Nachrichten aus dem Süden Europas – Griechenland (4)
14. Juni 2015 - 23:19 Uhr
In unserer mehrteiligen Serie über die Situation der Menschen im Süden Europas, haben wir am Beispiel von Griechenland in der Vergangenheit gezeigt, wie sehr die gegenüber der Öffentlichkeit als „notwendige Strukturanpassungen“ durch die Troika angeordneten rigiden Sparmaßnahmen bislang zu keiner Verbesserung für die Menschen in den betroffenen Ländern geführt haben. In Griechenland haben diese Maßnahmen nicht nur zu einer Schließung öffentlicher Rundfunkanstalten, sondern auch zu einem für Europa beispiellosen Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung geführt.
Vor dem Hintergrund der nach dem Wahlerfolg von SYRIZA vor allem hierzulande geführten Debatte über ein mögliches Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Raum, hat sich die Dresdner „Gruppe polar“ mit Alexandra Pavlou unterhalten, die sowohl im linken Flügel von SYRIZA, als auch in verschiedenen basisdemokratisch organisierten Gruppen aktiv ist. Der erste Teil des Interviews dreht sich vor allem um einen möglichen Bruch mit der Europäischen Union und den daraus resultierenden Folgen für die griechische Bevölkerung. Im zweiten Teil wird es um die Situation von geflüchteten Menschen, die solidarischen Kliniken und dem oft kritisierten Bündnis von SYRIZA mit ANEL gehen.
Hallo Alexandra, vielleicht kannst Du uns einfach mal ein kurzes Stimmungsbild geben, wie momentan bei Euch die Stimmung in Athen ist.
Alexandra: Ja die Stimmung ist nicht sehr gut. Natürlich ist SYRIZA selbst auch irgendwie gespalten, was die Stimmung oder die Erwartungen betrifft. Die Stimmung ist aber bei den meisten nicht sehr gut, denn man erwartet nicht sehr viel Gutes von dem Abkommen [aktuelle Verhandlungen mit der EU; Anm. d. Red.], das wahrscheinlich bald geschlossen wird.
Ihr erwartet also neue Einschnitte, weitere Einsparungen?
Erstmal erwarten wir – und das hat die Regierung eigentlich auch zugegeben -, dass Einsparungen, die es bis jetzt gab, noch nicht rückgängig gemacht werden. Und das heißt, dass die Sparmaßnahmen weitergehen werden. Das betrifft bestimmte Steuern, wie z.B. die Grundsteuer oder dass man für ein Einkommen bis 12.000 Euro in Griechenland seit zwei bis drei Jahren keine Steuer bezahlen muss. Diese Steuer wollte Syriza wieder einführen und schiebt das jetzt wieder auf 2016. Das heißt, dass die Sparmaßnahmen weitergeführt werden. Und natürlich wissen wir nicht, was noch dazu kommt. Was wir wissen, ist von einigen Privatisierungen und wir waren ja gegen die Privatisierungen.
[…] Wir warten natürlich erst ab, bis das neue Abkommen getroffen wird, damit wir sehen, was es genau beinhaltet. Denn das ist z.B. auch ein Problem: Wir haben keine richtigen Informationen was eigentlich verhandelt wird außer aus diesen Non-Papers [vorläufige Arbeitspapiere, Anm. d. Red.]. Das ist ein sehr großes Problem, dass die Bürger nicht richtig informiert werden.
Was hat sich denn verändert, seit die SYRIZA an der Regierung ist, für euch, für euer Leben?
Für unser Leben bis jetzt wenig. Es sind schon gute Sachen gemacht worden und gute Gesetze verabschiedet worden, was z.B. die Gefängnisse betrifft, die Bildung betrifft. Vom Bildungsministerium wurde der neoliberale Rahmen zurückgenommen für Universitäten und Schulen. Es könnte auch besser sein, aber der Bildungsminister hat gesagt, es eilt, dass wir jetzt erstmal genau diese neoliberalen Maßnahmen zurücknehmen; also machen wir erstmal ein Gesetz, dass sich auf das konzentriert. Und wenn wir dann Zeit haben, machen wir auch die anderen Änderungen, über die wir lange gesprochen haben. Zum Beispiel auch dieses Gesetz über die humanitäre Krise. Das ist auch ein guter Schritt. Aber es sind noch wenig Sachen. Oder dass die Entlassenen, dass die Beamten wieder eingestellt worden sind. Also es ist nicht so, dass nichts gemacht worden ist, aber es besteht das Problem, dass die meisten Punkte vom Programm von Thessaloniki (Wahlprogramm) noch nicht vom Parlament verabschiedet wurden und man denkt jetzt auch nicht daran. Eigentlich darf man fast nichts machen, denn dieses Abkommen vom 20. Februar [Eurogruppen Abkommen; Anm. d. Red.], das auch innerhalb von SYRIZA sehr kritisiert wurde, lässt der Regierung sehr wenig Spielraum.
[…] Das Problem ist natürlich, dass die Fehler sich wiederholen. Das neue Abkommen wird nach der Schätzung vieler ein sehr großer Fehler sein. Es wird in die Richtung neuer Sparmaßnahmen führen, möglicherweise nicht so harte, aber das ist egal, wenn man bedenkt, dass auch ältere Sparmaßnahmen nicht rückgängig gemacht werden. Und damit dieser Teufelskreis brechen kann, muss man eigentlich sagen: Wir diskutieren jetzt nicht mehr über das, was ihr von uns verlangt. Das kann nicht die Basis für die Verhandlungen sein.
Ich würde nochmal einen Schritt zurückgehen und zwar zum Beginn der SYRIZA-Regierung. Zu diesem Zeitpunkt haben ja viele Linke in ganz Europa gehofft, dass sich jetzt etwas ändern wird, dass es jetzt zum ersten Mal einen Widerstand gegen das deutsche Spardiktat geben wird. Momentan deutet ja nichts darauf hin, dass die von Deutschland dominierte EU zu Zugeständnissen bereit wäre, im Gegenteil es wird schon offen über einen Austritt von Griechenland gesprochen und nicht mehr als die Katastrophe, als die der Austritt damals immer skizziert wurde. Wie wird das im Unterstützerkreis von SYRIZA diskutiert, diese weitere Härtepolitik Deutschlands auf der einen Seite, das Taktieren der griechischen Regierung auf der anderen Seite und die potentiellen Folgen, wie ein Bankrott Griechenlands oder ein Austritt aus der Eurozone?
Innerhalb von SYRIZA gibt es verschiedene Stimmen. Eine Seite sagt: Es muss unbedingt zu einem Abkommen kommen. Und die andere Seite sagt: Wir müssen jetzt diese Verhandlungen im Grunde abbrechen, weil es aussichtslos ist, weil man uns wieder Spardiktate aufzwingt, und wir müssen sehen, wie wir einen Bruch vorbereiten, einen Bruch mit der EU und dieser Politik. Ein Bruch hätte aber schon länger vorbereitet werden müssen. Ein Bruch mit der EU ist ja kein Kinderspiel. Es ist meiner Meinung im Moment die einzige Lösung, aber man muss sich natürlich im Klaren sein, dass es für einen Bruch eine sehr gute Vorbereitung geben muss, denn sonst wird das vielleicht alles schlimmer noch als ein drittes Memorandum.
Was ich mit Vorbereitung meine, als erstes und wichtigstes, ist die politische Vorbereitung, also dass man dem Volk schon lange hätte sagen müssen: Die Sache sieht nicht rosig aus, die Verhandlungen mit den EU-Eliten werden schwierig und mit größter Wahrscheinlichkeit zu keinem Abkommen führen. Das wurde aber eigentlich nicht gemacht, obwohl es viele in SYRIZA die letzten 2,5 Jahre betont haben. Jetzt ist es natürlich zu spät. Natürlich kann man Kritik üben, aber die Frage ist: Was machen wir jetzt, wo wir bei diesem Punkt angekommen sind? Der Punkt ist, man hat sich nicht vorbereitet, andererseits kann die aktuelle Politik nicht fortgesetzt werden. Meiner Meinung nach müsste die Führungsgruppe von SYRIZA damit anfangen, die Wahrheit zu sagen. Auch wenn es sehr spät ist, muss man jetzt anfangen den Bruch vorzubereiten. Wie gesagt, man muss alle Karten offen legen und eine öffentliche Diskussion darüber beginnen: Wie können wir uns wappnen für den Fall, dass es zum Bruch kommt.
Meinst Du mit Bruch das Überwerfen mit der EU oder den Austritt Griechenlands aus der EU?
Ja, der Austritt wird mit größter Wahrscheinlichkeit eine Folge dieses Bruchs sein. Also wenn jetzt die griechische Regierung oder das griechische Volk sagt: wir wollen keine neuen Maßnahmen, wir wollen kein neues Memorandum, wir wollen eine vollkommen andere Politik. Das hieße ja, es würde zu einem Bruch mit den EU-Eliten kommen. Was dann folgt, weiß niemand ganz genau. Ob es zu einem Austritt kommt oder nicht und natürlich was der Austritt bedeutet – finanziell, politisch, sozial usw. Wichtig ist, dass keine Regierung eine solche Entscheidung allein treffen kann, sondern das Volk muss entscheiden. Einerseits, weil das in einer Demokratie so sein muss, aber vor allem, weil es anfangs zu einer sehr, sehr schwierigen Situation – und das ist jetzt ein mildes Wort – kommen wird. So eine Situation muss das ganze Volk tragen, das kann keine Partei oder Regierung alleine tragen.
Was wird dann passieren, wenn Griechenland austreten muss aus der EU?
Ich bin kein Experte. Aber wie gesagt, es wird viel darüber gesprochen, man hört sehr viele Meinungen. Es gibt natürlich die eine Meinung, die sagt: Die absolute Katastrophe, wir dürfen das auf keinen Fall machen. Und es gibt die andere Meinung, die sagt: Wir werden durch eine sehr schwierige Zeit durch müssen. Aber es ist notwendig. Und was heißt diese schwierige Zeit? Es heißt, dass es wahrscheinlich einen Mangel an Nahrungsmitteln geben wird, am Anfang. Dass es einen Mangel geben wird an Medikamenten. Oder Energie. Deshalb hab ich ja vorhin von der Vorbereitung eines Bruchs gesprochen.
Das heißt, die humanitäre Krise, die in Griechenland jetzt schon seit mehreren Jahren dauerhaft anhält, die wird sich noch verschärfen?
Ja, das sagen eigentlich fast alle, auch die Befürworter des Bruchs. Aber wie gesagt, deshalb sagen wir auch, man muss sich darauf vorbereiten. Man kann nicht so, sagen wir mal, barfuß auf dem Feuer spazieren gehen. Man muss sich vorbereiten, man muss Verträge mit bestimmten Ländern machen für Importe für diese Zeit.
Man muss vermitteln, dass es im Grunde genommen keine einfachen Lösungen gibt. Aber es gibt eine katastrophale Lösung ohne Ausweg und es gibt eine schwierige Lösung mit Ausweg. Und dieser Ausweg muss vorbereitet werden. Das heißt man muss, jetzt zum Beispiel, per Gesetz den Kapitalabfluss stoppen. Man muss verbieten, dass in dieser Zeit Grundstücke oder Immobilien verkauft werden, damit private Besitztümer nicht für ein Stück Brot veräußert werden. Das heißt, wenn es zum Bruch kommt, muss es eine linke Politik geben.
Wenn ich dich richtig verstehe, Alexandra, dann ist die Bruchoption nicht das, was der derzeitige Führungszirkel von Syriza anvisiert, oder was ihnen vorschwebt, sondern das ist etwas, was von einem anderen Flügel innerhalb der Partei getragen wird, ist das richtig? Und momentan sieht alles, was Syriza auf dem internationalen Parkett tut, so aus, als ob man sich immer weiter in die Defensive begibt und es eher zu einem geordneten Bankrott innerhalb der EU kommen würde.
Das wäre das schlimmste Szenario. Das sagen auch alle, die für den Bruch sind. Da sind sich alle einig, dass wenn es zu dem Bruch kommen wird, dann muss es außerhalb der Eurozone geschehen. Nicht unbedingt außerhalb der EU, sondern außerhalb der Eurozone. Denn wenn es zu einem Bankrott kommt und du hast die Kontrolle über deine Währung nicht und über deine Banken, dann ist es eine größere Katastrophe, als die Memoranden. Denn wenn du so einen Schritt machst, dann musst du eine linke, eine wirklich linke Politik ausüben. Das heißt, du musst die Kontrolle über das Land haben, über deine Währung, über deine Banken. Und deshalb wäre es katastrophal, wenn es zu einem Bankrott innerhalb der Eurozone kommen würde.
Veröffentlicht am 14. Juni 2015 um 23:19 Uhr von Redaktion in Soziales