Anarchistischer Brunch statt faschistische Hetze – 1. Mai in Dresden
4. Mai 2021 - 11:54 Uhr - 2 Ergänzungen
Der 1. Mai, traditioneller Kampftag der Arbeiter:innenbewegung seit dem Haymarket Riot im Chicago der 1880er Jahre, wurde auch in diesem Jahr mit einer Vielzahl an Kundgebungen in Dresden begangen. Ein Riot oder auch nur kleinere Auseinandersetzungen, wie sie sich wohl am vergangenen Donnerstag in Dresden zutrugen, blieben jedoch aus.
Ab 14 Uhr fand auf dem Albertplatz nahe dem Artesischen Brunnen der Anarchistische 1. Mai statt. Bei der Kundgebung fanden sich etwa 150 Personen ein, die ein vielfältiges Angebot aus Workshops, Redebeiträgen und Diskussionsrunden nutzten, um in Austausch zu kommen. Mit Ständen waren zum Beispiel die Freie Arbeiter:innen Union Dresden (FAU DD), die Gruppe Tierbefreiung Dresden und das Anarchist Black Cross (ABC DD) präsent. Eingeladen hatte das Anarchistische Netzwerk Dresden. Im Aufruf zur Kundgebung hieß es: „Der 1. Mai in seiner historischen Dimension“, sei „aktuell wie eh und je. „Die Coronakrise verstärke zum einen „geschlechterbasierte Rollenverteilung“ und „patriachale Unterdrückungsverhältnisse“. Zum anderen seien zentrale Errungenschaften, wie der 8-Stunden-Tag partiell aufgehoben, 12-Stunden-Schichten in einigen Arbeitsbereichen wieder möglich gemacht worden.
Vor Ort wurden sehr viele unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte gelegt. Die Gruppe Tierbefreiung etwa thematisierte die Ausbeutung von Tieren in Mastanlagen und Schlachthöfen, deren Weiterbetrieb in der Coronakrise aufsehenerregende Massenausbrüche des Covid-19-Erregers beim Fabrikanten Tönnies zur Folge hatte. Die FAU Dresden wiederum informierte an ihrem Stand über einen laufenden Arbeitskampf bei der Buchhandlungskette Walther König. Bundesweit protestieren Ortsgruppen der Gewerkschaft derzeit gegen die Arbeitsbedingungen bei der kunstwissenschaftlichen Buchhandlung, die 45 Filialen in Deutschland unterhält. In München war 11 Student:innen mit Werksverträgen gekündigt worden, nachdem sie eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen angemahnt hatten. Die Geschäftsführung, so einer der Vorwürfe, hätte Minusstunden für ihre Arbeiter:innen an Arbeitstagen aufgeschrieben, an denen diese durch die Lockdown-Maßnahmen überhaupt nicht hätten arbeiten können.
Mit mehreren Redebeiträgen vertreten war außerdem die Kampagne „Nicht auf unseren Schultern!“ (NAUS) aus Dresden. Ihr Ziel sei es, mit Aktionen und Forderungen in der Zeit der Coronapandemie auch weiterhin linke und radikale Inhalte auf die Straße zu tragen. Dafür war Anfang des Jahres ein Forderungskatalog erschienen. Ein Beitrag widmete sich besonders der Pharmaindustrie und den Coronaimpfstoffen. Den Impfkampagnen der großen Industrienationen stehe die humanitäre Katastrophe in mehreren Staaten der Welt, derzeit vor allem in Indien, gegenüber. Doch das eine sei nicht ohne das andere zu haben, so der Redner. Die Pandemietoten seien weniger einem Versagen des politischen und wirtschaftlichen Betriebes anzulasten. Stattdessen werde für den Weiterbetrieb der Wirtschaft eine große Zahl an Toten hingenommen, um den Wirtschaftskreislauf nicht zu gefährden.
Spontan gab es auch einen Beitrag einer Person, die die rassistische Diskriminierung – nicht nur – auf dem Arbeitsmarkt anklagte. Allzu oft müsse sie sich von Menschen, mit denen sie und ihre Freund:innen arbeiteten, rassistische Sprüche und Parolen anhören. Sie kündigte an, dass sie gemeinsam eine Initiative gegründet hätten, um sich nicht länger herumschubsen zu lassen.
Keinen Ort für einen zentrale Kundgebung gefunden hatte die neo-nationalsozialistische Partei Der Dritte Weg. An verschiedenen Orten, etwa Zwickau und Leipzig hatte die Partei zuvor Versammlungen angemeldet, gegen die antifaschistische Gruppen mobilisiert hatten. Obwohl die Partei sich offen auf den historischen Nationalsozialismus bezieht, wurden ihre Veranstaltungen vor Gericht nur wegen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) beauflagt oder verboten. Dass die Partei in der Vergangenheit mit Trachten, Uniformen und Ausschreitungen für Furore gesorgt hatte, scheint den deutschen Behörden nicht im Gedächtnis geblieben zu sein. Nachdem drei Männer durch zwölf ihrer Mitglieder rassistisch beleidigt, angegriffen und schwer verletzt wurden, hatte zuletzt im Jahr 2020 Christoph Heubner, der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, ein Verbot der Partei gefordert.
Nach den Verbot der zentralen Veranstaltung in Leipzig hielt die rechte Kleinstpartei eine Kundgebung im sächsischen Plauen ab, die allerdings nur auf wenig Resonanz stieß . Diese war kurz zuvor durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) erlaubt und auf eine Teilnahme von Personen aus der Region beschränkt worden. So fanden sich am Mittag des 1. Mai in der Stadt rund 25 Personen der Partei ein, die in Plauen einen Haus besitzt und bereits mehrfach zum 1.Mai in der Stadt demonstrierte. Nicht erlaubt wurde hingegen die Kundgebung des zivilgesellschaftlichen Bündnisses „Colorido“ , was für heftige Kritik sorgte: „Unsere Kundgebung wurde verboten, das ist ein Schlag ins Gesicht, während die Neonazi-Kundgebung auf der von uns angemeldeten Fläche stattfand“, erklärte das Bündnis gegenüber addn.me. Es ist nicht das erste Mal, dass zivilgesellschaftliche Akteur:innen in der Stadt mit Einschränkungen zu kämpfen haben. Zuvor wurde dem „Bündnis für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage im Vogtland“ vom Stadtrat vorgesehene Fördermittel gestrichen. Der Antrag zu Streichung war von der CDU eingereicht und mit den Stimmen des „Dritten Weg“ und der AfD knapp angenommen worden.
Am späten Nachmittag sammelten sich dann erneut rund 50 Personen des „Dritten Wegs“ in Chemnitz, um an einer Veranstaltung der „Freien Sachsen“ teilzunehmen. Die sich in Gründung befindende Partei wurde von Stefan Hartung, dem NPDler und Organisator der rassistischen Lichtelläufe in Schneeberg, dem Stadtratsmitglied von Pro Chemnitz, Martin Kohlmann und einen Plauener Busunternehmer ins Leben gerufen. Mit ihren Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen versuchen sie seit einiger Zeit, völkisches Gedankengut in der Bevölkerung zu verbreiten. Rund 200 Personen beteiligten sich an der Kundgebung zum 1. Mai in Chemnitz, auf der auch eine Person des Dritten Weg sprach. Im Chemnitzer Stadtgebiet versuchte dabei immer wieder eine Gruppe jüngerer Nazis, Linke und Journalist:innen anzugreifen.
Ruhig von rechter Seite aus blieb es hingegen in Dresden. Während 2019 noch die NPD zum 1. Mai in der Landeshauptstadt demonstrierte, startete in diesem Jahr nur ein Autokorso von der Pieschener Allee. Daran beteiligten sich rund 40 Fahrzeuge. Die AfD-Landespitze hielt eine Kundgebung im nahegelegenen Pirna ab. Auch wenn bis zu 1.000 Personen hätten kommen können, versammelten sich gerade einmal 50 Menschen auf dem Marktplatz. Für die Partei dürfte dies ein Misserfolg gewesen sein. Eine Kundgebung des „Freundeskreis PEGIDA“ in Zittau, an der auch der ehemalige AfD-Landesvorsitzende von Brandenburg, Andreas Kalbitz, teilnehmen sollte, war im Vorfeld durch die Organisator:innen abgesagt worden.
Bild: AND
Veröffentlicht am 4. Mai 2021 um 11:54 Uhr von Redaktion in Soziales
kleine korrektur: PN rathenow spricht von 50 nasen in plauen