Soziales

Interview mit der Kooperation gegen Polizeigewalt Sachsen

13. März 2022 - 19:55 Uhr

Transparent mit der Aufrschrit "Polizeigewalt benennen"

addn: Am 15. März ist der Internationale Tag gegen Polizeigewalt. Aus diesem Anlass finden bundesweit verschiedene Veranstaltungen statt. Was habt ihr dazu in Dresden geplant?

KgP: Der internationale Tag gegen Polizeigewalt wurde von dem in Montreal ansässigen Kollektiv gegen Polizeibrutalität (C.O.B.P.) und der Gruppe Black Flag in der Schweiz anlässlich eines Übergriffs im März 1996 in der Schweiz ins Leben gerufen, bei dem die Polizei zwei Kinder im Alter von 11 und 12 Jahren misshandelt hatte. Seitdem soll jährlich an die Menschen erinnert werden, die Gewalt durch die Polizei erfahren haben oder ermordet wurden.

Um uns an diesem Tag zu beteiligen, starten wir am 15. März um 17 Uhr mit einer Kundgebung in der Dresdner Neustadt, am Albertplatz. Am nächsten Tag, dem 16. März, wird das Kollektiv „Désarmons-les!“ über die französische Polizei- und Strafverfolgungspolitik innerhalb der letzten 50 Jahre und die Massenüberwachung in Frankreich sprechen. Am dritten Tag wird der Film „Dear Future Children“ über Aktivist:innen aus verschiedenen Region der Welt im Thalia Kino Dresden laufen. Diese kämpfen unter anderem bei den Protesten in Hongkong gegen die Peking-nahe Administration, in Chile gegen die soziale Ungleichheit im Land oder in Uganda für Klimagerechtigkeit und dabei immer auch gegen Repression und Polizeigewalt.

addn: Kurz zu eurem Hintergrund: wer seid ihr und was sind eure Ziele?

KgP: Wir haben uns als Kollektiv unter dem Namen „Kooperation gegen Polizeigewalt“ 2020 zusammengetan, um Menschen zu unterstützen, die Gewalt, Schikane und/oder Diskriminierung durch Polizei und andere Strafverfolgungsbehörden erlebt haben. Wir bieten Beratung und Begleitung für Betroffene an, unabhängig davon, ob und wie sie gegen die Polizei vorgehen wollen.
Wir beraten direkt und persönlich während der Bürosprechzeiten oder wenn gewünscht über andere Kontaktwege, wie E-Mail oder Telefon. Und alles geht auch anonym. Wir wollen Menschen im Prozess der Verarbeitung begleiten, indem wir zuhören und gemeinsam nach Wegen suchen, was ihnen helfen könnte. Wenn gewünscht, vermitteln wir an andere spezialisierte Anlaufstellen weiter, stellen Öffentlichkeit her oder gehen auch juristisch gegen erlebte Übergriffe vor.
Darüber hinaus betreiben wir Öffentlichkeitsarbeit zum Thema, wie mit den Veranstaltungen diese Woche. Und wir vernetzen uns mit anderen Gruppen, um diese und uns untereinander gemeinsam weiterzubilden, zu geeigneten Handlungsmöglichkeiten und unterstützenden Reaktionen, die hilfreich oder heilsam im Umgang mit den Erfahrungen sind. Wir machen das, weil Übergriffe durch Beamt:innen in den meisten Fällen keinerlei Konsequenzen haben. Wenn aber neben der Gewalt und Diskriminierung die Erfahrung hinzukommt, dass Übergriffe folgenlos bleiben, verdoppelt sich die Benachteiligung von Betroffenen gegenüber der Exekutive. Die daraus entstehende Wut, Enttäuschung oder Hilflosigkeit sowie physische und psychische Verletzungen können dramatische Folgen haben.
Zudem gibt es bisher keine unabhängige Beschwerdestelle für polizeiliches Fehlverhalten, die diese Fälle registriert und untersucht, geschweige denn Instanzen, die angemessen darauf reagieren und Konsequenzen durchsetzen könnten. Deshalb sammeln wir zusätzlich Daten über Polizeiaktionen und informieren über Rechte, die gegenüber der Polizei bestehen.

addn: Und was wollt ihr mit den erwähnten Veranstaltungen erreichen?

KgP: Mit den Veranstaltungen wollen wir das Thema Polizeigewalt, die für viele Menschen eine tägliche Realität darstellt, bekannter machen. Denn in der Öffentlichkeit werden fast ausschließlich die Einschätzungen, Behauptungen und Forderungen der Polizei dargestellt. Auch vor Gericht wird Polizeizeug:innen immer mehr geglaubt als Betroffenen, obwohl bekannt und in den Prozessen offensichtlich wird, dass sich Beamt:innen vorher absprechen. Weil die Polizei sehr viel Vertrauen bei Medien und in der Bevölkerung besitzt, wird die Sichtweise der Polizei viel zu oft unhinterfragt übernommen. Öffentliche Kritik hingegen ist im Verhältnis zur Häufigkeit tatsächlicher Übergriffe extrem selten. Nur einzelne Fälle schaffen es durch die Dynamik der digitalen Medien zu einem so großen Bekanntheitsgrad, dass politisch Verantwortliche sich gezwungen sehen, darauf zu reagieren. Ohne Beweise, Öffentlichkeit und medialen Druck passiert gar nichts. Solange einzelne Fälle durch überregionale Aufmerksamkeit nicht skandalisiert werden und der Druck noch zu gering ist, werden sie von Polizei sowie von Politik und Justiz geleugnet und ignoriert. Das ist ein extrem ungleiches Machtverhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung.

addn: Seit einiger Zeit wird in den Medien mehr über rassistische Polizeipraktiken diskutiert. Warum ist aber eurer Meinung nach weitere Aufmerksamkeit und Problematisierung notwendig?

KgP: In Deutschland werden täglich hunderte vielleicht auch tausende Menschen angehalten, kontrolliert und durchsucht, die für Polizeibeamt:innen „verdächtig“ wirken, weil sie ihnen nicht genug Deutsch aussehen. Das ist aber praktizierter Rassismus und wird Racial Profiling genannt, was als systematisch angewandte Methode immer wieder von der Polizei geleugnet wird. Und BIPoC bzw. alle nichtweißen Menschen, sind zudem viel stärker dem Risiko daraus entstehender Gewalt ausgesetzt, die immer wieder tödlich endet, zum Beispiel für Giórgos Zantiótis, der im November 2021 im Wuppertaler Polizeigewahrsam starb.

In Deutschland sterben immer wieder Menschen durch den Einsatz von Tasern (Elektroschockpistolen), Pfefferspray oder direkter körperlicher Gewalt. Die sogenannten „Distanz-Elektroimpulsgeräte“ wie auch Schusswaffen werden zudem immer wieder gegen Menschen in psychischen Notlagen eingesetzt, also in Situationen, für die die Polizei nicht ausgebildet und daher häufig überfordert ist. Diese Überreaktion, die hinterher oft als Selbstschutz oder präventive Handlung verteidigt wird, endet immer wieder tödlich. Daher sollten diese Waffen abgeschafft werden.
Zwar wurde nach der Ermordung von George Floyd im Mai 2020 einige Zeit in den USA und international über Rassismus und Gewalt durch die Polizei debattiert. Leider hatte das aber keine konkreten praktischen Auswirkungen in Deutschland. Statt die Rechte Betroffener zu stärken, werden die Machtbefugnisse der Polizei weiter ausgeweitet. Es gibt eine Reihe Änderungen in den Polizeigesetzen der Länder, die ausschließlich die Macht auf Seiten der Polizei vergrößert haben. 
Zudem gibt es bisher keine umfassenden Untersuchungen zu Strukturen in der Institution, die zu Rassismus und Gewalt führen. Die scheinen aber eine Voraussetzung dafür zu sein, dass Polizei und Politik die bestehenden Probleme überhaupt anerkennen. Und solange Polizeigewerkschaften und Innenministerien diese Voraussetzungen erfolgreich blockieren, können sie den weit verbreiteten Rassismus und andere problematische Einstellungen sowie auch rassistische Praxen weiter leugnen und ohne Konsequenzen weitermachen wie bisher, und das ohne spürbar an Ansehen und Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung zu verlieren.

addn: Es gibt ja schon einige Beratungsstellen und angezeigte Übergriffe durch die Polizei werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst. Warum reicht das eurer Meinung nach aber nicht aus?

KgP: Weder wird politisch motiviertes Fehlverhalten wie Racial Profiling erfasst, noch gibt es von den Repressionsbehörden unabhängige Stellen, die Übergriffe, Gewalt und Diskriminierung erfassen oder untersuchen. Zudem werden die meisten Übergriffe der Polizei von Betroffenen eben nicht angezeigt und die Dunkelziffer ist hoch. Noch schwerwiegender ist die Tatsache, dass die Polizei regelmäßig selbst Strafanzeigen gegen Betroffene stellt, um sich der eigenen Strafverfolgung zu entziehen. So werden die Tatsachen vertauscht und die Opfer als Täter dargestellt. Das geht in der juristischen Praxis oft gut für die Polizist:innen aus, weil sich die Kolleg:innen meist untereinander decken und die Lügen vor Gericht funktionieren, weil ihnen die Richter:innen eher glauben, als anderen Menschen.
Wir machen das also, weil es keine institutionell verankerten unabhängigen Stellen in Sachsen und ebenso zu wenig Unterstützungsangebote für Betroffene gibt. Wir versuchen dazu beizutragen, einen Ausgleich zur enormen Übermacht der Polizei gegenüber der Bevölkerung herzustellen. 
Mit der öffentlichen Thematisierung wollen wir für die damit zusammenhängenden Probleme sensibilisieren und Polizeigewalt über linke Zusammenhänge hinaus bekannt machen. Wir freuen uns natürlich nicht nur über Unterstützung dabei, unser Beratungsangebot bekannt zu machen, damit sich möglichst viele Betroffene bei uns melden, sondern freuen uns auch über Mitarbeit durch solidarische Menschen. Denn wir sind ehrenamtlich aktiv und auf Mitwirkung angewiesen. Wenn also Menschen Zeit und Interesse haben, können sie sich gern bei uns melden, ebenso wenn sie Polizeigewalt erfahren haben. Auf unserer Webseite gibt es ein Formular zur Meldung von Vorfällen und Übergriffen. Und eure Leser:innen möchten wir aufrufen: Unterstützt auch nach Möglichkeit andere Betroffene, indem ihr als Zeug:in agiert und/oder Aufnahmen von Polizeikontrollen und Polizeikontakten macht. Es ist erlaubt und erwünscht, Polizeiarbeit umfassend zu dokumentieren. Bei Fragen dazu, könnt ihr euch an uns wenden.


Veröffentlicht am 13. März 2022 um 19:55 Uhr von Redaktion in Soziales

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