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„War’s das mit eurer Kritik?“ „Keineswegs.“ – Interview mit dem Autor:innenkollektiv audioscript über das geplante „Gedenkareal Dresdner Norden“

11. März 2022 - 15:18 Uhr

Foto: Standort des ehemaligen Judenlagers am Hellerberg (Dez. 2021) 

Die Stadt Dresden hat einen Ideenwettbewerb zur Gestaltung eines Gedenkareals ausgeschrieben, welcher die nationalsozialistische Geschichte von Orten im Dresdner Norden sichtbar machen soll. Bei den Orten handelt es sich u. a. um den Alten Leipziger Bahnhof – Güterbahnhof Dresden-Neustadt, den Gebäudekomplex des ehemaligen Rüstungsbetriebs Goehle-Werk der Zeiss Ikon AG, der heute die Kultur- und Wohngenossenschaft „Zentralwerk“ beherbergt oder das ehemalige Judenlager am Hellerberg. Aber auch der Heidefriedhof, der Sowjetische Garnisonsfriedhof und der Dresdner Nordfriedhof sowie die ehemalige Polizeischule Hellerau auf dem heutigen Areal des Festspielhauses Hellerau und der Standort der ehemaligen Nationalpolitischen Erziehungsanstalt (NAPOLA) Dresden gehören dazu. Zur Dekonstruierung des Opfermythos, die jahrelang fast ausschließlich von Antifaschist:innen betrieben wurde, möchte die städtische Verwaltung nun offenbar auch einen Beitrag leisten. So heißt es in der Ausschreibung, der Wettbewerb solle in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein schaffen, „dass die Bombardierung Dresdens eine zwölfjährige Vorgeschichte hatte.“ Das Ziel sei es, Erinnerungsorte „digital und analog“ zu markieren und „historische Zusammenhänge als Teil einer lokalhistorischen Aufarbeitung“ darzulegen.

addn hat mit dem Autor:innenkollektiv audioscript über den Wettbewerb gesprochen. Das Autor:innenkollektiv hat einen Audio-Stadtrundgang zu verschiedenen Aspekten der Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen:Juden in Dresden 1933 – 1945 erstellt. Auch zur Geschichte des ehemaligen Güterbahnhofs Dresden-Neustadt, des Goehle-Werks und des Judenlagers am Hellerberg sind Stationen entstanden. Der Hörrundgang ist seit 2008 auf der Website www.audioscript.net und seit 2019 über eine App verfügbar.

addn: Ihr habt schon 2008 zu ausgewählten Orten nationalsozialistischer Verbrechen recherchiert und auch zu drei Orten im Dresdner Norden Audiostücke in eurem Format audioscript veröffentlicht. Warum beteiligt ihr euch nicht am Wettbewerb?

audioscript: Auf den ersten Blick zeugt die Ausschreibung von einem guten Willen. Wir erkennen an, dass die Stadt Dresden die bisher nur durch ehrenamtliches Engagement vorgenommene Sicht-barmachung von nationalsozialistischer Geschichte in Dresden nun durch einen Wettbewerb unterstützen möchte. Darin kommt unserer Meinung nach auch eine veränderte Sichtweise auf das vielfach kritisierte Gedenken am 13. Februar zum Ausdruck. Die Ausschreibung verdeutlicht, dass es der Stadt Dresden mittlerweile wichtig ist, die Täter:innenschaft der Dresdner Bevölkerung aufzuzeigen und Platz zu machen für die Geschichte der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Wir sehen das als einen Erfolg der Kritiker:innen am geschichtsrevisionistischen Gedenken zum 13. Februar. Auf den zweiten Blick wirft die Ausschreibung aber eine Reihe von Fragen auf: Warum erst jetzt, warum so schnell, warum ohne Geld und warum ohne Forschung?

addn: Ihr zielt auf den knappen Bewerbungszeitraum in der ersten Stufe des Wettbewerbs – 01. Februar bis 04. März 2022 – ab und haltet das Vorhaben auch finanziell nicht für hoch genug beziffert. Könnt ihr eure Kritikpunkte etwas mehr ausführen, was sind eure Ansprüche?

audioscript: Auffällig ist, dass es in der Ausschreibung an einem Konzept fehlt. Jenseits der Idee der Dezentralität hat das Kulturamt keinen eigenen Rahmen erarbeitet. Das sollen nun Kollektive aus Künstler:innen und Architekt:innen für 1.500 Euro leisten – also quasi auch wieder ehrenamtlich. Um über die Konzeptlosigkeit hinwegzutäuschen, wurden solche Worthülsen wie „Möglichkeitsraum“ oder „logistische und geografische Interdependenz der Standorte“ verwendet. In den Möglichkeitsräumen sollen „Erinnerungs-, Forschungs- und politische/kulturelle Bildungsarbeit“ miteinander verbunden werden. Die versäumte Beschäftigung soll nun offenbar schnell nachgeholt werden. Während in anderen Städten dafür eigens Institutionen aufgebaut wurden, wo Forschungs-, Erinnerungs- und Bildungsarbeit organisiert sind, soll dies nun hier in Dresden alles zusammen in kürzester Zeit vom „Gedenkareal Dresdner Norden“ erledigt werden.

Wir finden auch, dass nur das historische Wissen zu Orten nationalsozialistischer Verbrechen für eine Auseinandersetzung nicht genügt. Es ist ebenso erforderlich, sich den Umgang mit den Verfolgten in den postnationalsozialistischen Gesellschaften anzuschauen. Im audioscript haben wir deshalb auch das (Nicht-)Agieren der Stadt und der deutschen Regierungen kritisiert, z. B. bei den Verhandlungen über Entschädigungszahlungen an Zwangsarbeiter:innen, die nicht umsonst von Rudy Kennedy, einem ehemaligen Zwangsarbeiter der I.G. Farben, als „finale Beleidigung“ bezeichnet wurden. Ja, Deutschland ist Erinnerungsweltmeister. Weltmeister im oberflächlichen, denkmalsfokussierten und folgenlosen Erinnern. Denn kosten darf die Auseinandersetzung mit den Verbrechen nichts.

Wir sehen auch zu viele Erinnernde ohne empathischen Zugang zu den Verfolgten und deren Angehörigen. Viele produzieren einfach Text, Installationen oder Skulpturen. Das Wissen um die Shoah und die Verfolgung vieler anderer Gruppen ist offenbar gar keine Voraussetzung dafür. Es kommt uns so vor, und so lesen wir auch die Ausschreibung, dass es nur darum geht, wie erinnert werden soll, aber nicht, an wen eigentlich. Dazu muss man ja auch mal sagen, dass bis in die jüngste Vergangenheit noch Gruppen der von den Nationalsozialist:innen Verfolgten um ihre gesellschaftliche Anerkennung kämpfen mussten und von einer Entschädigung gar nicht gesprochen werden kann. Wenn sich Erinnerungskultur nur um Erinnern dreht, ist es eine selbstreferenzielle Tätigkeit. Wir meinen, dass gerade angesichts von Fake News, Geschichtsrevisionismus und einem gewaltigen Rechtsruck Aufklärung, also Bildung im Sinne der Wissenschaft und Forschung, ganz vorn dran sein müsste. Gerade in Dresden ist das Subjektive, also das Sich-als-Opfer-Fühlen viele Jahre lang mit Aufmerksamkeit belohnt worden. Jetzt wäre es daran, die Aufmerksamkeit und Präzision in die Forschung und in die ökonomische Restitution zu stecken. Denn neben der Verfolgung und Vernichtung vieler Menschen war der Nationalsozialismus auch ein Enteignungsfeldzug.

addn: Was vermutet ihr, wird auf der Strecke bleiben beim Wettbewerb der Stadt?

audioscript: Es wird sich zu wenig mit der Täter:innenschaft im Nationalsozialismus auseinander- gesetzt. Neben dem Buch „Braune Karrieren“ und dem Täter:innenspurenmahngang gibt es noch immer wenig Forschung und wenige Publikationen. Welche Personen und Institutionen haben welche Verbrechen an welcher Verfolgtengruppe begangen? Die Debatte um Täter:innenschaft birgt politische Kontroversen, außerdem haben diese Einschätzungen Konsequenzen auf didaktische Konzepte: Waren nur die SS und SA verbrecherische Organisationen? Wer weiß um die Verbrechen der Wehrmacht im Vernichtungsfeldzug? Welche Rolle spielte die Polizei und welche Konsequenzen hat das für die Gegenwart? Was bedeutet in diesem Kontext „Erziehung nach Auschwitz“? Die alles entscheidende Frage ist doch: „Wie werde ich nicht zur Täterin“? Welche Handlungsoptionen haben die Individuen und für welche müssen sich Menschen kollektiv organisieren?

addn: Aber in der Ausschreibung ist explizit von Täterorten die Rede. Befürchtet ihr eine Verkürzung oder eine zu illustrative Auseinandersetzung?

audioscript: Eine Stadt braucht nicht nur zeitgenössischen Diskurs um Täter:innenschaft, sondern Forschung und Bildung. Ein NS-Dokumentationszentrum in der Stadtmitte würde der stadtgeschichtlichen Auseinandersetzung guttun. Dem jahrzehntelangen Leugnen der Geschichte Dresdens im Nationalsozialismus sollte ein gewichtiges Symbol gegen Geschichtsrevisionismus entgegengestellt werden. Eben ein NS-Dokumentationszentrum. Wir wünschen uns den Willen und Mut, der Täter:innenschaft in Dresdens auch einen angemessenen Ort zu widmen.

addn: War’s das mit eurer Kritik?

audioscript: Keineswegs. Was für die mangelnde Auseinandersetzung mit den Täter:innen stimmt, hat leider auch Folgen für die Stimmen der Überlebenden und ihrer Angehörigen. Es fehlt an Selbstzeugnissen von Jüdinnen:Juden aus Dresden und in Dresden und von all den anderen Verfolgten. Henny Brenner und Victor Klemperer sind noch bekannt, aber dann hört es oft auch schon auf. Die verfolgten Kommunist:innen sind aus dem Stadtbild verschwunden, die Stolpersteine erinnern, aber ansonsten gibt es zu wenig. Rom*nja und Sint*ezze, Euthanasieopfer oder Menschen, die unter dem schwarzen Winkel verfolgt wurden, sind kaum bekannt. Das ist auch kein Wunder. Es ist sogar logisch. Wer sich nicht an den Perspektiven und Stimmen von Menschen interessiert zeigt, erfährt eben nichts über sie und hat über sie nichts zu erzählen. So bleiben die Kategorien, die die Nationalsozialist:innen vorgenommen haben, die vermeintlichen Gruppenzugehörigkeiten, im Denken im Grunde sogar erhalten, auch wenn man es natürlich ablehnt, welche Verbrechen an ihnen begangen wurden. Sie sind aber nur aufzubrechen, wenn man individuelle Geschichten und Perspektiven anhört.

Insofern besteht die uns wichtigste Kritik an dem Umstand, dass in der Ausschreibung die Verfolgten oder ihre Angehörigen und ihre Perspektiven, Bedürfnisse oder Wünsche bei der Ausgestaltung des Gedenkens an Orten, an denen sie etwa Zwangsarbeit leisten mussten oder interniert waren, keine Rolle zu spielen scheinen. Sie scheinen schlichtweg nicht mitgedacht.

addn: Während eurer Arbeit am audioscript hattet ihr auch Kontakt mit Angehörigen von Verfolgten des Nationalsozialismus. Hattet ihr Gelegenheit, über ihre Wünsche an das Erinnern zu sprechen?

audioscript: Ja, während unserer Arbeit am audioscript hatte uns Roni Pelled aus Israel kontaktiert. Ihr Vater und ihr Onkel – Zwillingsbrüder – waren in Dresden aufgewachsen und wurden von ihren Eltern 1934, im Alter von 15 Jahren, mit der Jugend-Alija nach Palästina geschickt. Ihre Eltern haben sie nie wiedergesehen, sie sind vom Judenlager Hellerberg nach Auschwitz deportiert und ermordet worden. In dem Buch: „Die Erinnerung hat ein Gesicht“ erkannte Ronis Onkel schließlich viele Jahrzehnte später seinen Vater. Bei dem Bild handelte es sich um ein Einzelbild aus dem Dokumentarfilm „Die Juden sind weg. Das Lager Dresden Hellerberg“. Roni war auf der Suche nach dem Film und nach den bewegten Bildern von ihrem Großvater, auf Umwegen hat sie dann mit uns Kontakt aufgenommen. Wir haben sie und ihren Onkel Zvi später auch im Kibbutz Ramat Yohanan besucht. Ihren Wünschen nach der Verlegung von Stolpersteinen für Gertrud und Simon Silbermann sowie Rosa und Leo Silbermann und deren Tochter Margot Felicja sind wir gern nachgekommen. 

Wir haben auch Roni Pelleds Recherchen zu weiteren Familienangehörigen unterstützt. Zweimal sind ihre Besuche in Dresden leider nicht zustande gekommen, einmal aufgrund von Zvis gesundheitlicher Verfassung und das zweite Mal aufgrund der Corona-Pandemie. Roni Pelled wollte Dresden besuchen, auch den Standort des ehemaligen Lagers am Hellerberg sehen. Mit ihr gemeinsam dorthin zu gehen, davor haben wir uns immer etwas gefürchtet, einfach weil das Gelände zum damaligen Zeitpunkt in einem so schäbigen Zustand war und – abgesehen vom Denkzeichen an der Bushaltestelle – nichts an die dort internierten und später in die Vernichtung deportierten Menschen erinnert. Wir sind uns aber sicher, dass Roni Pelled gern um ihre Meinung zur Ausgestaltung oder zur Form des Erinnerns am Hellerberg gefragt worden wäre. Nicht nur, weil sie auch Landschaftsarchitektin ist.

Olga Horak hingegen, die Januar 1945 auf einem Todesmarsch durch Dresden kam und heute in Sydney lebt, mit der wir ebenfalls viele Jahre in Kontakt waren, hat mit Deutschland und mit Europa abgeschlossen. Sie würde sicherlich einen Teufel tun, sich um das hiesige Erinnern zu kümmern. Aber beide Stimmen sind hörenswert.

addn: Ihr habt euch auch am 2013 erschienenen Buch „Gedenken abschaffen“ mit einem Beitrag beteiligt. Warum?

audioscript: Ja. Bis heute wird der 13. Februar als der zentrale Gedenktag an den Nationalsozialismus in Dresden begriffen. Solange dieser Tag wichtiger ist als der 27. Januar oder der 8. Mai, helfen keine Denkmalparkoure gegen das hegemoniale Erinnern der Stadt. Mit dem Buch haben wir zusammen mit vielen anderen Autor:innen vorgeschlagen, das Gedenken an den 13. Februar abzuschaffen. Und das meinen wir nicht polemisch, sondern ganz ernst. Und in die richtige Richtung ging es ja auch schon. Der 13. Februar war schon dabei, immer mehr an Bedeutung zu verlieren, als Kunstschaffende das Thema für sich entdeckt haben, statt es einfach zu lassen und den Tag nicht erneut mit Bedeutung aufzuladen.

addn: Das audioscript ist schon besonders. Uns scheint, dass ihr euch stark mit eurer Rolle als Autor:innen auseinandersetzt habt. Wir finden in den Audiobeiträgen sehr viel Respekt gegenüber dem Thema, es wirkt nicht instrumentell.

audioscript: Ja, das audioscript ist … ein sensibles Stück Erinnerungskultur, so würden wir es beschreiben. Sensibel in dem Sinne, dass wir sehr nah herangegangen sind an die konkreten Personen, ihr konkretes Erleben, an konkrete Orte, um etwas von der verbrecherischen Normalität in dieser konkreten Stadt während des Nationalsozialismus zu vergegenwärtigen. Gleichzeitig aber war es essentiell, unseren Abstand zur Zeit, zu den Menschen und ihrem Erleben immer mitzudenken. Wir sind nicht die Opfer und wir machen auch nichts wieder gut. Denn das ist nicht möglich. So entstanden in den Hörstücken verschiedene Texturen aus dem individuellen Wort Überlebender, aus historischer Verortung, philosophischer Frage, aus Bruchstücken unseres zeitgenössischen Diskurses und Lücken.

Wie soll man es sagen, es ist ein Ringen um eine angemessene Position, um dem Ausdruck zu verleihen, was uns die Dinge angehen. Ein paar Prinzipien haben wir uns dafür zugrunde gelegt: Wir haben uns bspw. ausschließlich auf die Zeugnisse von Menschen fokussiert, die die Verbrechen überlebt hatten, das war eine wichtige Entscheidung, denn damit haben wir mit der damals noch gängigen Praxis, die Perspektive von Opfern und Täter:innen zu vermischen, gebrochen. Die Zeugnisse selbst, die Texte Überlebender, bekamen ihren eigenen Raum und wurden in den Hörstücken als solche gekennzeichnet. Uns war es wichtig, die Erfahrungen zu veröffentlichen, die Stimmen zu verstärken, ohne sie uns anzueignen. Nicht zuletzt heißt das audioscript eben audioscript und nicht etwa audioguide, das ist im Grunde ein wichtiges Vorzeichen, welches den Charakter der Hörstücke kennzeichnet – als Anfang und unabgeschlossen. Diese Offenheit für unser Material, für die Quellen und die Leerstellen war uns sehr wichtig.

addn: Vielen Dank euch für den spannenden Einblicke in eure Arbeit und Kritik an dem Ideenwettbewerb zur Gestaltung eines Gedenkareals im Dresdner Norden. Wir hoffen das es nicht das letzte Mal gewesen sein wird, dass wir von euch hören und wünschen euch weiterhin viel Kraft bei eurer Arbeit.


Veröffentlicht am 11. März 2022 um 15:18 Uhr von Redaktion in Antifa

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