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Gewalt gegen die Polizei nimmt zu

16. Oktober 2013 - 23:23 Uhr - 2 Ergänzungen

So oder so ähnlich titelte schon im September die Chemnitzer Freie Presse und zitierte aus einem Bericht des Landeskriminalamt Sachsens, wonach die Gewalttaten gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte im vergangenen Jahr um elf Prozent zugenommen hätten. Da dieses Thema offenbar nicht wie gehofft sein mediales Echo fand, wurde es heute im Anschluss an eine Debatte im Sächsischen Landtag erneut von der Tagespresse aufgegriffen. Unter dem Motto „Gewalt und Hass gegen Polizisten ächten – Rechtsstaat schützen“ hatte die Regierungskoalition aus CDU und FDP das Thema für heute zum ersten Tagesordnungspunkt gemacht. Der überwiegende Teil der insgesamt 1269 tätlichen Übergriffe passiert demnach vor allem an den Wochenenden in den Ballungszentren des Landes bei Fußballspielen, Demonstrationen und anderen Großveranstaltungen.

Anhand der Zahlen wird deutlich, dass es im letzten Jahr 128 mehr Übergriffe gab, als noch 2011. Deutlich mehr als zwei Drittel der Tatverdächtigen war männlich, rund 68 Prozent standen zum Zeitpunkt der Tat unter Alkoholeinfluss. Obwohl die Freie Presse in ihrem Artikel für Deutschland von 60.294 registrierten Übergriffen spricht, gibt das Lagebild des Bundeskriminalamtes selbst die Zahl mit 32.742 an. Dies macht zugleich ein Dilemma sichtbar, zum einen scheint die Presse kaum in der Lage zu sein, die von der Polizei veröffentlichten Zahlen richtig zu lesen und zum anderen stellt sich die Frage, ob dabei überhaupt der Versuch unternommen wird, die vorliegenden Zahlen kritisch zu hinterfragen. Bei genauerer Betrachtung lässt sich für Sachsen feststellen, dass ein Großteil der Übergriffe aus Widerstandshandlungen resultiert, die oft bei Festnahmen zu beobachten sind und im Demonstrationsgeschehen durchaus auch Ergebnis einer gewaltsamen Räumung von Sitzblockaden am Rande von Naziaufmärschen sein können. Der Anteil der Widerstandshandlungen macht fast 71 Prozent aller Taten aus, rund 18 Prozent resultierten aus begangenen Körperverletzungsdelikten gegen Einsatzkräfte der Polizei.

Neu sei nach Einschätzung des sächsischen GdP-Landesvorsitzenden Hagen Husgen, dass es immer öfter auch bei Familienstreitigkeiten, Verkehrs- oder einfachen Personenkontrollen vor allem im öffentlichen Raum zu Angegriffen kommen würde. Wenig überraschend findet der überwiegende Großteil der erfassten Gewalttaten in den Großstädten Leipzig, Dresden und Chemnitz sowie in den Städten Zwickau, Görlitz und Aue statt. Bei den Übergriffen waren nach Angaben des LKA im Vorjahr 441 Frauen und Männer leicht und vier schwer verletzt worden. Eine der damit verbundenen Folgen waren 284 Tage Dienstausfall. Welche Art von Verletzungen dies im Einzelfall gewesen sind konnte den zahlreichen Presseberichten ebensowenig entnommen werden, wie deren genaue Ursachen. Erst kürzlich hatte „Unsere Kurve“ als bundesweite Interessengemeinschaft der Fanorganisationen den aktuellen Bericht der Zentralen Informationsstelle für Sporteinsätze (ZIS) als „oberflächlich“ kritisiert. Die Zahlen und Darstellung würden ihrer Ansicht nach „keinerlei Aufschluss“ darüber zulassen, wie es in den angeführten Ligen wirklich aussieht.

Obwohl die Aufklärungsquote der in Sachsen registrierten Taten mit 95 Prozent außerordentlich hoch liegt, gehört die Einführung eines eigenen Paragraphen im Strafgesetzbuch (StGB) schon seit nunmehr drei Jahren zu den zentralen Forderungen der Gewerkschaft der Polizeigewerkschaft (GdP). Begründet wird das Vorhaben damit, dass die Polizei nach eigener Einschätzung immer häufiger grundlos angegriffen wird. Ein von der mit 172.000 Mitgliedern größten deutschen Gewerkschaft für Polizeibeschäftigte vorgeschlagener neuer Paragraph 115 könnte eine Möglichkeit sein, um auch jene Personen zu bestrafen, die Einsatzkräfte angreifen, ohne sie dabei jedoch zu verletzen. Bislang sei eine Verurteilung nur dann möglich, wenn sich Beamtinnen und Beamte in einer „Vollstreckungssituation“ wie etwa einer Festnahme oder Räumung befinden. Im Augenblick bietet §113 des StGB lediglich dann die Möglichkeit, Personen mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu verurteilen, wenn diese mit „Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt“ gegen einen Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr während eines Einsatzes Widerstand leisten. Dennoch sind natürlich schon jetzt Übergriffe auf die Polizei auch ohne eigentliche „Vollstreckungssituation“ als einfache oder gefährliche Körperverletzungen strafbar.

Eine Folge der Übergriffe seien nach aktuellen Untersuchungen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) psychische Schäden bei den Betroffenen. Etwa 40 Prozent der Beamtinnen und Beamte, die länger als zwei Monate nach der Tat noch dienstunfähig waren, hatten zum Beispiel über Schlafprobleme geklagt. Generell seien Personen, die Übergriffe erlebt haben, oft auch später noch hohen psychischen Belastungen ausgesetzt. Nicht zuletzt sei auch innerhalb der Polizei für viele Betroffene die Hemmschwelle hoch, nach professioneller Unterstützung zu suchen, da “ das Weichei […] in der Polizei nicht vorgesehen“ sei. Mehr als 20.000 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte aus zehn Bundesländern waren für die Studie befragt worden, Sachsens Landesregierung war 2010 gemeinsam mit drei weiteren Bundesländern aus der Untersuchung ausgestiegen. Sachsens zuständiger Innenminister Markus Ulbig (CDU) bedankte sich bei „allen sächsischen Polizisten für ihre Arbeit im Dienst der Gesellschaft“ und betonte angesichts der vorliegenden Zahlen noch einmal, dass Gewalt gegen die Polizei „nicht zu akzeptieren“ sei. „Wer Polizisten angreift, greift unseren Staat und die Gesellschaft an“, so Ulbig weiter. Genau an diesem Punkt stellt sich jedoch die Frage, ob nicht vielmehr auch Gewalt in all seinen Facetten nicht zu akzeptieren sei.

Um Forderungen an die Öffentlichkeit nach Anerkennung und Respekt zu stellen, bedarf es stattdessen auch einer Diskussion um Transparenz und Demokratie innerhalb der existierenden Polizeistrukturen. So sollten Statistiken und Pressemitteilungen nicht immer nur darauf abzielen, gewerkschaftlichen Forderungen nach Gesetzesverschärfungen und einem Stopp der geplanten Umstrukturierung bei der sächsischen Polizei nachzukommen, sondern auch versuchen, gewisse Mindeststandards an demokratischen Strukturen innerhalb des Polizeiapparates zu etablieren. Nur so lässt sich auch ein verloren geglaubter Respekt gegenüber Männer und Frauen in Uniform wieder herstellen. Denn während in etlichen Ländern Europas bereits externe Kontrollstrukturen für Übergriffe durch die Polizei geschaffen worden sind und Kennzeichnungspflicht ebenfalls in einigen Staaten verpflichtend ist, wurde in Sachsen erst 2011 ein entsprechender Gesetzentwurf der Grünen zur Kennzeichnungspflicht im Innenausschuss des Sächsischen Landtags genau von denen abgelehnt, die sich jetzt für eine „höhere gesellschaftliche Wertschätzung“ des Polizeiberufes einsetzen.

In der Landtagsdebatte erinnerte der CDU-Abgeordnete und ehemalige Polizeibeamte Christian Hartmann an die „Fürsorgepflicht des Staates“ nach „sachgerechter Ausstattung“ und „verstärkter Aus- und Fortbildung“. Gleichzeitig appellierte er daran, „Straftaten gegen Polizisten konsequent und schnell [zu] ahnden“. Koalitionskollege und innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, Benjamin Karabinski (FDP), setzte sich für eine weitere Verschärfung der Strafen bei Angriffen auf Polizeibeamtinnen und Beamte ein. Erst 2011 waren die von Sachsen vorgeschlagenen Änderungen des §113 StGB mit zum Teil fragwürdigen Begründungen in Kraft getreten. Geändert hat sich seitdem nur wenig.

Die Grünen-Politikerin Eva Jähnigen kritisierte die für heute angesetzte Debatte als „wenig konkret“. Bereits 2010 habe ihre Fraktion die Staatsregierung dazu aufgefordert, ein konkretes Konzept zu entwickeln, um Polizistinnen und Polizisten zu schützen. Dazu gehört ihrer Ansicht nach „eine ordentliche und an den alltäglichen Einsatzsituationen orientierte Ausbildung der Polizei sowie genügend Möglichkeiten bei der Hochschule der Polizei über die Ursachen zu forschen, genauso, wie eine Stärkung der psychologischen Betreuung in der Vor- und Nachbereitung von Einsätzen“. Die SPD-Landtagsabgeordnete Sabine Friedel warf der Regierungskoalition in ihrer Stellungnahme heuchlerisches Verhalten vor und sprach sich für ein umfassendes Maßnahmenpaket aus. Darin setzte sie sich unter anderem für ein Ende bei den Kürzungen in der Suchtberatung und Jugendhilfe sowie eine verstärkte Fortbildung in den Bereichen Kommunikation, Konfliktmanagement und Eigensicherung bei der Polizei ein.


Veröffentlicht am 16. Oktober 2013 um 23:23 Uhr von Redaktion in News

Ergänzungen

  • Ein Punkt finde ich noch wichtig: wenn Polizisten durch Weisung von oben zu harten und brutalen Durchgehen gezwungen werden, hat das durch die Loyalität der Beamten, die die Weisung von oben nicht öffentlich machen, nur zur Folge, dass (zurecht) das Ansehen der gehorsam prügelnden Polizisten leidet, aber nichts gegen solche Fehlentscheidungen getan wird.
    Vielleicht sollten die Polizisten eher fragen, ob sie Zweifel an den Weisungen ihrer Chefs haben und sie andere Weisungen für richtig halten würden. Wenn aus solchen Zwickmühlen tätliche Angriffe resultieren, man seinen Job oder seine Chefs infragestellt, aber nichts machen kann, sind Schlafstörungen das Normalste der Welt.

    * Stuttgart 21 („Der Polizeieinsatz am 30. September 2010 führte zu 380 Strafanzeigen gegen Polizisten“)
    * Frankfurt Blockupy, wo offenbar schon vor Demobeginn Pläne für eine Kesselung und Auflösung bestanden („“Antikapitalismus“ schrieb die Polizei in Frankfurt im Jahr 2012 an die Stelle, wo auf dem Formblatt der „polizeiliche Anlass“ zur Festnahme einzutragen ist.“; … eigentlich könnte ich auch noch den gesamten Wikipediaartikel dazu zitieren.)

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/augstein-kolumne-im-zweifel-zuschlagen-a-903393.html
    http://de.wikipedia.org/wiki/Blockupy#Nachwirkungen
    http://de.wikipedia.org/wiki/Protest_gegen_Stuttgart_21#Räumung_des_Schlossgartens_zum_Baumfällen

    Alles in allem denke ich ist die Law-and-Order-/Hartes-Durchgreifen-Politik genau die wichtigste Ursache des Problems, weil in gestrigen Vorstellungen verharrende Politiker gesellschaftliche Realität und zivilisatorischen Wandel ignorieren und nicht wahrhaben wollen.

    Es wird einfach Zeit, dass die Ausbildung von Polizisten nicht durch Einmischung von CDU-Politikern infragestellt wird. Es würde mich auch nicht wundern, wenn neben Sachsen auch Badenwürtemberg und Hessen aus der Studie geflüchtet sind.

    Ansonsten gilt weiterhin als Aufgabe der Polizeigewerkschaften solche „Schreckensbotschaften“ zu liefern:
    http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gewalt-gegen-polizisten-heule-heule-gaenschen-12092159.html

  • Da die Polizei den Staat repräsentiert, zumindest in den Augen der Bürger, sollten sich die verantwortlichen im Umkehrschluss fragen, weshalb das so ist und inwieweit das Auftreten der einzelnen Polizisten, gerade der sogenannten geschlossenen Einheiten, damit etwas zu tun hat! Wer das ignoriert, betreibt reine Propaganda und damit einhergehend Gehirnwäsche. Wer sich einmal die Statistiken der 70iger Jahre ansieht, merkt, dass diese Darstellung vom angeblichen Anstieg von Angriffen bzw. verletzten Beamten mehr als verlogen ist, da heute schon sehr viele „Verletzungen“ auf Pfefferspray der „Kollegen zurückzuführen sind, um von Hundebissen gar nicht erst zu reden! Bald beschweren sich dann wohl auch noch die Soldaten, dass auf sie geschossen wird, oder die Lehrer darüber, dass sie es gelegentlich mit Analphabeten zu tun haben?

    Diesen Text habe ich auch bei der DNN gepostet, doch leider wird von deren Seite jede Antwort nach wenigen Minuten wieder gelöscht, was ich doch noch für erwähnenswert halte.
    Auch meine Hinweise auf die Seite „www.Kritische Polizisten.de“ werden gelöscht, wo doch gerade da zu erkennen ist, dass es selbst bei den Cops gegenteilige Meinungen und Sichtweisen gibt, besonders dann, wenn es um den Nazi-Terror und das NSU-Verfahren geht.

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