Sinkende Einwohner:innenzahl in Dresden – Quittung für autoritäre Politik?
1. Februar 2021 - 10:33 Uhr - Eine Ergänzung
Ein Kommentar der Recht-Auf-Stadt Gruppe Löbtau
Diese Nachricht überraschte dann doch: Das seit 20 Jahren anhaltende Bevölkerungswachstum drehte sich in 2020 um, Dresden verlor im vergangenen Jahr 1.069 Einwohner:innen und hatte zum Jahresende 2020 rund 562.000 Bewohner:innen. Das Interessante an der Nachricht ist dann auch die Zusammensetzung des Einwohner:innenverlustes, denn die Zahl sank in allen erfassten Kategorien. Es zogen mehr Leute weg, als her, die Sterbefälle lagen höher und das bei gleichzeitigem Rückgang der Geburten. Schauen wir uns mögliche Hintergründe an.
Erhöhte Sterbefälle: Mit erhöhten Sterbefällen wird seit Jahren gerechnet. Auf Grund der natürlichen Alterung der Bevölkerung kommt es leider auch zu erhöhten Sterberaten. Der deutliche Anstieg in 2020 lag jedoch weit über dem der Vorjahre und ist sicherlich auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie zurückzuführen. Allein im Dezember lagen die Sterbefälle von 764 knapp 80% über den durchschnittlichen Fällen der Vorjahre. Allein also im Dezember über 300 Menschen, die nicht mehr in unserer Stadt leben, weil wir es als Gemeinschaft nicht geschafft haben, diese Menschen ausreichend zu schützen. Ein Ausblenden der Probleme, geringe Einbindung der Betroffenen und eine Orientierung der Beschränkungen an den wirtschaftlichen Bedingungen an Stelle der Bedürfnisse der Einwohner:innen könnten hierfür Gründe sein, warum diese Pandemie Dresden vergleichsweise hart getroffen hat und weiterhin trifft. Mögliche Gegenmaßnahmen, wie z.B. eine transparente und nachvollziehbare Kommunikation, Einbindung der Bevölkerung in die Entscheidungsprozesse und eine frühzeitige Bekämpfung wären konkrete Möglichkeiten gewesen, Menschenleben zu retten.
Negativer Wanderungssaldo: Zogen seit 1999 immer mehr Menschen nach Dresden als sie die Stadt verliegen, ist auch dieses Saldo im vergangenen Jahr gekippt. Mit 27.200 Menschen zogen mehr Dresdner:innen weg, als mit 26.500 Menschen herzogen. Verdeckt vielleicht durch einen etwas höheren Zuzug in Folge der Migrationsbewegungen und den hohen ökonomischen Zwängen zum Zuzug in eine Großstadt in Form von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, ist diese Entwicklung bereits seit Jahren erkennbar gewesen. Einen der Gründe sehen wir in der verfehlten Wohnungsbaupolitik. Gibt es in innenstadtnahen Gebieten wie der Wilsdruffer Vorstadt (+19,4% zwischen 2016 bis Ende 2019), Innerer Alstadt und Pirnaischer Vorstadt einen regelrechten Bevölkerungsboom in Folge der Neubauten, sanken die Einwohnerzahlen in Prohils-Süd, Gorbitz-Ost und Gruna. Der Neubau bzw. größere Bestandssanierungen orientieren sich hierbei aber nicht an den Bedürfnissen der Einwohner:innen, sondern vielmehr an der maximal möglichen Rendite, die gerade in Innenstadtlage vielversprechender ist und ein vermutlich zahlungskräftigeres Milieu anspricht.
So bleibt gerade für die geringen bzw. mittleren Einkommen kaum eine andere Möglichkeit, sich durch die verändernden Rahmenbedingungen aus Dresden zu verabschieden und das obwohl in der Innenstadt vermehrt Wohnraum zu Verfügung steht. Ebenfalls eine Rolle könnte die zunehmende Flächenversiegelung und der Verlust von erlebbarem Stadtraum für bestimmte Bevölkerungsgruppen spielen. Bereits seit Jahren werden in der Haushaltsbefragung mehr Ruhe, Naturnähe, zu hohe Wohnkosten und größere Wohnungen als Gründe für den Umzug ins Umland angegeben. Gleichzeitig wird jedoch daran festgehalten, dass nicht mehr die Mieter:innen über ihre künftige Wohnung entscheiden, sondern überwiegend Investoren, die den Stadt- und Wohnraum lediglich als Anlageprodukt sehen. Ein nicht unerheblicher Anteil von 40% der Umzugswilligen aus Dresden sehen der Haushaltsbefragung nach zudem im rassistischen Gedankengut und Pegida ein Problem. Auch hier fehlt bisher von Seiten der Stadt und deren Institutionen ein entschlosseneres Vorgehen, um nicht nur gegen Menschenfeindlichkeit vorzugehen, sondern den von Stigmatisierung und Diskriminisierung betroffenen Bevölkerungsgruppen in der Stadt Schutzräume zu bieten.
Wir sehen in den unterschiedlichen Gründen zum Bevölkerungsrückgang eine Gemeinsamkeit. Die fehlende Einbindung von Menschen in die Stadtentwicklung- und Gestaltung. Mögliche Stadtteilzentren, als Ort des Austauschs und für die Entwicklung von Nachbarschaftsversammlungen mit Gestaltungsmöglichkeiten werden verschleppt oder wie die Besetzung Putzi an der Königsbrücker Straße gezeigt hat, gewaltsam geräumt. So wären auch Stadtteilzentren Orte in der jetzigen Pandemie gewesen, an denen niederschwellig Informationen bekannt gegeben werden oder bei Nachbarschaftsversammlungen gemeinsam überlegt werden könnte, wie unser Verhalten angepasst werden müsste, um die Auswirkungen von Covid einzudämmen.
Der so wichtige urbane Wohn- und Lebensraum wird nicht zusammen mit den Menschen gestaltet, die darin leben und wohnen wollen, sondern vermehrt Investoren überlassen, die mit immer gleichen farblosen Ideen, Gebäude und Plätze für Besserverdienende gestalten. Eine konsequente Vergesellschaftung von Leerstand und Schutz bestehender Wohnräume z.B. durch einen Mietendeckel ist leider noch in weiter Ferne. So müssen wir uns nicht wundern, dass Menschen der Stadt den Rücken kehren, gar nicht erst herziehen oder leider einfach (in Einsamkeit) sterben.
Diesem rücksichtslosen und autoritären Handeln müssen wir ein Modell der Selbstverwaltung und Solidarität entgegenstellen. Die Vergesellschaftung von Großunternehmen wie beispielsweise Deutsche Wohnen, eine noch sehr viel stärkere Organisierung in unseren Stadtteilen in z.B. Mieter:innen- oder Antifagruppen und eine langfristige Einführung von Nachbarschaftsversammlungen kann hier ein erster Schritt sein, um künftig gemeinsam Entscheidungen zu treffen, die unsere Stadt für alle Menschen lebenswert macht.
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Bild: Simschmidt
Veröffentlicht am 1. Februar 2021 um 10:33 Uhr von Redaktion in Freiräume, Soziales