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Wer nichts zu verbergen hat, hat alles zu befürchten

21. Juni 2011 - 01:45 Uhr - 17 Ergänzungen

Wie die TAZ in ihrer Sonntagsausgabe berichtet, hat die Dresdner Polizei am 19. Februar mehr als vier Stunden den Telefonverkehr im Bereich der Südvorstadt aufgezeichnet. Bei der als „digitale Rasterfahndung“ bezeichnenden Funkzellenauswertung (FZA) wurden demnach die Handyverbindungen mehrerer tausend Menschen von den Mobilfunkbetreibern angefordert und anschließend ausgewertet. Nach Angaben der Dresdner Staatsanwaltschaft sollen mit den so gewonnenen Daten Personen gefunden werden, die zuvor Polizisten angegriffen haben sollen.

Wie die TAZ weiter berichtet, wurden die gewonnenen Daten jedoch auch für andere Verfahren zweckentfremdet. So ermittelt die Staatsanwaltschaft inzwischen gegen einen Mitarbeiter der Bochumer Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen (Die Linke) wegen Behinderung einer angemeldeten Demonstration. In der Ermittlungsakte zu seinem Fall wurden rund 15 Handyverbindungen vom 19. Februar aufgelistet, versehen mit der genauen Angabe des Orts und mit wem er telefonischen Kontakt hatte. Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele war an jenem Nachmittag in Dresden unterwegs und hatte dabei telefoniert. Auch in seinem Fall fanden sich in einer Ermittlungsakte Aufenthaltsorte von ihm samt Uhrzeit, obwohl Anwälte als „Mandatsträger […] besonders geschützte Personen“ sind.

Der Vorsitzende der Linken in Sachsen, Rico Gebhardt, bezeichnete die Überwachung in einer Pressemitteilung als Verletzung der „Privatsphäre tausender Bürgerinnen und Bürger“ und kritisierte die erneute Kriminalisierung antifaschistischen Widerstandes als empörend. Auch Kristin Pietrzyk, eine Anwältin des Bündnis Dresden Nazifrei, äußerte ihr Unverständnis und bezeichnete das polizeiliche Mittel der Rasterfahndung im Bezug auf den 19. Februar als unverhältnismäßig und rechtlich unhaltbar. Sabine Friedel, innen- und rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, forderte in einer Stellungnahme eine „dringende Aufklärung über diese polizeiliche Maßnahme“ und zeigte sich verwundert, dass „weder der Innen- noch der Justizminister bisher über diese gravierende Maßnahme informiert haben“ obwohl in den letzten Monaten bereits mehrfach über das polizeiliche Vorgehen am 19. Februar im Innen- und im Rechtsausschuss des Sächsischen Landtags diskutiert worden war.

Der IT-Experte und Anwalt Thomas Stadler verwies in seinem Blog auf die gesetzlichen Voraussetzungen des § 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO. Danach steht die Überwachung mehrerer tausend Menschen im Widerspruch zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Darüber hinaus hätte es sich um Straftaten von erheblicher Bedeutung handeln müssen. Seiner Ansicht nach erfordert ein Vorgehen, das regelmäßig die Rechte einer größeren Anzahl Unbeteiligter beeinträchtigt, eine besonders sorgfältige Prüfung auf ihre Verhältnismäßigkeit. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kritisierte in einem Interview mit der TAZ die Funkzellenauswertung als „Instrument bei der Aufklärung von Demonstrationsdelikten“ und forderte den Gesetzgeber auf, die Möglichkeit der Abfrage von Telekommunikationsdaten „wegen der immensen Streubreite und der Eingriffstiefe stärker als bisher einzugrenzen“.

Schon in den kommenden Tagen soll dazu im Sächsischen Landtag auf Antrag der Linken eine aktuelle Debatte stattfinden. Das kündigte der Fraktionsvorsitzende der Partei André Hahn an. Er verwies noch einmal auf den „nicht hinnehmbaren und völlig unverhältnismäßigen Eingriff in verfassungsmäßig geschützte Grundrechte“ und forderte die für Polizei und Landeskriminalamt sowie den Justizbereich zuständigen Minister von CDU und FDP auf, „Farbe zu bekennen“. Wenn Dresdens Polizeipräsident Dieter Hanitsch erst nach dem bundesweiten Echo auf den Artikel in der TAZ davon spricht, dass „sich keiner wegen seiner persönlichen Daten sorgen“ machen muss, dann wirkt das angesichts von zuvor mehr als 130.000 gesammelten und ausgewerteten Datensätzen nicht besonders glaubwürdig. So seien laut Polizei lediglich die Telefondaten der Gesprächspartner, Art und Dauer der Verbindung sowie der Standort des Sendemastes gespeichert worden. Andererseits umfassen die angeforderten sensiblen Daten jedoch auch Informationen darüber, ob sich jemand im fraglichen Zeitraum in der Südvorstadt aufgehalten und damit möglicherweise an den Blockaden teilgenommen hat. Das diese Informationen in mindestens zwei Fällen zum Gegenstand von Ermittlungsverfahren geworden sind, lässt einmal mehr an den Methoden der Dresdner Staatsanwaltschaft zweifeln.

Einen Raum für Diskussionen über die zunehmende Kriminalisierung antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Engagements bietet in der kommenden Woche der erste Teil der Veranstaltungsreihe „au revoir tristesse“. Dazu wird am 28. Juni um 20 Uhr Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk in der Neustädter „Scheune“ über die Kriminalisierung antifaschistischen Engagements sprechen. Im zweiten Teil der Reihe referiert am 8. Juli die Bloggerin Anne Roth über ihre Erfahrungen mit behördlichen Ermittlungen und deren Auswirkungen auf das eigene Leben.

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Veröffentlicht am 21. Juni 2011 um 01:45 Uhr von Redaktion in Antifa, Freiräume

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