Bericht des Datenschutzbeauftragten veröffentlicht
14. September 2011 - 09:39 Uhr - 5 Ergänzungen
Am 9. September hat der Sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig dem Landtag seinen lange erwarteten detaillierten Bericht zu den staatlichen Überwachungsmaßnahmen am 13., 18. und 19. Februar vorgestellt. Dazu hatte er sowohl schriftliche Antworten der Behörden als auch die Ergebnisse eigener Ermittlungen ausgewertet. Die den Datenerfassungen zugrunde liegenden richterlichen Beschlüsse waren dabei aus rechtlichen Gründen nicht Gegenstand seiner Untersuchungen. Wir haben uns den Bericht mal etwas genauer angeschaut.
In seinem Bericht kommt er zu dem Schluss, dass sowohl bei der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage der Soko 19/2 als auch des LKA Sachsens eine über die zeitliche und örtliche Beschränkung hinausgehende sorgfältige und notwendige Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht erkennbar gewesen sei. Nach Angaben Schurigs seien die Ermittler weit über das Ziel hinaus geschossen und er habe deshalb die betreffenden Behörden nach §29 SächsDSG beanstandet. Die Verantwortlichen forderte er auf, ausnahmslos alle namentlich bekannt gewordenen Betroffenen zu informieren sowie die gespeicherten Datenbestände unverzüglich zu reduzieren und nicht erforderliche Daten umgehend zu löschen. Außerdem kritisierte er die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft dem zuständigen Ermittlungsrichter am Amtsgericht einen vorformulierten Beschluss zur Datenabfrage vorgelegt habe, den dieser nur noch habe unterschreiben müssen. Angesichts zehntausender unbeteiligter Menschen und Mitglieder besonders geschützter Personen -und Berufsgruppen sei seiner Meinung nach eine genaue Überprüfung zu Fragen der Zulässigkeit einer Funkzellenabfrage unabdingbar gewesen. Zum Thema Verhältnismäßigkeit verwies er in seinem Bericht u.a. auf ein Urteil des Magdeburger Landgerichts, welches nach dem Überfall auf eine Sparkassenfiliale in der Magdeburger Innenstadt durch zwei unbekannte Täter eine Auskunftserteilung über Telekommunikationsverbindungen für unzulässig erklärte, da davon auszugehen war, dass in dem beantragten Zeitraum auch ein Mobilfunkverkehr von unbeteiligten Dritten in erheblichem Umfang stattgefunden hatte.
Ende Juni hatte die Polizeidirektion Dresden mitgeteilt, dass in 76 Verfahren die Bestandsdaten von Beschuldigten erhoben und mit den erhobenen Verkehrsdaten abgeglichen worden seien. Die so erhobenen Verkehrsdaten wurden dabei später auch in Ermittlungsverfahren u. a. wegen (einfacher) Körperverletzung (§ 223 StGB), wegen Beleidigung (§ 185 StGB), wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) und Sachbeschädigung (§ 303 StGB) genutzt. Im Bezug auf die Verwendung der Verkehrsdaten für vermeintliche Straftaten nach dem Versammlungsgesetz ordneten die Verantwortlichen bei der Dresdner Polizei diese Taten den Straftaten von erheblicher Bedeutung nach § 100g Abs. 2 StPO zu. Ihrer Meinung nach habe der Schutz und die Durchsetzung der Versammlungsfreiheit eine rechtsstaatlich hohe Bedeutung und damit sei die Behinderung einer genehmigten Versammlung beispielsweise in Form von Blockaden „nicht unterhalb des Bereiches mittlerer Kriminalität einzuordnen“.
Im Rahmen eines Kontrollbesuchs bei der Sonderkommission 19/2 stellte Schurig außerdem fest, dass diese neben den wegen der schweren Landfriedensbrüche erhobenen Verkehrs- und Bestandsdaten zusätzlich über die Daten verfügte, die das LKA in dem von ihm geführten Ermittlungsverfahren wegen § 129 erhoben hatte. Diese Daten sollen von der Polizei im Anschluss jedoch nicht ausgewertet und auch nicht verwendet worden sein. Die zuständige Polizeibehörde verteidigte in ihrer Stellungnahme vom 29. Juli 2011 die Funkzellenabfrage aufgrund der Schwere und des Ausmaßes der Straftaten als verhältnismäßig und schloss einen unmittelbaren Einschüchterungseffekt für friedliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer „argumentativ“ aus. Ein Präventiveffekt werde, so die Polizei weiter, bei potentiellen Straftätern erzielt, nicht jedoch bei friedlichen Demonstranten. Dem widersprechen jedoch die zahlreichen Anfragen und Petitionen von Bürgerinnen und Bürgern nach Bekanntwerden der „intransparenten Verwendung dieser Daten durch die Behörden“. Der Datenschützer kritisierte ferner die Aussage der Polizei wonach „das Ausmaß des Datenaufkommens nicht einschätzbar gewesen sei“ als unglaubwürdig und verwies auf den Zeitpunkt der Funkzellenabfrage drei Tage nach den Ereignissen vom 19. Februar.
Im Hinblick auf die durch die Staatsanwaltschaft Dresden und das LKA durchgeführten 48 stündigen Überwachungsmaßnahmen im Februar stellte der Datenschutzbeauftragte nach einem Kontrollbesuch fest, „dass sich die Beamten der Staatsanwaltschaft Dresden und des LKA“ der besonderen Überlegungen angesichts von notwendig mitbetroffenen unbeteiligten Personen „nicht hinreichend bewusst waren“. Vielmehr seien Funkzellenabfragen als ein „normales“ Mittel zur Aufklärung von Straftaten angesehen worden ohne dass die Staatsanwaltschaft als ermittlungsleitende Behörde oder Richter die Vorgänge hinreichend geprüft hätten. Die Überprüfung des Einsatzes eines so genannten IMSI-Catchers ergab, dass dieser ausschließlich „zur Lokalisierung von zwei konkret bekannten Funknummern“ im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen verwendet wurde. Im Bezug auf das Mittel der Rasterfahndung verwies Schurig auf die vom Gesetzgeber vorgesehene Möglichkeit für die Polizei, bereits vorhandene polizeiliche Datenbestände maschinell miteinander zu vergleichen.
In einer eigenen Pressemitteilung bedankte sich Johannes Lichdi von den sächsischen Grünen für den Bericht und rief die zuständigen Minister dazu auf, auf die Forderungen des Datenschutzbeauftragten einzugehen und die Rechtswidrigkeit der Funkzellenerhebung einzuräumen. Den Sächsischen Justizminister Jürgen Martens (FDP) forderte er auf, die von den Überwachungsmaßnahmen betroffenen Menschen zu benachrichtigen und die bisher gespeicherten Daten zu löschen. Auch Sabine Friedel von der SPD schloss sich den Forderungen von Johannes Lichdi an und zeigte sich empört über die „missbräuchliche Verwendung“ der über die Funkzellenabfrage erhobenen Daten durch die Dresdner Polizei. Der CDU Innenexperte Marko Schiemann verwies auf die Bundesratsinitiative der Staatsregierung, zur Präzisierung der Voraussetzungen für eine Funkzellenabfrage und rief die Ermittlungsbehörden dazu auf, „die Kritik des Datenschutzbeauftragten ernst zu nehmen“. Dennoch verteidigte er die Telekommunikationsüberwachung als Methode zur Strafverfolgung und bezeichnete die Maßnahmen der zuständigen Behörden als Reaktion auf ein „noch nie dagewesenes Demonstrationsgeschehen“.
Kritik an den Vorschlägen des Datenschutzbeaufragten kam vom Sächsischen Richterverein. Schurig habe, so die Richter wörtlich, mit seinem am Freitag vorgestellten Bericht „das Ansehen der sächsischen Justiz [beschädigt]“. Auch der Präsident des Oberlandesgerichts Dresden Ulrich Hagenloch verwies in einer Stellungnahme auf das Prinzip der Gewaltenteilung. Für das Sächsische Innenministerium wird heute der Rechtsprofessor Ulrich Battis von der Berliner Humboldt-Universität ein vom Ministerium in Auftrag gegebenes Gutachten vorstellen. Zuvor hatte das Staatsministerium in Abstimmung mit dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten eine Handreichung zur Erhöhung der Handlungssicherheit von Polizeibeamten beim Umgang mit anonymisierten Funkzellenabfragen erarbeitet.
Anlässlich der Veröffentlichung des umfangreichen Berichts haben für heute mehrere Gruppen und Einzelpersonen um 17 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Sächsischen Landtag aufgerufen. Das Motto der Veranstaltung: „Demokratienotstand – Gegen die Verfolgung und Verdächtigung von politischem Engagement in Sachsen!“.
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Veröffentlicht am 14. September 2011 um 09:39 Uhr von Redaktion in Freiräume