Trauerkundgebung am Landtag
17. Februar 2021 - 19:01 Uhr
Am Dienstag Nachmittag versammelten sich etwa 200 Menschen an der Stelle, an der sich am Freitag letzter Woche, dem 12. Februar eine Person selbst verbrannt hatte. Sie waren dabei einem Aufruf der Initiative für Frieden in Kurdistan und der Freien Kurdistan-Föderation Ostdeutschland e.V. gefolgt, die aus diesem Grund zu einer Trauerkundgebung aufgerufen hatten. Bei dem an seinen Verletzungen im Krankenhaus Verstorbenen handelte es sich um den 49 Jahre alten kurdischen Aktivisten Halil Şen. Der kurdischen Nachrichtenplattform ANF-News zufolge existiert ein Abschiedsbrief, in dem Halil Şen seine Tat als Protest gegen die Isolationshaft des Führers der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan bezeichnete. Im Aufruf zur Kundgebung hieß es darum: „Sein Tod ist ein politischer, so wie auch sein Leben ein politisches gewesen ist. Wir wollen unserer Anteilnahme und Solidarität Ausdruck verleihen, unserer Trauer und unserer Wut. Trauer darüber, dass er keinen anderen Weg sah, Wut darüber, dass uns die Behörden über Tage im Ungewissen ließen.“
Halil Ş. war in der Stadt Siirt im Süd-Osten der Türkei geboren worden. Er lebte laut Freund:innen seit 25 Jahren in Deutschland. Halil Şen hatte nach Angaben von Freunden und Bekannten noch am Donnerstag an einer Kundgebung teilgenommen, die sich gegen einen Angriff der türkischen Armee auf die Region Gare richtete. Anschließend habe er sich auf den Weg gemacht, um an einer Aktion für die Freilassung Abdullah Öcalans in Straßburg teilzunehmen. Regelmäßig finden rund und um den 15. Februar, dem Jahrestag der Verschleppung des PKK-Führers im Jahr 1999, Aktionen für dessen Freilassung auf der ganzen Welt statt. In einem Artikel zitieren ANF-News aus dem Abschiedsbrief Halil Ş.: „Seit Monaten dringt kein Lebenszeichen des Volksrepräsentanten an die Öffentlichkeit. Weder seinen Anwälten noch seiner Familie wird der Kontakt ermöglicht. Zwar gibt es dagegen Reaktionen und Aktivitäten, aber das reicht nicht aus. (…) Die Kinder des Anerkennung verdienenden kurdischen Volkes sind seit 45 Tagen unter den schwierigsten Bedingungen im Hungerstreik, um eine Nachricht von Öcalan zu erhalten. Tausende kurdische Frauen sind im Gefängnis. Dagegen rebelliere ich.“
Doch bei der Kundgebung in Berlin kam er nie an. Aus diesem Grund hatten Freund:innen ihn darum kurz darauf vermisst gemeldet. Auf der Kundgebung wurde auch das Vorgehen der Polizei kritisiert, die trotz wiederholter Anfragen nicht reagiert habe. Außerdem sei es am Rande der Kundgebung zu einem Polizeieinsatz gekommen, weil Polizist:innen das Mitführen eines Bildes Öcalans unterbinden wollten. Abgesehen davon verlief die Kundgebung ruhig. Eröffnet wurde sie mit einer Schweigeminute für Halil Ş. und weitere Tote der kurdischen Befreiungsbewegung. Anschließend wurde an das Leben des Verstorbenen und den politischen Hintergrund seiner Tat erinnert. „Er war wütend gegen die Kräfte, die am Komplott gegen Abdullah Öcalan beteiligt waren. Er sehnte sich nach einem freien Vorsitzenden und nach Kurdistan. Wir alle wissen das, weil wir Halil kannten. Er steht exemplarisch für Widerstand und mutiges Einstehen für die Belange der kurdischen Gesellschaft. Dass wir heute so zahlreich hier erschienen sind, zeigt, wie stark das Band zwischen Halil und uns ist“, sagte Kerem Gok, Teil des Vorstandes der Freien Kurdistan Föderation Ostdeutschland e.V.
Selbstverbrennung als politische Form des Protestes hat es in der Vergangenheit in Deutschland bereits häufiger gegeben. Die kurdische Arbeiterpartei PKK selbst hat die Praxis der Selbstverbrennung in der Vergangenheit wiederholt kritisiert. Anlässlich ihres Verbots in Deutschland im Jahr 1993 und der Verschleppung Öcalans 1999 war es nicht nur in der Türkei, sondern auch in Europa zu einer ganzen Reihe solcher Vorfälle gekommen. Auch in den Folgejahren kam es immer wieder zu Selbstmorden kurdischer Aktivist:innen, so verbrannte im Jahr 2019 der Kurde Uğur Şakar ebenfalls aus Protest gegen Öcalans Inhaftierung und Polizeigewalt in Deutschland.
Veröffentlicht am 17. Februar 2021 um 19:01 Uhr von Redaktion in International, Soziales