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NSU-Ausschuss: Ulbig stellt Ermittlungsbehörden Persilschein aus

30. Juni 2012 - 10:14 Uhr - Eine Ergänzung

Zeit hat sich das Sächsischen Innenministerium gelassen. Am 25. Juni wurde dem Innenausschuss der vorläufige Abschlussbericht zum „Nationalsozialistischen Untergrunds“ vorgelegt. Darin weist Sachsen grundlegende Versäumnisse an der Aufklärung des NSU zurück und spricht stattdessen vor allem von strukturellen „Defiziten“, die eine Entdeckung von Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe unmöglich gemacht haben sollen. Das Ministerium bezeichnete den Umstand, dass die Drei mehr als ein Jahrzehnt ungestört in Sachsen leben und ihre Taten ausführen konnten als „bedauerlich und unbefriedigend“. Ob eine „bessere Zusammenarbeit“ zu einem Fahndungserfolg geführt hätte, sei allerdings nur durch eine umfassende Auswertung der Erkenntnisse und Maßnahmen aller beteiligten Behörden des Bundes und der Länder feststellbar. Der Bericht geht jedoch nicht darauf ein, warum keiner der mindestens zehn Post- und Sparkassenüberfälle zwischen Oktober 1999 und Oktober 2006 in Sachsen aufgeklärt werden konnte, sondern erläutert lediglich, aus welchem Grund kein Zusammenhang zum Abtauchen des Nazitrios hergestellt werden konnte.

Nach ihrem Untertauchen sei das Sächsische Landesamt für Verfassungsschutz nur vereinzelt aus Thüringen informiert worden und konnte aus diesem Grund keine eigenen „gezielten Suchmaßnahmen“ einleiten. Obwohl durch das Thüringer LKA mehrere Telefonate von Nazis aus Chemnitz mit einer Kontaktperson im so genannten „Thüringer Heimatschutz“ festgestellt worden, die zum Teil „klare Anweisungen für Treffs sowie für die Beschaffung von Geld und Kleidung“ und damit davon ausgegangen werden konnte, dass sich die Untergetauchten zumindest zu dem Zeitpunkt in Sachsen aufgehalten haben müssen, seien die durch die Thüringer Behörden gewonnenen Teilerkenntniss nicht mit der „gebotenen Systematik“ ausgewertet worden. Später wurde bekannt, dass mit Jan Werner einer der führenden Aktivisten von „Blood & Honour“ in Sachsen dem Trio Waffen besorgen wollte, damit diese einen „weiteren Überfall“ begehen konnten, um mit dem auf diese Weise erbeuteten Geld ins Ausland fliehen zu können. Nach Gesprächen zwischen den beiden Länderbehörden intensivierte der Sächsische Verfassungsschutz die Beobachtung von B&H nach eigenen Angaben, konnte dadurch jedoch keinen neuen Erkenntnisse gewinnen. In der Folge verliefen im Jahr 2000 mehrere Observationsversuche in Chemnitz ins Leere, auch zahlreiche „Ansprachen“ an Personen aus dem Umfeld der Gesuchten ergaben keine neuen Erkenntnisse über den Aufenthaltsort. Die Annahme, dass bei den sächsischen „Blood & Honour“-Mitgliedern keine Tendenzen zu terroristischen Konzepten wie dem so genannten „leaderless resistance“ zu erkennen gewesen waren, reichte der Behörde offensichtlich als Begründung dafür aus, dass diese neue Form des rechten Terrorismus zumindest in Sachsen keine Rolle für die Beobachtung der Szene gespielt hat. Auch zu den zahlreichen Raubüberfällen lagen dem Verfassungsschutz keine eigenen Erkenntnisse oder gar Informationen aus anderen Behörden vor. Zum Schluss fasste das Innenministerium die Arbeit des Verfassungsschutzes damit zusammen, dass „es ist nicht ersichtlich [sei], dass das LfV Sachsen gebotene erfolgversprechende Maßnahmen unterlassen hat“ und schloss eine Unterstützung der Gesuchten zumindest für den sächsischen Verfassungsschutz „definitiv“ aus.

Auch im 266seitigen so genannten „Schäfer Gutachten“ des Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag wurde festgestellt, dass es „eine systematische Auswertung und Übermittlung der Erkenntnisse durch Thüringer Behörden nicht gegeben hat“ und das obwohl der Behörde durch eigene Quellen hätte bekannt sein können, dass die Drei sowohl „bewaffnete Überfälle“ begangen als auch „eine gefährliche Entwicklung genommen haben könnten“. Erst bei der erfolglosen öffentlichen Fahndung zwischen Mai und September 2000 hätten die Ermittlungsbehörden sich „gut koordiniert“. In den Folgejahren erhielt der Sächsische Verfassungsschutz „keine Informationen“ zu einem möglichen Aufenthalt von Bönhardt, Mundlos und Zschäpe in Sachsen. In ihrem Abschlussbericht vom 22. Juni stellt die Parlamentarische Kontrollkomission (PKK) als großes Manko bei den Ermittlungen die fehlende „zentrale Koordination“ der beteiligten Sicherheitsbehörden fest. Diese hätte einen Überblick über die Gesamtlage liefern können und damit eine bessere Koordination der bestehenden Fahndungsmaßnahmen ermöglicht. Obwohl das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen „erforderliche Informationen“ auch nicht „mit Nachdruck eingefordert“ habe, sei, so die PKK weiter, „kein pflichtwidriges Unterlassen“ zu erkennen gewesen. Als Konsequenz aus den Ereignissen und dem Versagen staatlicher Sicherheitsbehörden forderte die PKK für die Zukunft „verbindliche Regelungen“ für eine stärkere Institutionalisierung und Intensivierung des Informationsaustauschs zwischen Polizei und Verfassungsschutz sowie zwischen den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern. Außerdem sei es wichtig, über „qualitativ hochwertig ausgebildete Mitarbeiter“ zu verfügen, die in der Lage dazu sind, existierende Netzwerke als solche zu erkennen und zu analysieren.

Bevor im Frühjahr 2000 in der mdr-Sendung „Kripo Live“ ein Beitrag über die Suche nach den Untergetauchten gezeigt wurde, koordinierte das LKA Sachsen die Zielfahndung in Sachsen und informierte dazu die Polizeibehörden in Chemnitz, Dresden und Leipzig. Trotz der Zusammenarbeit mit den Thüringer Ermittlungsbehörden und einer nach eigener Darstellung „sorgfältigen Vorbereitung“ führten die Ermittlungen zu keinem Ergebnis und wurden nach Rücksprache mit dem LKA Thüringen wenig später ausgesetzt. Als dann vom 27. September bis 2. Oktober erneut ein Wohnkomplex auf der Bernhardstraße 11 in Chemnitz durch Thüringer Ermittler beobachtet wurde, war an mindestens zwei Tagen auch das MEK Chemnitz beteiligt. Aber auch hier brachten die Beobachtungen, die zum Teil mit Videoüberwachungstechnik durchgeführt wurden, keinen Erfolg. Eine erneute Überwachung nur wenige Wochen später durch das MEK Chemnitz führte ebenso zu keinem Ergebnis, wie weitere Überprüfungen von insgesamt zwölf dem rechten Spektrum zugehörigen Personen in Chemnitz am 7. Mai 2002. Danach passierte jahrelang nichts, erst als am 4. November 2011 eine Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße in Flammen stand, wurde von Beamten der Polizeidirektion Südwestsachsen mehrfach versucht, telefonisch Kontakt zur Wohnungsinhaberin aufzunehmen. Dazu verwendeten die Beamten zwei Handyanschlüsse die auf das Sächsische Staatsministerium des Innern sowie zwei Festnetzanschlüsse der Polizeidirektion Südwestsachsen zugelassen waren.

Im Bezug auf die Serie von Post- und Sparkassenüberfällen wurden durch die Staatsanwaltschaft Zwickau drei Verfahren gegen Unbekannt geführt, von denen zwei später an die Staatsanwaltschaft Chemnitz abgegeben wurden, da die zuständigen Ermittler auf Grund der „Tatbegehungsmodalitäten“ von einer Serie ausgegangen waren. In Chemnitz wurde in sieben Verfahren gegen Unbekannt ermittelt. Nach dem Bekannt werden des Nazi-Trios und der Spurenauswertung in der zerstörten Wohnung auf der Frühlingsstraße 26, konnten die Ermittler einen Zusammenhang zu einem Raubüberfall auf einen EDEKA-Markt in Chemnitz am 18. Dezember 1998 herstellen. Aktuell gibt es nach Ansicht des Innenministeriums keine „konkreten Anhaltspunkte“ dafür, dass weitere Verfahren sächsischer Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit den Taten des NSU stehen. Klar ist lediglich, dass die Behörden zu keinem Zeitpunkt einen Zusammenhang mit den drei untergetauchten Nazis herstellen konnten. Das „Schäfer-Gutachten“ geht jedoch davon aus, dass im Fall eines erfolgreichen Informationsaustauschs zwischen den Behörden der beiden Bundesländer, Gemeinsamkeiten aufgefallen wäre. So hatte das LKA Thüringen beispielsweise Erkenntnisse darüber, dass die anfänglichen Geldnöte der Gruppe, plötzlich vorbei gewesen waren. Warum die Ermittlungsbehörden unabhängig von Erkenntnissen über einen Zusammenhang zu den untergetauchten Nazis nicht in der Lage waren, die Serie von bewaffneten Raubüberfällen aufzuklären, beantwortet der Bericht allerdings nicht.

Als Konsequenz aus ihrem Versagen kündigte das Ministerium im abschließenden letzten Teil des Berichtes eine „enge Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehörden“ an. Ein erstes Ergebnis dieser Überlegungen ist die Beteiligung Sachsens am von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Dezember vergangenen Jahres vorgestellten gemeinsame „Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus“ (GAR), welches sich eine „Intensivierung des Informationsaustausches“ und eine „Stärkung der Analysefähigkeit“ zum Ziel gesetzt hat. Außerdem plant Sachsen, die Einrichtung einer „Verbunddatei Rechtsextremismus“ (RED) zu unterstützen, um damit in Zukunft den Informationsaustausch zwischen Polizei und Nachrichtendiensten verbessert wird. Insgesamt sind die Konsequenzen aus dem Ermittlungsdesaster vor allem Maßnahmen, die bereits auf Bundesebene beschlossen wurden oder in Teilen schon seit Jahren angewendet werden. So betont das Ministerium in Zukunft neben einem „kontinuierlichen Fahndungs- und Kontrolldruck“ verstärkt auch den legalen Waffenbesitzes und Aktivitäten im Internet zu überprüfen. Maßnahmen also, die eigentlich schon seit Jahren zu den Aufgaben staatlicher Sicherheitsorgane gehören sollten.

Der Grünen-Politiker und Rechtsextremismus-Experte Miro Jennerjahn stellte sich angesichts der vom Ministerium gezogenen Konsequenzen die Frage: „was sächsische Behörden eigentlich in den letzten 20 Jahre gemacht haben?“. Während in Thüringen ein dreiköpfiges Gremium in der Lage war, einen „detaillierten und mehrere hundert Seiten langen Bericht“ zu verfassen, sei der von Innenminister Markus Ulbig (CDU) vorgelegte Bericht „ein Dokument der Peinlichkeit“ der deutlich gemacht hat, dass Fehler „nicht von den Behörden untersucht werden [sollten], die sie gemacht haben“. Auch Kerstin Köditz, Obfrau der Linken im Innenausschuss sprach von einem „dürftigen“ Bericht zum Behördenversagen. Diese hätten weder erkannt, dass die drei Haupttäter des Terrornetzwerkes „nahezu unbehelligt“ im Freistaat leben konnten, noch dass ein „wesentlicher Teil ihrer Helfer in Sachsen lebte und politisch in der Neonazi-Szene aktiv gewesen ist“.

Wie immer in dem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass lediglich eigene „Versäumnisse“ eingeräumt worden sind, jedoch bis heute weder personelle Konsequenzen gezogen wurden, noch eine Debatte über die eigentliche Arbeit des Verfassungsschutzes innerhalb Sachsens stattgefunden hat. Dieser hatte im Bezug auf das internationale Nazinetzwerk „Blood & Honour“ bis zum Jahr 2000 eine relativ treffende Beschreibung der militantanten sächsischen Naziszene abgeliefert. Allerdings verschwanden die Erkenntnisse faktisch mit dem Verbot der Organisation im September 2000 aus den Unterlagen der Behörde und das obwohl es auch in Sachsen Hinweise darüber gab, dass zu dem Zeitpunkt Teile der rechten Szene in Verbindung mit den untergetauchten Terroristen gestanden hatten und schon in den 90er Jahren in einschlägigen Magazinen über die Möglichkeit des bewaffneten Kampfes diskutiert worden war. Warum jedoch mindestens 10 bewaffnete Raubüberfälle mit einem ähnlichen Tathergang über mehr als ein Jahrzehnt nicht aufgeklärt werden konnten und wieso die sächsischen Sicherheitsbehörden bis heute ein Problem damit haben, rechte Strukturen als solche zu erkennen und zu benennen, bleiben Fragen, die auch der knapp und oberflächlich gehaltene Bericht des Sächsischen Innenministeriums nicht beantworten konnte.

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Veröffentlicht am 30. Juni 2012 um 10:14 Uhr von Redaktion in News

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