abschließend Blumen ab und stellten Kerzen auf.
Veröffentlicht am 5. Februar 2024 um 21:21 Uhr von Redaktion in Antifa