Nazis

Pogromartige Stimmung gegen Roma in Tschechien

13. September 2011 - 00:09 Uhr - 10 Ergänzungen

Demonstration gegen Roma in Tschechien

Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche verhinderten tschechische Spezialeinheiten der Polizei ein Pogrom gegen Roma in Varnsdorf.

Erst der Bürgermob…

Seit Wochen spitzt sich die Lebenssituation der tschechischen Roma, die im so genannten Schluckenauer Zipfel in Nordböhmen leben, dramatisch zu. Durch den Zuzug vieler Roma in den letzten Monaten sei die Kriminalität in den grenznahen Ortschaften massiv angestiegen, mehrfach kam es zu teils gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen „weißen Tschechen“ (so deren Selbstbezeichnung in tschechischen Medien) und Roma. Im Anschluss an eine dieser Auseinandersetzungen Ende August, fand in Rumburk eine Versammlung unter dem Motto „Gegen Gewalt und Kriminalität“ statt. Vor 1.500 Menschen forderte ein Redner das Ende des Zuzugs von „Nichtanpassungsfähigen“ (so werden Roma nicht nur von Nazis in Tschechien bezeichnet). Daraufhin zog für mehrere Stunden ein Mob unter antiziganistischen Parolen durch Rumburk. Erst nachdem sie damit begonnen hatten, ein von Roma bewohntes Haus mit Steinen anzugreifen, schritt die Polizei ein und trieb die Menschenmenge auseinander.

Eine Woche später zogen etwa 500 Bürgerinnen und Bürger unter dem Motto „Der Topf läuft über“ durch das unweit von Rumburk gelegene Varnsdorf. Auch hier versuchten sie in Richtung der von Roma bewohnten Häuser zu gelangen und konnten nur durch ein massives Aufgebot von extra aus Prag herbeigerufenen Spezialkräften der Polizei gestoppt werden.

Für den 3. September hatte die „Svobodná Mládež“ („Freie Jugend“) zu einem nichtangemeldeten und damit illegalen Aufmarsch nach Varnsdorf mobilisiert. Ein Mob von etwa 300 Neonazis und 900 Anwohnerinnen und Anwohnern versammelte sich und lief in Richtung der Roma-Unterkünfte. Die Sperrketten der Polizei konnten die Menschenmenge nur zeitweise aufhalten. Nachdem sie sich zerstreut und verteilt hatten, zogen sie unter „Zigeuner ins Gas“ Rufen weiter. Erst 50 Meter vor dem Haus der Roma gelang es der Polizei, die Menge zu stoppen.

…dann die Nazis

Danach begann die neonazistische „Arbeiterpartei“ DSSS damit, die aufgeheizte Stimmung zu ihrem Zweck zu nutzen. Für den 10. September kündigte sie gleich drei Aufmärsche beziehungsweise Kundgebungen in der Region an. In Nový Bor, Varnsdorf und Rumburk rief sie dazu auf, gegen Roma auf die Straße zu gehen. Am Bahnhof von Nový Bor sammelten sich bereits am frühen Samstagnachmittag etwa 300 Neonazis, weitgehend aus dem Spektrum der rechten Skinheadszene. Etwa 200 BewohnerInnen des Ortes beobachten die Szenerie vom Straßenrand und reihten sich wenig später in die Demonstration ein. Immer wieder klatschten Teile der am Rand stehenden Bevölkerung Beifall zu den Parolen „Tschechien den Tschechen“, „Roma sollen arbeiten“ und „radikal, sozial, national“. Als der Zug auf dem Marktplatz von Nový Bor ankommt, warten dort noch einmal knapp 300 applaudierende Menschen. Gemeinsam hören sie den Reden von Parteifunktionären der DSSS. Nachdem schon im Vorfeld die Zugangswege zu den Häusern der Roma von der Polizei hermetisch abgeriegelt worden waren, kehrte die Demonstration wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück.

Ein Großteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer fuhr im Anschluss an die Demonstration in teilweise eigens für diesen Zweck gemieteten Reisebussen nach Varnsdorf. Hier sind es bis zu tausend Menschen, die den Reden der Parteifunktionäre zuhören. Darunter auch fünf Neonazis aus Ostsachsen. Zum Ende der Kundgebung formiert sich unter der Führung jugendlicher Neonazis und lokaler teilweise vermummter Jugendlicher ein Zug dem sich fast alle KundgebungsteilnehmerInnen anschließen. Wie schon eine Woche zuvor wollen sie zu den von Roma bewohnten Häusern ziehen. Auf halbem Weg werden sie an einer engen Straßenkreuzung von einer Polizeikette aufgehalten. Daraufhin werden die Beamtinnen und Beamten mit Flaschen bzw. Knallkörpern beworfen und von der Menge beschimpft. Nach etlichen Steinwürfen fährt ein Wasserwerfer auf und die Polizei schafft es mit Unterstützung durch berittene Einheiten, den Mob etwas zurückzudrängen. Die Stimmung bleibt aggressiv, immer wieder kommt es zu verbalen und körperlichen Angriffen auf Journalisten. Einem Fotografen werfen die Neonazis eine Mülltonne entgegen, ein anderer wird gezielt mit Steinen beworfen. Im Getümmel verliert ein Neonazi seinen Totschläger. Während ein Teil der Menschenmenge von der Polizei in die Seitenstraßen der Kleinstadt zurückgedrängt werden kann, setzt der Rest nach und versucht erneut die Polizeisperre zu durchbrechen. Aus der Menge fliegen erneut Blendgranaten auf die Polizei. Immer wieder versuchen berittene Beamte, die randalierende Menschenmenge zurückzudrängen. Etwa anderthalb Stunden später sind nur noch zerstreute Gruppen von DemonstrantInnen in der Innenstadt unterwegs. Viele reisen weiter nach Rumburk, zur dritten Station an diesem Tag. Auch hier findet eine Kundgebung gegen Roma statt, auch hier reden die Parteifunktionäre der DSSS vor einem Bürgermob und auch hier muss die Polizei gewaltsame Ausschreitungen unterbinden.

Sowohl in Nový Bor als auch in Varnsdorf protestierten nur sehr wenige Menschen gegen diese antiziganistischen Veranstaltungen. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Demonstrationen und Kundgebungen gegen Roma in Tschechien. Der Höhepunkt der Gewalt war der 18. Oktober 2008. Damals hatten mehrere hundert militante Neonazis versucht, ein von Roma bewohntes Viertel in Litvínov anzugreifen. Dazu lieferten sie sich stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei.

Während Neonazis für den 17. September schon wieder zu einem Aufmarsch in Varnsdorf aufrufen, verharmlost die Sächsische Zeitung die rassistisch motivierten Ausschreitungen. Demnach waren sie „der vorläufige Höhepunkt der seit Wochen anhaltenden UNRUHEN zwischen der tschechischen Bevölkerungsmehrheit und der Roma-Minderheit in der von hoher Arbeitslosigkeit geprägten strukturschwachen Region.“ (Sächsische Zeitung Zittau, Straßenschlachten toben in Varnsdorf, 13.09.2011)

Kommentar

Keine hundert Kilometer von Dresden entfernt, mitten in der Europäischen Union, fürchten Menschen Tag für Tag um ihre Wohnungen, um ihre Kinder, um ihr Leben. Sie werden bedroht von einem rassistischen Mob, der nicht vorrangig aus Neonazis besteht, sondern aus den ganz normalen Nachbarn und Nachbarinnen, den ganz normalen BwohnerInnen von Rumburk, Varnsdorf und von Nový Bor. Sie sind gezwungen im Feindesland zu leben. Und sie sind gezwungen, ihre Kinder in diesem Feindesland aufwachsen zu sehen. Sie brauchen unsere Unterstützung.

Weitere lesenswerte Artikel:

Antiziganistische Pogrome in Tschechien (Mut gegen rechte Gewalt, 09.09.2011)
Pogromstimmung gegen Minderheit (Blick nach Rechts, 12.09.2011)


Veröffentlicht am 13. September 2011 um 00:09 Uhr von Redaktion in Nazis

Ergänzungen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.