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Status Quo: „Europa, Sachsen, Dresden und die Frage der Migration“

24. April 2024 - 12:39 Uhr

Plakat mit der Aufschrift: "Immer Polizei, immer Brief, immer Ausweis, immer Schuld" bei Protesten gegen rassistische Kontrollen.

Ein Debattenbeitrag Beitrag vom Roten Dresden.

Status Quo ist eine Debatten-Reihe über den Rechtsruck in Dresden, geschrieben von linken, emanzipatorischen sowie progressiven Gruppen.

Die Migrationsfrage ist wieder in aller Munde. Nicht nur in der bürgerlichen Öffentlichkeit wird sie wieder – und ekelhafter denn je – diskutiert. Auch die Dresdener Linke beschäftigte sich in letzter Zeit zunehmend mit diesem Thema. Als Beispiele sind hier zu nennen: die Besetzung der SPD-Parteizentrale in Dresden Ende November, bei welcher Aktivist:innen in die Räume der Partei eingedrungen sind und eine klare und öffentliche Distanzierung von der, von der Partei (mit-)beschlossenen GEAS-Reform forderten. Oder auch die Pro-Asyl-Demo Anfang Dezember 2023, bei welcher hunderte Menschen gegen das GEAS-Abkommen und für das Menschenrecht auf Asyl und die weitere Aufnahme von Geflüchteten demonstrierten. Immer wieder tauchen im Zusammenhang damit auch die sächsische Landtagswahl und die Europawahl im Jahr 2024 auf. 

Grund genug, dass wir uns dieser Verbindung zwischen beiden Themen, fernab von nationalem Wahltaumel und linker Illusionen über das europäische Projekt und die Staatsräson, widmen wollen. 

Europäischer Imperialismus und der Antimigrations-Vorstoß

Die EU rüstet auf. Nicht nur im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine, sondern auch direkt an ihren eigenen Grenzen – und zwar gegen Menschen, die sich in diesem Teil der Welt ein besseres Leben erhoffen oder vor Verfolgung hierher retten. Diese Aufrüstung ist erstmal nichts Neues. Jahr für Jahr erhöht sich das Budget der Grenzsicherungsbehörde „Frontex“ um Millionenbeträge, um neues Equipment in Form von Waffen, Munition, Panzern, Schiffen, Flugzeugen, Helikoptern und neuerdings auch Drohnen anzuschaffen. Im Dezember 2023 beschlossen die Innenminister:innen der EU-Mitgliedsstaaten dann auch die lang ersehnte rechtliche Aufrüstung. Mit dem neuen „Gemeinsamen europäischen Asylsystem“ (GEAS) ist es den Mitgliedsstaaten nun endlich möglich die Geflüchteten schon vor dem Betreten des eigenen Hoheitsgebietes in Lagern festzuhalten, um ihre Identität festzustellen

und auch bereits in Mitteleuropa angelangte Menschen, in diese Lager abzuschieben – das alles ohne den Antrag auf Asyl oder die Feststellung der Identität abwarten zu müssen. Vorangetrieben wurde dieses Abkommen dabei maßgeblich von der deutschen Bundesregierung in Form von FDP, SPD und der grünen Partei. Mit seiner menschenverachtenden Praxis ist die GEAS-Reform jedoch kein Ausbruch aus einer sonst ganz anderen Politik oder eine unerwartbare Wende in der europäischen Migrationspolitik. Viel mehr ist es die notwendige Schlussfolgerung, aus einem gesamteuropäischen Anspruch auf Mitbestimmung unter Führung der Großmächte Frankreich und Deutschland bei der Frage der Verschiebung und Neuverteilung der Weltordnung.

Diese Reform reiht sich ein in eine imperiale Politik beispielsweise in Form der Energiewirtschaft, wie wir sie in unserem Aufruf und Flyer zum globalen Klimastreik vergangenen September behandelten1, oder bei der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, welche zur Herstellung, Verteilung und Nutzung erneuerbarer Energien unvermeidbar sind, in Zentralafrika und entlang der Sahelzone. In der DR Kongo geschieht momentan ein „stiller Genozid“ und die Sahelzone wurde in den letzten Jahren als „Putschgürtel“2 bekannt, da es dort eine Vielzahl an Militärputschen gegen die dem Westen zugewandten Regierungen gab, welche die Region aus einer wirtschaftlichen Abhängigkeit entrissen und in ein politisches, ökonomisches und soziales Chaos stürzten. Der immer noch tobende Krieg in Syrien, das Warlord-Chaos in Lybien und die Talibanherrschaft in Afghanistan sind als Ergebnisse der Mitmischung bei der Weltordnung dabei nicht mal notwendigerweise zu nennen. Die europäische Außengrenze sollte schon immer verhindern, dass man die Auswirkungen des eigenen Vorstoßes bei sich zu Hause spürt. Dafür verhandelte man Verträge mit Warlords in Lybien oder mit dem türkischen Staatschef Erdoğan, die einem bitte die Geflüchteten vom Hals halten sollten. Da letzterer Deal immer mehr ins Schwanken gerät, war die totale Abschottung in Form der Frontex-Aufrüstung und des GEAS-Abkommen die logische Schlussfolgerung für die europäischen Staatenlenker.

Sachsens Sonderrolle

Transparent mit der Aufschrift "Kampf den rassistischen Zuständen!"
Antirassistischer Protest in Clausnitz (Quelle: twitter.com/JuanMazaCalleja/)

Deutschland war führende Kraft darin, das GEAS-Abkommen auf den Weg zu bringen. Mit Blick auf den eigenen imperial-erwirtschafteten Reichtum, der Anzahl an in Deutschland gestellten Asylanträgen und der sich nun immens zuspitzenden Haushaltskrise, wollte man alles dafür tun, um diese Reform endlich durchzubekommen – ohne dabei jedoch sein moralisches Gesicht komplett zu verlieren. Deshalb gab es als Trostpflaster einen Antrag auf Freistellung für unter 12-Jährige. Die beschlossene Reform ist ein Jackpot für die Regierung und ihre Migrationspolitik.

Jeder unregistrierte Geflüchtete, der in Deutschland oder an der Grenze aufgegabelt wird, kann direkt und ohne Umwege in das Land des ersten Grenzübertritts abgeschoben werden. Auf Grund ihrer geographischen Lage kommen dabei Bayern und auch dem Freistaat Sachsen eine besondere Rolle zu. Sie bilden als süd-östlich gelegene Bundesländer das Ende der sogenannten „Landroute“ über den Balkan, Österreich und wahlweise Tschechien. Aus diesem Grund haben sie die Aufgabe, dichtere, größere und intensivere Grenzkontrollen durchzuführen, um ja niemanden durchs Spinnennetz huschen zu lassen. Verstärkte Grenzkontrollen wie vergangenen Herbst an der tschechischen Grenze oder ganze „Zugfilzungen“ wie im Sommer ’22 am Dresdener Hauptbahnhof sind also nur eine Frage der Zeit. 

Sachsens rassistische Proteste

Das politische Klima Sachsens und Dresdens hat bereits die URA in ihrem Debattenbeitrag3 hinreichend charakterisiert, weshalb wir dies im Detail nicht tun werden. Vielmehr möchten wir hier kurz darauf eingehen, wie Europas und Deutschlands Anti-Asyl-Vorstoß diese ideell bekräftigen. Die nationalistische Gleichung „Wir ↔ Die“ findet sich bei jeder demokratischen Partei und das aus dem einfachen Grund, dass sie eine Grundlage eines jeglichen Staates ist – ob demokratisch oder nicht. Wo diese Gleichung bei den Demokraten noch eine rechtliche Kategorie ist (Staatsbürgerschaft oder nicht) ist sie bei Teilen der AfD und den Anti-Asyl-Protesten auf Sachsens

und Dresdens Straßen mittlerweile eine völkische und das „Wir“ folgt aus Herkunft, Hautfarbe, Familienstammbaum etc. Europa, Deutschland und Sachsen machen diese Teilung jedoch nicht nur ideell, sondern eben auch, wie oben erläutert, an den europäischen und deutschen Außengrenzen und in ihren Abschiebungen praktisch. Damit bestätigen sie die völkische Variation dieser Gleichung in der Richtigkeit ihrer Form, wenn auch nicht in ihrem Inhalt – Form ist das „Wir ↔ Ihr“ und Inhalt Rechtlich vs. Völkisch. 

Politik für Menschen statt für Grenzen! (Quelle: flickr.com/photos/kellerabteil/)
Politik für Menschen statt für Grenzen! (Quelle: flickr.com/photos/kellerabteil/)

Wenn die Herrschenden mit ihrer praktischen Politik zeigen, dass die eigene Teilung zwischen uns und denen doch gar nicht so falsch ist, dann hat man auch keinerlei Grund davon abzurücken. Nein, man fühlt sich sogar bestärkt in seiner Position und seinem Interesse. Die Unterschiede zwischen der Radikalität der Theorie und ihrer praktischen

Umsetzung, sind dann nur noch Formsache zwischen Demokrat:innen und Rechtsradikalen. Die Prämisse wird als diese nicht mehr angezweifelt.

Dies ist auch der Punkt, an dem eine radikale Linke anzusetzen hat. Statt sich auf die Seite des kleineren Übels dieser Konkurrenz in Form der demokratischen Parteien zu schlagen, gilt es die Prämissen – nationalistische Teilung, Standortkonkurrenz und imperialistische Ansprüche -, welche beide eint, zu kritisieren und zu bekämpfen. Eine erstarkende AfD lässt sich nicht bekämpfen, indem man sich hinter die Ampel stellt. Rassistische Proteste kritisiert man nicht, indem man ihnen vorwirft ein Nachteil für den Wirtschaftsstandort zu sein. Und herrschende Parteien wie die SPD sind nicht der Ansprechpartner für ein Bündnis gegen die imperialistische Abschottungspolitik.

1 https://www.instagram.com/rotesdresden/p/Cw2Z61WMdTK/

2 https://www.zdf.de/nachrichten/politik/niger-putsch-sahelzone-militaer-100.html

3 https://www.addn.me/news/status-quo-nicht-viel-zu-gewinnen-doch-viel-zu-verlieren/


Bisher in der Reihe erschienene Debattenbeiträge:

Titelbild: Symbolbild


Veröffentlicht am 24. April 2024 um 12:39 Uhr von Redaktion in Antifa, Soziales

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