Feministische Solidarität mit schwarzen Regenschirmen
22. April 2020 - 12:16 Uhr
In der vergangenen Woche haben feministische Aktivist:innen von Pro Choice Sachsen in Dresden gegen eine geplante Erweiterung des Abtreibungsverbotes in Polen protestiert. Zu den bundesweiten Foto-Aktionen hatte die Organisation Dziewuchy Berlin aufgerufen, die auf die Situation von Frauenrechten in Polen aufmerksam machen und feministische Initiativen in Polen unterstützen möchte. Am 16. April hat das polnische Parlament beschlossen, die Entscheidung vorerst auszusetzen.
Der Gesetzesentwurf der regierenden PiS-Partei hatte vorgesehen, Schwangerschaftsabbrüche zu verbieten, die auf Grund irreversibler Schäden des Fötus durchgeführt werden. Laut Dziewuchy Berlin betrifft das 98 Prozent aller Abtreibungen in Polen und entspräche somit „einem totalen Abtreibungsverbot„. Erlaubt sind Abbrüche bisher nur aus diesem Grund sowie in Folge von Vergewaltigungen oder bei Gefahr für das Leben der Schwangeren.
Antifeminismus in Polen
Der frauenpolitische Backlash in Polen ist kein neues Phänomen. Corona und die verhängten Maßnahmen spielen dem konservativen Familienideal der PiS-Regierung derzeit gut in die Hände: Erwerbstätige Frauen werden zurück ins Haus gedrängt, übernehmen mehr denn je Sorge-, Pflege- und Haushaltstätigkeiten und avancieren zur unbezahlten Lehrkraft für Kinder. Auf Grund prekärer Arbeitsverhältnisse verfestigt sich damit sowohl vor, während als auch nach der Krise das Bild des Familienernährers, so ein Bericht der EAF Berlin.
„Nun wollte die PiS Partei die Corona-Krise außerdem nutzen, um erneut die körperliche Integrität und die Selbstbestimmungsrechte von Frauen anzugreifen“, so eine Aktivistin von Pro Choice Sachsen zu addn.me. Der polnische Präsident Andrzej Duda befürwortet den Gesetzesentwurf. Der aus dem Lager der PiS kommende Politiker verstehe es, sich als das „menschliche Gesicht“ der Nationalkonservativen zu präsentieren. Dass er schon vor Corona die staatlichen Medien unter die Kontrolle seiner Partei brachte und zusätzlich dazu aktuell bestehende Notstandsmaßnahmen zu landesweiten Einschränkungen im Wahlkampfes führen, macht seine Wiederwahl am 10. Mai wahrscheinlich.
Bereits 2016 und 2018 verhinderten Massenproteste von Pro-Choice-Aktivist:innen um Marta Lambert und Aleksandra Mielewczyk die endgültige Implementierung ähnlich lautender Gesetzesentwürfe. Sie verdeutlichten in ihrem Protest zudem, dass es aus Angst vor Repression bereits jetzt auch ohne Anti-Abtreibungs-Gesetz generell schwierig geworden sei, eine Abtreibung vorzunehmen oder Verhütungspillen zu bekommen. Ihr stimmungsträchtiges Symbol war ein schwarzer Regenschirm.
Auch in Zeiten von Corona hoffen die Aktivist:innen auf die Wirkung von Massenprotesten: Sie reagieren allerdings mit alternativen Protestmöglichkeiten wie Hupkonzerten und Autokorsos, Balkonprotesten, der Besetzung von Einkaufsschlangen mit vorgehaltenen Protestplakaten oder der Etablierung von Hashtags: #CzarnyKwiecień #Aprilinblack #ParasolkaMojąTarczą #MyUmbrellaIsMyShield. Unter diesen Hashtags sollen in der nächsten Zeit Solidaritätsfotos veröffentlicht werden.
Mobilisierung für Annaberg-Buchholz gestartet
Pro Choice Sachsen ist ein Bündnis von Gruppen und Einzelpersonen, die sich seit mehreren Jahren für das Recht auf Entscheidung für Schwangere einsetzen. Das Bündnis mobilisiert auch in diesem Jahr wieder für den 6. Juni zu Protesten gegen den antifeministischen und christlich-fundamentalistischen „Schweigemarsch“ gegen Abtreibungen im erzgebirgischen Annaberg-Buchholz.
Im Aufruf schreibt das Bündnis: „Die Veranstaltung wird aktuell vom Verein ‚Lebensrecht Sachsen‘ organisiert und stellt ein Sammelbecken für Personen und Organisationen dar, die Nationalismus, Sexismus und feindliche Einstellungen gegenüber Frauen, homosexuellen Menschen sowie trans-, inter*-, und nicht binären Personen verbreiten.“ Entgegen der eigenen Darstellung sei der Kampf gegen Schwangerschaftsabbrüche jedoch kein Kampf „für das Leben“. So sterben weltweit jährlich 47.000 Schwangere an den Folgen von unsicher durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen, weil Angebote für Abbrüche nur schwer zugänglich oder gänzlich verboten sind.
Ähnliche Probleme gebe es auch in Deutschland, deswegen setzt sich Pro Choice für die Abschaffung von Paragraph 218 ein, der Abbrüche weiterhin kriminalisiert und nur unter bestimmten Umständen straffrei macht. Aufgrund der Corona-Pandemie verlangt das Bündnis, dass Schwangerschaftsabbrüche als notwendige medizinische Leistung im Sinne der Pandemiebestimmungen für medizinische Einrichtungen anerkannt werden. Außerdem fordert Pro Choice Sachsen die sofortige Aussetzung des geltenden Zwangs einer Beratung vor einer Abtreibung sowie Einreisemöglichkeiten für Personen ein, die einen Abbruch in Deutschland durchführen lassen möchten, weil es ihnen im Herkunftsland verwehrt ist.
Veröffentlicht am 22. April 2020 um 12:16 Uhr von Redaktion in Feminismus